Der Keramikhersteller Villeroy & Boch und die Beratungs- und Prüfungsgesellschaft Rödl & Partner haben eine langfristige strategische Zusammenarbeit in der Informationstechnologie vereinbart. Beide Firmen gründeten dafür ein Gemeinschaftsunternehmen, das Mittelständler bei der Optimierung von Geschäftsprozessen und der Implementierung von unternehmensweiten SAP-Lösungen beraten wird. Zum Paket gehört auch die Übernahme des Betriebs der weltweiten IT-Infrastruktur von Villeroy & Boch durch die neugegründete Rödl & Partner-Tochtergesellschaft "Rödl IT Operation" (RIO).
Beide Partner werden bisher selbstständige Organisationseinheiten in das Gemeinschaftsunternehmen "Rödl System Integration" (RSI) einbringen. RSI übernimmt dafür 22 auf den Betrieb von SAP-Infrastrukturen spezialisierte Mitarbeiter von Villeroy & Boch. Das Rechenzentrum des Konzerns in Mettlach, in dem die weltweite IT und Telekommunikation des Konzerns gesteuert werden, geht auf die RIO über. Es wird in den IT-Verbund der Rödl & Partner Gruppe mit deren Rechenzentren in Nürnberg und Selb eingebunden. Mittelfristig soll die Ausgründung mit rund 100 Mitarbeitern "neue Märkte in der IT-Beratung erschließen", wie es in einer gemeinsamen Pressemitteilung heißt.
Für Axel Knobe, früherer Vertriebschef bei T-Systems und nun Vorstand bei Rödl & Partner, ist die Zusammenarbeit eine Art Traumhochzeit: "Villeroy & Boch möchte seine hochqualifizierte IT-Organisation jenseits der Grenzen des eigenen Unternehmens präsentieren", so Knobe zu CIO.de. "Genau so einen Partner haben wir gesucht, weil wir uns hervorragend ergänzen."
Auch Thomas Ochs, CIO bei Villeroy & Boch, ist vom Joint Venture überzeugt: "Wir wollten nicht als IT-Service von Villeroy & Boch an den Markt gehen, weil das zum Scheitern verurteilt wäre. Wir haben uns stattdessen einen Partner gesucht, in dessen Portfolio unser Know-how passte. Für uns ist Rödl & Partner optimal, weil man dort genau das Geschäftsfeld ausbauen will, in dem wir stark sind".
Mit dem Joint Venture habe sein Unternehmen nun die Möglichkeit, das eigene Wissen gewinnbringend in den Markt zu bringen. "Wir fahren auf zwei Achsen", so Ochs zu CIO.de: "Wir bringen unser Rechenzentrum in die Organisation von Rödl & Partner ein, wo sie im Netzwerk von Rechen- und Kompetenzzentren eine tragende Säule bildet." Dadurch sei es möglich, die IT nicht nur zu erhalten, sondern weiter auszubauen. "Auf der anderen Seite schaffen wir es, unser Know-how in diesem Joint Venture zu kapitalisieren und weiterzuentwickeln".
Ausgliederung ist nur in der Partnerschaft mit Rödl sinnvoll
Nur in dieser Partnerschaft mache die Ausgliederung der bisher unternehmenseigenen IT Sinn, betont Ochs. "Als IT-Organisation von Villeroy & Boch hätten wir alleine nie den Weg in den externen Markt gewagt, weil uns genau dieser Marktzugang fehlt. Und es wäre naiv zu glauben, den könnte man sich in kurzer Zeit erarbeiten."
Genau diesen Marktzugang zu einem festen Kundenstamm im Mittelstand bringe Rödel & Partner mit. Hier sehen beide Partnerunternehmen, die selber mittelständisch organisiert sind, auch die Zukunft von Rödl System Integration: "Die Zielgruppe von Rödl & Partner waren immer deutsche, mittelständische Unternehmen, die international tätig sind", so Axel Knobe. Und es sei aus Sicht der Kunden wichtig, sich auf Augenhöhe zu begegnen.
