Klaus-Hardy Mühleck

Unsere fünf Ziele mit SOA

08.10.2008
VW-CIO Klaus-Hardy Mühleck will SOA im Handel weltweit ausrollen. Weitere Unternehmensbereiche sollen folgen.

Die wesentlichen Treiber für Service-orientierte Architektur (SOA) bei Volkswagen sind das Business und die Notwendigkeit, schnell und flexibel auf Änderungen der Marktsituation und somit der Geschäftsprozesse reagieren zu können. Fünf Kernziele kennzeichnen unseren Weg zu SOA.

Wie in jedem Großunternehmen auch, hat sich aufgrund der extremen Arbeitsteilung über viele Wertschöpfungsstufen eine technisch heterogene und funktional zergliederte IT-Landschaft etabliert. Dies drückt sich durch viele siloartig gewachsene Systemlösungen mit komplexen Schnittstellenbeziehungen aus.

Der IT-Bereich der Volkswagen AG reagiert auf diese Ausgangssituation, indem er sowohl einen Top-Downals auch einen Bottom-Up-Ansatz verfolgt. Top-Down werden über die Ergänzung des Master Construction Plans (MCP) in Richtung Domänen- und Servicemodellierung das Enterprise-Architektur-Management ausgebaut und so die Basis für die SOA-Einführung gebildet.

Konkret lässt sich unser Weg gut am Handel beschreiben. Hierbei handelt es sich zunächst um einen Bottom-Up-Ansatz, der mit zunehmender Verbreitung jedoch Top-Down durch Elemente des Enterprise-Architecture-Managements ergänzt wurde. So haben wir eine tragfähige Basis geschaffen und sind in den fünf, für den Geschäftserfolg von Volkswagen entscheidenden IT-Zielstellungen bereits einen deutlichen Schritt gegangen.

  1. Die IT-Landschaft in diesem Bereich wird erneuert und flexibilisiert, und somit werden Betreibbarkeit und Servicequalität bei sinkenden Gesamtkosten erhöht.

  2. Durch Festlegung von Services und einer strikten Governance können am Markt etablierte Standards eingeführt werden.

  3. Die einzelnen Anwendungen werden entkoppelt und so eindeutiger und verständlicher für Business und IT.

  4. Individualsysteme können an einzelnen Stellen im Geschäftsprozess problemloser durch Business-Services aus Standardsoftware ersetzt werden.

  5. Als Folge der Flexibilität können neue Geschäftsmodelle und -prozesse optimal und in kürzester Zeit umgesetzt werden.

Das Konzept im Handel rollen wir nun weltweit aus und weiten die bewährten Lösungen und Prinzipien schrittweise auf andere Unternehmensbereiche aus.

Der Hintergrund

Die wachsende Wettbewerbsintensität im Autohandel führt zu einer rapiden Zunahme der weltweiten Integration der Wertschöpfungsprozesse. Um die zunehmende Komplexität zu beherrschen und prozessorientiert und effizient zu gestalten, ist eine leistungsfähige IT ein ganz wesentlicher strategischer Hebel. Die Volkswagen-IT setzt daher auf SOA. Die Implementierung richtet sich an den Anforderungen der Business-Initiativen aus. Bereits Anfang 2000 wurde der Bedarf an hoch verfügbaren unternehmensweiten Services erkennbar.

Keimzelle waren Produktinnovationen wie die elektronische Wegfahrsperre, die sich nur zentral wieder freischalten lässt, und Innovationen der kundenwirksamen Verkaufs- und Werkstattprozesse in den Autohäusern. Während des Bestellvorganges werden die Bonität des Kunden geprüft und Leasing- oder Finanzierungsalternativen fixiert. So sind bei Vertragsabschluss Produktion wie Auslieferung des Wunschautos angestoßen und terminiert sowie Finanzierung und Versicherung geklärt.

