"Ich bin der glücklichste CIO, den ich kenne", sagt Damian Bunyan über sich selbst. Als Uniper Anfang 2016 im Wege eines Carve-outs aus dem EON-Konzern hervorging, sah das ganz anders aus. "In den Medien wurden wir als Bad Bank und Resterampe abgestempelt", blickt er zurück. Mit der Ausgliederung von Uniper trennte sich EON fast vollständig von der Stromerzeugung aus Kohle, Gas und Wasser. Der Konzern will sich künftig auf Energienetze und das Endkundengeschäft konzentrieren. Uniper dagegen setzt auf die zwei Geschäftsfelder Energieerzeugung und Energiehandel, mit weitreichenden Folgen für die IT.
"Es war kein einfacher Job, die 30 Prozent der ITler zu motivieren, die mit dem Carve-out zu Uniper wechselten", erinnert sich Bunyan, der zuvor Chief Process Engineer und Vorstandsmitglied von EON Global Commodities war. Gleich nach seinem Einstieg im Januar 2016 stand er vor grundlegenden Fragen: Sollte sich Uniper in Sachen IT aus dem Shared-Service-Modell von EON bedienen oder besser eigene Weg gehen? Welche IT-Strategie sollte das Unternehmen verfolgen? Der Wirtschafts- und Politikwissenschaftler entschied sich für einen "klaren Schnitt".
Dass damit jede Menge Überzeugungsarbeit verbunden war, verhehlt er nicht. Der EON-Konzern betrieb ein fast zehn Jahre altes Rechenzentrum, in dem auch Kernapplikationen der neuen Uniper vorgehalten wurden. Bunyan nutzte die Gunst der Stunde und beschloss: "Wir bauen kein eigenes Rechenzentrum mehr auf, wir gehen in die Cloud!"
Nach einer kurzen Evaluierung entschied das IT-Führungsteam, den größten Teil in die Azure-Cloud von Microsoft zu transferieren. Bunyans Ziel: "Sofern es technisch möglich ist, migrieren wir alle unsere Applikationen in die Cloud." Für Anwendungen, die sich gar nicht oder nur mit hohem Aufwand in der Public Cloud betreiben lassen, greift Uniper auf eine Virtual Private Cloud zurück, die der Dienstleister DXC Technology bereitstellt.
Glücklich macht den CIO vor allem ein Nebeneffekt der aufwendigen Migrationsphase: "Ich weiß jetzt genau, wie viele Anwendungen und Daten wir überhaupt in Betrieb haben." Als sein Team die potenziellen Migrationskosten jeder einzelnen Anwendung unter die Lupe nahm, stellte sich heraus: rund ein Drittel war verzichtbar. "Die Cloud ist nicht per se günstiger als ein On-Premises-Betrieb", bilanziert der IT-Chef. "Wenn Sie aber nach der Migration 33 Prozent weniger Anwendungen haben, ergeben sich allein dadurch Einsparungen."
Die Mehrheit der insgesamt rund 600 Enterprise-Applications hat Uniper bereits migriert. Dazu gehören auch ältere SAP-R/3-Systeme mit dem Modul FiCo (Finance and Controlling) und der Branchenlösung "SAP for Utilities". Die darunterliegende Oracle-Datenbank ersetzte Bunyans Team im Zuge der Migration auch durch SAP HANA; eine Entscheidung über den Umstieg auf das neue Kernsystem S/4 HANA steht noch aus.
Data Lake in der Azure-Cloud
Stabilität und Sicherheit waren dem CIO zufolge die wichtigsten Gründe für die Cloud-Strategie. Doch das sei nicht alles: "Die Cloud bietet uns viele Möglichkeiten, die wir vorher gar nicht hatten." So bilde die Azure-Cloud auch die Basis für die Modernisierung der Dateninfrastruktur und darauf aufsetzender Analytics-Systeme. Dafür entwickelte Uniper im ersten Schritt einen unternehmensweiten Data Lake in der Cloud, der auf Software des kalifornischen Anbieters Snowflake aufsetzt. Gespeist wird er aus mehr als 250 internen und externen Datenquellen, darunter die eigenen SAP-Anwendungen, Risk-Management- sowie Energiehandelssysteme. Auch Sensordaten aus den Uniper-Kraftwerken laufen in dem Pool zusammen.