"Viele Mittelständler möchten ihre IT nicht in fremde oder unbekannte Hände geben. Sie suchen nach einem berechenbaren Partner". Den finden sie schon länger in Rödl & Partner, denn das Unternehmen berät seit Jahren den Mittelstand bei ökonomischen und juristischen Fragen und ist zudem als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft unterwegs.
Besondere Erfahrung hat Rödl bei der Begleitung von internationalen Rollouts mittelständischer Unternehmen, bei dem fundierter juristischer Sachverstand erfolgskritisch ist. In der Kombination mit der IT-Expertise von Villeroy & Boch sei das ein echter USP, meint CIO Thomas Ochs - wichtig für die Platzierung im Mittelstand. (USP: Unique Selling Proposition= Alleinstellungsmerkmal).
"Das Geschäftsmodell", heißt es in einer Pressemitteilung, "versteht sich bewusst als Alternative zum Trend, IT-Strukturen international auszulagern, um Kosten einzusparen". Für die meisten Mittelständler sei eine funktionierende Informationstechnik ein "strategischer Erfolgsfaktor", der höchsten Qualitäts- und Sicherheitsstandards genügen müsse.
"Ein direkt in Deutschland betriebenes Rechenzentrum schafft Vertrauen, weil alle Daten und die technische Infrastruktur transparenten rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen". Mit dieser Strategie, sind sich Knobe und Ochs sicher, "haben wir hervorragende Chancen im IT-Beratungs- und Servicemarkt."
Analysten sehen Markt im Mittelstand
Das sehen auch die Analysten so, die den Marktgang der neuen Beratungsfirma durchweg positiv beurteilen. Und das, obwohl zahlreiche IT-Ausgründungen in der Vergangenheit auch schon schief gegangen sind (zum Beispiel Thyssen-Krupp mit Triaton) oder mit massiven Problemen zu kämpfen hatten (T-Systems, Siemens SIS).
Bei dem Joint Venture zwischen einem Wirtschafts- und einem IT-Beratungsunternehmen handele es sich um eine "untypische Ausgründung", meint zum Beispiel PAC-Analyst Karsten Leclerque. Erfolg versprechend sei der Ansatz, nicht einfach nur klassische IT-Dienstleistungen anzubieten, sondern Beratung mit dem Fokus auf mittelständische Unternehmen, die international expandierten. "Die Verknüpfung von IT mit Rechtsfragen halte ich für einen interessanten Case, weil das für viele mittelständische Unternehmen ein Thema ist. Gerade im Bereich IT gibt es viele unterschiedliche gesetzliche Rahmenbedingungen, die es umzusetzen gilt."
Pascal Matzke, Analyst bei Forrester, betont die Stärke von Rödl & Partner im avisierten Mittelstandsmarkt: "Als Wirtschaftsprüfungsunternehmen gehören sie zu den Big Five mit immensen Kontakten in den Mittelstand", so Matzke zu CIO.de. Die Kunden des Wirtschaftsprüfungsunternehmen seien sehr viel breiter aufgestellt als die eines klassischen IT-Systemintegrators. Zudem kommunizierten die Rödl-Berater vor allem mit CEOs, CFOs, COOs und geschäftsführenden Gesellschaftern, wodurch sie "ganz andere Möglichkeiten haben, gesamtheitliche Lösungen zu positionieren".
Je kleiner die Firma sei, stimmt Gartner-Analyst Michael von Uechtritz zu, desto breiter sei das Anforderungsspektrum an den Dienstleister. "Das geht von Auditierung über IT-gestützte Geschäftsprozessen bis hin zur Steuerberatung."
Der Vorteil des Joint Venture-Unternehmens RSI liege in der Kombination von Know-how aus dem Manufacturing (Villeroy & Boch) mit den kaufmännischen Kompetenzen von Rödl & Partner. "Das ist ein gutes Argument im Mittelstand. Mit Kosteneffizienz und Kostenvorteilen gepaart gibt das eine gute Grundlage, um sich im Mittelstandsmarkt positionieren zu können", so von Uechtritz zu CIO.de.
