Der Bundesfinanzminister platziert sein Grußwort dieses Mal nicht auf Freundespapier. Das dürfte ungewohnt sein für ihn und unterstreicht die Besonderheit einer Szene des Wirtschaftslebens, deren Wirklichkeit zwischen Mate, Kicker, Sweaters und der mühseligen Suche nach Wagniskapital oszilliert. Einer Szene, die geprägt ist von einer immensen Begeisterung für Christian Lindner. Und in der Wolfgang Schäubles CDU kaum glänzt.
Obwohl dieser in seinem Grußwort doch auch gute Nachrichten über ein "Eckpunktepapier Wagniskapital" hinaus zu verkünden weiß: "Dazu haben wir 2016 zwei neue Fonds aufgelegt: den Coparion-Fonds und die ERP/EIF-Wachstumsfazilität", schreibt der Minister. "Mit EXIST, INVEST und dem High-Tech-Gründerfonds verfügen wir bereits über recht erfolgreiche Programme für Startups."
Nur 12 Prozent billigen Merkel Gründerkompetenz zu
Schäubles Grußwort steht also dem "Deutschen Startup Monitor" voran, der zum vierten Mal erschienen ist und nach eigenen Angaben 1224 Startups und 14.513 Mitarbeiter repräsentiert. Initiator der Studie ist der Bundesverband Deutsche Startups (BVDS), Herausgeber sind die Analysten von KPMG, Autoren ein Forscherteam der Universität Duisburg-Essen um Professor Tobias Kollmann, dessen Forschungsschwerpunkt E-Entrepreneurship ist.
Zufrieden mit den von der Politik gebotenen Rahmenbedingungen sind die befragten Startups offensichtlich nicht, was sich in der Wahlumfrage unter Gründern widerspiegelt. Nur 20,7 Prozent würden die Union wählen, gar nur 11,2 Prozent die SPD; dafür 28,6 Prozent die FDP und 22,1 Prozent die Grünen. Gründerkompetenz sprechen 47,4 Prozent dem FDP-Chef Lindner zu, 26 Prozent gar niemandem und 12 Prozent Bundeskanzlerin Angela Merkel. Alle anderen Politiker schneiden schlechter ab.
Venture-Capital-Gesetz muss her
"Wir müssen unbedingt die Investitionsbedingungen verbessern, damit der Investitionstrend langfristig bestehen bleibt und somit zu mehr Nachhaltigkeit und mehr Startups führen kann", fordert BVDS-Chef Florian Nöll in der Studie. "Hierfür brauchen wir ein Venture-Capital-Gesetz." Eine klare Ansage an die Bundesregierung, die zum Selbstverständnis von Verband und Studie passt. Diese soll nämlich laut Nöll folgendes sein: "ein Kompass, der der Politik eine Orientierung gibt, was sie tun kann, damit Gründen in Deutschland einfacher und erfolgreicher wird".
Jeder Fünfte der Befragten erwartet von der Politik einen Abbau von regulatorischen und bürokratischen Hürden. Jeweils gut 13 Prozent fordern weniger Steuern und eine Unterstützung bei der Kapitalbeschaffung. Gut 11 Prozent hätte gerne Unterstützung im Bereich Wagniskapital. Aktuelle Herausforderungen sehen die Startups im Vertrieb beziehungsweise bei der Kundengewinnung (20,2 Prozent), bei der Produktentwicklung (18,2 Prozent) und beim Wachstum (15,5 Prozent). Die Kapitalbeschaffung nennen 12,4 Prozent.
Weniger Gründungen von Startups
Offensichtlich ist, dass derzeit von einer "Gründerzeit" in Deutschland keine Rede sein kann. Im Startup-Monitor wird hierzu auf den aktuellen Gründungsmonitor der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) verwiesen, der die Gründungsquote im Jahr 2015 mit 1,5 so niedrig ausweist wie sonst nur im Jahr 2012. Zum Vergleich: 2002 und 2003 lag der Wert, der den Anteil der Existenzgründer an der Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren misst, bei fast 3 Prozent.
Drei Merkmale definieren Startups
Demgegenüber ist der Befund für die Gründer-Untergruppe der Startups im Monitor deutlich positiver. Definiert werden Startups in der Studie anhand dreier Merkmale: jünger als zehn Jahre, innovativ hinsichtlich Technologie oder Geschäftsmodell, signifikantes Mitarbeiter- oder Umsatzwachstum. Von dieser Definition abgedeckt wird ein breites Spektrum an Unternehmen. Gleichwohl überwiegt in der Studie der auf digitale Geschäftsmodelle fokussierte Bereich.