"Wir halten alle Daten und Anwendungen im Amsterdamer Cloud-Rechenzentrum von Microsoft vor", betont der CIO. Das sei schon aufgrund gesetzlicher Vorgaben wie der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) notwendig.
Auf dem Weg zur zentralen "Uniper Data Analytics Platform" war der Data-Lake nur ein erster Meilenstein. Für die darauf aufsetzende Plattform kombinierte das Unternehmen Data-Management- und Integrations-Tools von Talend mit Visualisierungs- und Analytics-Systemen von Tableau. Erfolgskritisch sind auch die Self-Service-Optionen des neuen Systems, berichtet Bunyan: "In der alten Welt waren Mitarbeiter in datenlastigen Abteilungen wie Energiehandel und Energieerzeugung vollständig von der IT-Abteilung abhängig, wenn sie etwa Analysen oder Berichte erstellen wollten."
Das war zeit- und kostenintensiv und führte nicht selten dazu, dass gerade diejenigen Kollegen ausgebremst wurden, die am meisten auf Datenanalysen angewiesen waren. Zu ihnen gehören beispielsweise Energiehändler, die Marktdaten möglichst in Echtzeit benötigen, um schnell auf Veränderungen reagieren zu können. Mit der Self-Service-Analytics-Lösung habe sich die Zeit bis zur Verfügbarkeit relevanter Erkenntnisse um bis zu 70 Prozent verkürzt , sagt Bunyan.
Uniper modernisiert 11.000 Clients
Die Modernisierung der Uniper-IT umfasste auch die rund 11.000 Client-Systeme. In der EON-Welt war Windows 7 der Standard, mit dem Wechsel in die Azure-Cloud migrierte das Energieunternehmen auf Windows 10 und Office 365 und setzt auch hier auf eine komplette Cloud-Backend-Infrastruktur mit dem Microsoft Partner Glück und Kanja Consulting. "Aus Sicht der Benutzer war das eine große Verbesserung, die sich gerade in Zeiten einer Pandemie mit einer größeren Flexibilität für den Workplace auszahlt", berichtet Bunyan.
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Vor allem das geräte- und ortsunabhängige Arbeiten mit der cloudbasierten Office-Suite finde Anklang, ebenso moderne Collaboration-Tools wie Microsoft Teams und Surface Hubs. Die Uniper-Mitarbeiter nutzen darüber hinaus diverse Analytics-Tools aus der Cloud, darunter neben Tableau auch Microsofts Power BI. Auf der To-do-Liste des CIOs stand zudem auch die Netzwerk-Infrastruktur. Früher waren die klassischen Energiesparten Teil des EON-Netzwerks. Nach dem Carve-out baute Uniper mit der Telekom ein eigenes Netzwerk auf, das kontinuierlich an die wachsende Cloud-Nutzung angepasst wird.
IT-Organisation bei Uniper
Mit der Abspaltung vom EON-Konzern veränderten sich auch die Governance-Strukturen in der IT. Bunyan mag den Begriff IT-Governance nicht besonders: "Er wird häufig gebraucht, wenn in der Organisation etwas nicht funktioniert." Auf Uniper treffe das nicht zu. "Als Unternehmen agieren wir funktional und sind entsprechend aufgestellt." Die IT bilde eine von mehreren Funktionen, die vom CIO gesteuert werde.
Die zwei großen Vorstandsressorts Assets (Kraftwerke, Energieerzeugung) und Commercial (Energiehandel) hätten bei Uniper unterschiedliche IT-Anforderungen. Dementsprechend habe man für beide Bereiche jeweils einen dedizierten IT-Chef eingesetzt. Sowohl der "Head of Asset IT" als auch der "Head of IT Trading" berichten direkt an den CIO.
