Es besteht ein Unterschied zwischen digitaler Transformation und Digitalisierung. Dieser Meinung ist Alessandro Ventura, CIO und VP Analytics and Business Services bei Verbrauchgüterhersteller Unilever North America: "Nach einer digitalen Transformation ist Ihr Unternehmen verändert", so Ventura. Die Digitalisierung hingegen automatisiere zwar Prozesse, ändere aber nicht die Substanz Ihres Unternehmens.
Für Ventura beginnt die digitale Transformation mit Selbstreflexion. Es gehe darum, große Fragen zu stellen: Wie soll das Unternehmen in Zukunft aussehen? Wie wird es auf Wettbewerbsveränderungen und Veränderungen im Verbraucherverhalten reagieren? Wie verändert es das Kundenerlebnis?
Digitale Transformation vs. Digitalisierung
In der Vergangenheit gaben die Manager für Kundengeschäft von Unilever Baselines und Werbepläne manuell in ein Tool zur Planung von Produktwerbung ein. Das sollte sowohl über Umsatzprognosen des Unternehmens Aufschluss geben, als auch über relevante Ereignisse, wie etwa Neueröffnungen von Geschäften, die sich auf den Umsatz auswirken könnten.
Ventura und sein Team haben dieses Tool vor kurzem durch eine Machine-Learning (ML)-Lösung ersetzt, die eine Baseline für jede Artikelposition (Stock Keeping Unit, SKU) und jeden Einzelhandelskunden berechnet. Sie soll den Managern mitteilen, welche Werbeaktivitäten voraussichtlich am produktivsten sein werden. des Weiteren prüft sie vergangene Werbeaktionen und gibt Änderungsvorschläge. Zudem berücksichtigt das ML-Tool externe Faktoren, wie etwa einen bevorstehenden Sturm, der sich auf die Verbrauchernachfrage auswirken kann, so dass die Manager eine präzisere Szenarienplanung für ihre Kunden vornehmen können.
Das ist ein Beispiel für die digitale Transformation. Durch treffendere Prognosen und Vorschläge für andere, möglicherweise effektivere Werbepläne verbessert das Tool nicht nur die Produktauslieferung, sondern letztlich auch deren Verfügbarkeit in den Ladengeschäften für Kunden von Unilever. "Mit einer besseren Vorhersage bieten wir unseren Kunden nicht nur eine effizientere Erfahrung, sondern tragen auch dazu bei, die Produktverfügbarkeit zu verbessern - eine sehr wichtige Wertschöpfungsquelle für unsere Kunden," sagt Ventura.
Dagegen ist Unilevers digitaler Assistent "Una" ein Beispiel für Digitalisierung. Das Tool ist in Microsoft Teams integriert und soll Mitarbeitern Fragen beantworten. "Gestern bauchte ich meine Mitarbeiter-ID-Nummer finden. In der Vergangenheit hätte ich mich in unser Lohnbuchhaltungssystem einloggen und eine Gehaltsabrechnung suchen müssen," berichtet Ventura. Stattdessen sei er kurz zu Teams gewechselt, habe Una nach seiner Mitarbeiter-ID gefragt und bekam sie sofort. "Ich habe somit die gleichen Informationen erhalten wie vorher, nur schneller," resümiert er.
Digitale Kompetenz fördern
Um sowohl die digitale Transformation als auch die Digitalisierung voranzutreiben, müssen Ventura und sein Team sicherstellen, dass alle 7.000 Mitarbeiter bereit für große Veränderungen sind. "Digitale Fähigkeiten schaffen nicht von sich aus Wert. Die Kollegen müssen verstehen und akzeptieren, dass sich die Art und Weise, wie sie arbeiten, schnell verändert," sagt der CIO.
Kundenmanager, die nun mit dem ML-Planungstool arbeiten, könnten zum Beispiel versucht sein, die Vorschläge der Maschine für die Werbeplanung abzulehnen. Wenn sie einem Kollegen rät, nicht in Werbeinitiativen zu investieren, die sie oder er in den letzten 20 Jahren eingesetzt hat, könnte der Manager beleidigt sein. Immerhin handelt es sich um eine Maschine, die meint sie müsste die Vorschriften machen, obwohl man es selbst vermeintlich immer besser weiß. "Das bedeutet, dass die wichtigste neue Fähigkeit, die wir für das Unternehmen entwickeln können, digitale Kompetenz ist", betont Ventura.
Unter digitaler Kompetenz versteht Ventura die Fähigkeit eines Mitarbeiters oder einer ganzen Unternehmenskultur, sich technologiegestützte Innovationen zu eigen zu machen, um die Arbeitsweise zu ändern. Zur Entwicklung dieser Fähigkeit haben Ventura und sein Team einen "Lehrplan für digitale Kompetenz" entwickelt, das sie zusammen mit CEO Fabian Garcia an der Spitze des Unternehmens einführen und auf die Führungskräfte in Vertrieb und Marketing ausweiten werden.