15 Prozent der befragten Startups sind in der IT- und Softwareentwicklung tätig, 10,2 Prozent im Bereich Software-as-a-Service (SaaS). Der industriellen Technologie respektive Produktion widmen sich 8,9 Prozent, dem E-Commerce 8,7 Prozent. 6 Prozent agieren im Segment Consumer Mobile/Web Application. Neben diesen IT-lastigen Gefilden sind auch Unternehmen aus der Bio-, Nano- und Medizintechnologie, aus der Beratung und aus der Medien- und Kreativwirtschaft stark vertreten.
Startups oft unabhängige Gründungen
Drei Viertel der Startups sind unabhängige Gründungen. Das heißt, dass Ausgründungen etwa aus Universitäten oder bestehenden Unternehmen eine Minderheit stellen. Das durchschnittliche Alter der Firmen im Monitor beträgt 2,5 Jahre, was eine leichte Verjüngung gegenüber dem Vorjahr bedeutet.
Etwa 22 Prozent der Startups befinden sich in der frühen "Seed"-Phase der Konzeptentwicklung ohne Umsatzrealisierung. 48 Prozent in der "Startup"-Phase haben bereits ein marktreifes Angebot und erwirtschaften Umsätze. Bei 23 Prozent in der "Growth"-Phase steht das Wachstum im Vordergrund. In späten Reifephasen etwa mit einem Börsengang befinden sich kaum welche der Unternehmen aus dem Monitor.
Hannover/Oldenburg vor Hamburg
Regional ballen sich die Startups in wenigen Zentren - allerdings einen Tick weniger ausgeprägt als noch im Vorjahr: 2015 waren noch 69 Prozent in einer Handvoll Zentren beheimatet, aktuell sind es nur noch 60 Prozent. Als neu definierte Gründerregion ist im neuen Monitor Hannover/Oldenburg hinzugekommen. Dort haben mit 6,9 Prozent sogar mehr Startups ihren Hauptsitz als in der angestammten Startup-Metropole Hamburg mit dort 6,4 Prozent. Die Top Four der Regionen sind: Berlin mit 17 Prozent, Rhein/Ruhr mit 14,1 Prozent, Stuttgart/Karlsruhe mit 8,9 Prozent und München mit 7 Prozent.
Hinter diesen Zahlen verbergen sich indes Gewinner und Verlierer. Da es mehr Startups in der Fläche gibt als im Monitor 2015, müssen zwangsläufig bestimmte Anteile gesunken sein. Drastisch passierte das in Berlin, wo es einen Absturz von 31 auf 17 Prozent gab; aber auch München verlor mit 11,5 Prozent im Vorjahr und 7 Prozent aktuell deutlich. Zulegen konnte beispielsweise Rhein/Ruhr als Region. Im Bundesländervergleich zählen vor allem Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zu den Gewinnern, etwas schwächer ausgeprägt auch Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz.
BVDS-Chef: "Berlin schwächelt nicht"
Der BVDS-Vorstandsvorsitzende Nöll bewertet diese Entwicklung als erfreulich. Die Entwicklung zeige, dass das deutsche Startup-Ökosystem in Bewegung sei und branchen- und regionenübergreifend eine immer wichtigere Rolle übernehme. "Nicht weil Berlin schwächelt, sondern weil der Rest der Republik dem Vorbild folgt", betont Nöll. "Damit steigen die Chancen, dass Startups in Deutschland - gemeinsam mit dem Mittelstand - die wichtigste Quelle für unseren zukünftigen Wohlstand werden."
Drei weitere Trends offenbart der Monitor: einen langsam, aber stetig wachsenden Frauenanteil in der Gründerszene; eine steigende Internationalität; eine stetig steigende Höhe der kumulierten Investitionssummen. In diesem Jahr flossen 1,1 Milliarden Euro an externem Kapital an die befragten Unternehmen.
Digitale Bildung in Schulen und flexible Kinderbetreuung
Nöll leitet daraus eine Reihe von Forderungen ab, um diese positiven Entwicklungen zu fördern: eine frühzeitige digitale Bildung in den Schulen, eine Flexibilisierung der Kinderbetreuung, eine Pflege der offenen Willkommenskultur, weitere Harmonisierung auf europäischer Ebene.
Klischees über den Startup-Alltag treffen übrigens manchmal sehr und manchmal weniger zu, wie die Studie zeigt. Tatsächlich sind in fast allen befragten Firmen Sweaters und Hoodies als Arbeitskleidung erlaubt. Aber nur ein Viertel der Unternehmen hat einen Kickertisch. Und nur 16,6 Prozent nennen Mate als ihr Lieblingsgetränk.