SOA bei Volkswagen wächst über die Zeit, ist jedoch nicht als Black Box bei einem IT-Provider zu kaufen. Die Umsetzung des SOA-Paradigmas in die reale Anwendungswelt muss spezifisch ausgestaltet werden. Dabei kommen möglichst die am Markt verfügbaren und tragfähigen Standardkomponenten zum Einsatz. Jedoch sind sie an die Bedürfnisse der Anwendungsszenarien anzupassen und in die vorhandene Infrastruktur zu integrieren.
SOA wird aus zwei Ansätzen heraus getrieben:

Top-Down wurde als Dokumentation der IT-Bebauungsplanung der Master Construction Plan (MCP) etabliert, der die konzernweiten Systemfamilien den Kernprozessen zuordnet und deren Roll-out terminiert. Die Bebauungsplanung führt zur technischen Architektur und zur physischen Infrastruktur, die in dem konzernweit gültigen Book of Standards (BoS) festgeschrieben sind. Den Bebauungsplanung entwickeln und ergänzen wir ständig. Aus den Systemfamilien und den Prozessen werden Domänen abgeleitet, die durch Services und zugeordnete Geschäftsobjekte repräsentiert werden.

Bottom-Up werden komplexe System- und Schnittstellenstrukturen Zug um Zug vereinfacht und Entkopplungen umgesetzt. Der Fokus liegt hierbei auf Vorhaben mit hoher Bedeutung für das Business und der Chance einer grundlegenden Architekturerneuerung. Im engen Dialog mit der strategischen Top-Down-Planung sind für die SOA-Initiative die richtigen und lohnenden Systemfamilien zu finden und auszugestalten.

Mehr Flexibilität und Agilität bei Lösungen für Geschäftsanforderungen sind neben Effizienzsteigerung
der IT und gesteigerter Servicequalität in der weltweiten IT-Landschaft die Hauptmotivation. Fundiertes Architekturverständnis unserer IT-Manschaft, gezielte Weiterentwicklung des Enterprise-Architektur-Managements und die konsequente Einführung von Geschäftsobjekten und Services sind auf diesem Weg unverzichtbar. Die Balance zwischen Top-Down-Planungen, konkreten Leitplanken für die Systeme und professioneller Umsetzung in Projekten ist stets neu zu finden.

Seit 2000 hat die VW-IT das Data Management Backbone (DMS-BB) als Kommunikationsschnittstelle in der
Handelsorganisation etabliert. Der DMS-BB verbindet die unterschiedlichen Vertriebsebenen miteinander und ermöglicht so, dass die Prozesse auf der Herstellerebene durch die nötigen Daten aus den Importeurs- und Händlersystemen (wie etwa Auftragsdaten aus dem Dealer-Management-System) unterstützt werden können.

Durch die immer stärkere Bereitstellung von zentralen Informationen und den Zugriff über das Internet musste sich das DMS-BB als Bestandteil einer Intergrationsarchitektur weiterentwickeln und wird nun unter SOA-Gesichtspunkten ausgebaut. Der Vorteil: Die Integrationsarchitektur stellt statt individueller Punkt-zu-Punkt-Schnittstellen mittels SOA universell nutzbare und leicht adaptierbare Services bereit.

Bis heute sind etwa 8.000 Händler auf fünf Kontinenten angeschlossen. Nahezu alle neuen Modelle sind mit einer elektronischen Wegfahrsperre ausgestattet, die nur von einem zentralen Service beim Hersteller freigeschaltet werden kann. Daher ist die Online-Verfügbarkeit zentraler Services integraler Bestandteil zeitgemäßer Werkstattprozesse und heute unverzichtbar. Aktuell werden über den Handel 26 zentrale Services über eine Million Mal pro Tag aufgerufen.

Wir versprechen uns von der Integrationsarchitektur, schnell neue Märkte, wie etwa Indien, neue Vertriebskanäle, etwa freie Importeure mit eigener IT-Landschaft, oder neue Geschäftsfelder, wie die Reparaturfinanzierung, für den Hersteller zu erschließen. Zudem können gesetzliche Anforderungen wie die Gruppenfreistellungsverordnung, erfüllt werden, die den Zugriff auf bestimmte zentrale Serviceinformationen auch für freie Werkstätten und Händler regelt. Der DMS-BB hat sich inzwischen zu einem tragfähigen Enterprise Service Bus (ESB) im Handel entwickelt. Die Entwicklung geht jedoch ständig weiter – besonders wichtig wird sein, SOA über Unternehmensgrenzen hinweg zu leben.