Am Programm sind Ventura, Schlüsselpositionen seines IT-Führungsteams und ausgewählte Geschäftspartner beteiligt. Sie treffen sich dreimal im Monat für je 45 Minuten. Insgesamt sollen 14 solcher Sessions stattfinden. Diese Sitzungen konzentrieren sich auf Themen wie Cloud, Plattformen, Daten und Produkte und sind danach gegliedert, wie sie sich auf die Erfahrungen von Kunden, Verbrauchern und Mitarbeitern auswirken. "Wir haben schon immer über 'Anwendungen' und 'Systeme' gesprochen, aber heute verwenden wir so viele neue Begriffe, dass wir diese Begriffe auf den Erfahrungen gründen wollen, die für unseren CEO wichtig sind", so Ventura. Geschäftspartner werden laut dem CIO mit einbezogen, weil der Unternehmenschef sich nicht mit technischen Details aufhalten möchte, sondern wissen will, wie ein Praktiker Daten in Ergebnisse umsetzt.
Für Sessions, die sich auf Marketingdaten und -analysen konzentrierten, holte Ventura den Digital Brand Manager der Eiscrememarke Klondike und den Leiter der Daten- und Analyseabteilung mit ins Boot. Man wollte über Verbraucherdaten und Leistungsverfolgung für ihre digitalen Initiativen sprechen. Sie begannen mit einer zehnminütigen Einführung, in der sie Begriffe wie Erst-, Zweit- und Drittdaten definierten und erläuterten, wie sie diese nutzen. "Wir haben auch ein neues Tool vorgestellt, das wir entwickelt haben, um die Leistung unserer digitalen Ressourcen und Medieninvestitionen nach Marken zu verfolgen: Websites, Instagram und andere soziale Medien", so Ventura. Die Klondike-Markenmanagerin habe gezeigt, nach welcher Art von Informationen sie suche, welche Art von Entscheidungen sie auf der Grundlage dieser Informationen treffe und welche Stolpersteine es noch gebe.
In der Session über künstliche Intelligenz (KI) lud Ventura sowohl den Leiter der Unilever-Kundenhotline als auch den Verantwortlichen für KI-Technologie ein. Sie stellten ein neues KI-Tool vor, das die Kundenbetreuung verbessern soll. Stellt ein Kunde eine Frage zu einer Bestellung, musste sich ein Supportmitarbeiter bisher in das System einloggen, nach den Bestellinformationen suchen und dann antworten. Das neue Tool findet die Informationen für den Kundensupport, so dass er viel schneller reagieren kann, was die Antwortzeit um 90 Prozent reduziert. "Es war großartig, den Leiter unserer Careline bei der Präsentation dabei zu haben, um Fabian zu zeigen, wie wir dieses Tool einsetzen", sagt Ventura.
Drei Tipps für die ersten Schritte
Folgende Ratschläge gibt Ventura Unternehmen an die Hand, die selbst ein Programm für digitale Kompetenz starten wollen:
Beständigkeit ist das A und O. "Sie brauchen Beständigkeit und Intensität", sagt er. CEOs hätten an einem Tag so viel zu tun, dass man ihnen den Plan vor Augen halten müsse. Wenn man eine Session verpasst, muss man von vorne anfangen. Ventura warnt davor, das Programm auf die leichte Schulter zu nehmen: "Wenn Sie sagen, dass das gesamte Programm 14 Sitzungen umfasst, hören Sie nicht nach zehn auf. Sie können auch nicht zu Lektion fünf übergehen, wenn Sie Lektion vier auslassen." Da so viele Personen an den Sessions beteiligt sind, kann der Kalender unübersichtlich werden, aber man muss Prioritäten setzen und dranbleiben.
Machen Sie nicht an der Spitze halt. "Digitale Kompetenz darf nicht bei den leitenden Angestellten aufhören", erklärt Ventura. Es gilt darauf zu achten, in das Training einen Prozess einzubauen, der "Bottom-up" die Schulung aller Ihrer Teams auslöst.
Transformieren Sie von innen nach außen. "Es gibt viele Technologien auf dem Markt, die digitale Transformation versprechen", so Ventura. "Ich erhalte etwa 15 E-Mails pro Tag, die versprechen unsere digitale Transformation zu beschleunigen." Aber kein Berater oder Tool auf dem Markt könne die digitale Transformation beschleunigen. Die Unternehmen müssen diesen Wandel selbst in die Hand nehmen." (bs/jd)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.