Predictive Maintenance bei Uniper
Ähnliches gilt für das Thema Innovationen. Die entstünden in der Regel vor Ort in den Kraftwerken oder in den Fachabteilungen, erläutert Bunyan. "Wir fragen uns natürlich immer wieder: Muss Digitalisierung am 'Edge' passieren, oder sollten wir sie zentral steuern?" Eine pauschale Antwort gebe es nicht. Beispiel Predictive Maintenance: "Das ist für uns nichts Neues."
In den eigenen Kraftwerken beschäftige man sich seit jeher damit, wie der Ausfall von Komponenten verhindert werden könne, welche Wartungsintervalle sinnvoll seien, oder wann ein Teil vorsorglich ausgetauscht werden sollte. Heute gebe es dafür aber ganz andere Tools. Gerade mit cloudbasierten Analytics-Diensten könne man einschlägige Aufgaben auf einem höheren Niveau angehen und die Effizienz im Kraftwerksbetrieb steigern.
Geht es um vorausschauende Wartung, gehen die Pläne des Uniper-Managements noch weiter. Man wolle sich in diesem Feld als Dienstleister etablieren, der anderen Unternehmen hilft, Kraftwerke effizienter zu betreiben, sagt der IT-Chef. "Predictive-Maintenance-as-a-Service" nennt er das neue Geschäftsfeld. Uniper habe mit seiner umfassenden Erfahrung im Kraftwerksbetrieb dafür eigene Software entwickelt, die man auch anderen Firmen zur Verfügung stelle, beispielsweise in China, Brasilien und Australien. Entsprechende Software-Services würden mittlerweile auch von Microsoft selbst über die Azure-Cloud angeboten.
Machine Learning im Energiehandel
Sowohl in der Energieerzeugung als auch im Energiehandel setzt Uniper verstärkt auf Machine Learning. Bunyan: "Natürlich helfen uns solche Algorithmen im Bereich Predictive Maintenance, wenn es etwa darum geht, wie stabil eine Anlage läuft." Aber auch im Energiehandel, der zweiten großen Säule des Unternehmens, gewinne künstliche Intelligenz (KI) an Bedeutung. Eigenen Angaben zufolge kommt Uniper auf ein jährliches Handelsvolumen von 60 Milliarden Euro. Schon kleine Verbesserungen können sich auf die Profitabilität auswirken.
"Wir nutzen Machine Learning beispielsweise, um komplexe Energiemärkte zu analysieren", erläutert Bunyan. "Damit können unsere Händler lukrative Marktsituationen optimal erkennen und in gewinnbringende Transaktionen umsetzen." Händler würden damit in die Lage versetzt, nicht nur schneller zu reagieren, sondern auch bessere Entscheidungen zu treffen: "Energiehandel ist generell ein riskantes Geschäft. Umso wichtiger ist für uns ein effektives Risiko-Management." Auch dabei könne maschinelles Lernen helfen. Für die Handelsprozesse selbst verwendet Uniper zunehmend Softwareroboter. Dabei steht laut Bunyan nicht nur die Effizienz im Mittelpunkt: "Wir können damit Transaktionen auch viel feingranularer abwickeln."
Lessons learned
Die frühe Entscheidung, die IT aus dem EON-Rechenzentrum zu holen, habe sich ausgezahlt, resümiert Bunyan. "Als die Deadline für den RZ-Auszug da war, fingen wir mit der Umsetzung an, statt immer wieder darüber zu reden, ob ein Cloud-Kurs grundsätzlich sinnvoll ist." Viele Bedenken im Vorfeld hätten sich um das Thema Sicherheit und Datenschutz gedreht. Längst nicht immer seien sie von ausgewiesenen Experten vorgebracht worden. Heute wisse man: "Wir sind den richtigen Weg gegangen."
Lässt sich das Glücksgefühl eines CIOs in Zahlen fassen? Bunyan wagt einen Versuch: "Natürlich freut man sich, wenn die harte Arbeit am Ende zu messbaren Ergebnissen führt. Die Total Costs of Ownership unserer IT sind seit dem Carve-out um 30 Prozent gesunken."