RSI muss als unabhängiges Unternehmen erfolgreich sein
Bleibt die Frage, ob sich RSI tatsächlich als unabhängiges Unternehmen am Markt platzieren und zugleich die Anforderungen der Unternehmens-IT von Villeroy & Boch erfüllen kann. "Wir haben das neue Unternehmen nicht zufällig RSI genannt und nicht VBSI", verweist Thomas Ochs auf die unabhängige Ausrichtung der IT-Ausgründung. "Wir wollen damit im Markt bewusst als Unternehmen agieren, das nicht von Villeroy & Boch abhängig ist."
Allerdings werde man natürlich das Know-how nutzen, das man beim Keramikhersteller aufgebaut habe. "Villeroy & Boch wird ein Referenzkunde sein, und es wird selbstverständlich eine intensive Zusammenarbeit von RSI mit diesem Key-Account geben."
Umgekehrt rechnet Ochs für die IT-Aufgaben von Villeroy & Boch mit deutlichen Spareffekten - auch wenn RSI diesen Kunden mit marktüblichen Preisen bedienen sollte. So sei es zum Beispiel leichter möglich, große Projektteams bei RSI zu organisieren, die bei Villeroy & Boch nach dem Abschluss von Projekten nur schwer zu halten seien. Damit bekomme sein Unternehmen eine größere Flexibilität im Projektgeschäft. Zudem sei es einfacher, in einem unabhängigen Unternehmen Skalen-Effekte zu nutzen, die in der eigenen IT wesentlich größere Investitionen nach sich ziehen würden.
Auch Forrester-Analyst Pascal Matzke sieht die möglichen Skaleneffekte, warnt aber vor der Wirklichkeit: "Eine höhere Skalierfähigkeit, höhere Auslastung sowie bessere Go-To-Market-Strategien sollten die Preise eher nach unten bringen." In der Praxis sei genau das aber oft schwierig, weil man auf der Basis bisher interner Dienstleistungen nicht sofort ein marktfähiges Portfolio entwickeln könne. "Da muss erst einmal investiert werden. Also gehen die Kosten zunächst nach oben."
Bis es dann für RSI zu einem marktfähigen Unternehmen reiche, brauche es "Zeit, Investitionen und Commitment". Allerdings sei das Joint Venture mit Rödl & Partner dafür ein gutes Modell, weil das Beratungsunternehmen bereits am externen Markt platziert sei und über Methoden und Erfahrungen für den Bau und das Management solcher Portfolios verfüge.
Doppelfunktion als interner und externer Dienstleister ist eine Herausforderung
Gartner-Kollege Michael von Uechtritz warnt davor, die Ausgründung halb ernst anzugehen: "Die Geschäftsanforderungen von captive und non-captive sauber zu trennen, ist eine echte Herausforderung, der man sich stellen muss." Die Doppelfunktion als interner Dienstleister für Villeroy & Boch und als externer Berater im Mittelstand sei keine triviale Geschichte. Von Uechtritz hält dabei einen Anteil von zwei Drittel unabhängiger Aufträge für erfolgskritisch - eine Grenze, von der RSI zumindest am Anfang aber noch weit entfernt ist. "Natürlich hat RSI einen Businessplan, über den wir möglichst schnell signifikant unabhängig vom Villeroy & Boch-Volumen werden möchten", so Thomas Ochs. Am Anfang werde der Anteil von Fremdaufträgen aber allenfalls zwischen zehn und 20 Prozent liegen - zunächst zu wenig zum erfolgreichen Überleben.
Selbst ums Überleben muss Villeroy & Boch-CIO Thomas Ochs aber auch nach der Ausgründung der IT-Abteilung nicht kämpfen. "Wir haben ja nicht die komplette IT ausgelagert" Mit RSI gebe es einen langfristigen Dienstleistungsvertrag, zu dem auch der Mitarbeiterübergang eines Teils seiner bisherigen IT-Abteilung gehöre. "Insofern ist das klassisch. Allerdings behalten wir eine Kernorganisation, wo wir Themen wie Architekturmanagement, Solution Management, IT-Governance und Projektsteuerung in der Organisation halten."