Chittur Ramakrishnan, RWE

Unter Strom

04.03.2005
Seit einem Jahr leitet Chittur Ramakrishnan die IT beim Energiekonzern RWE. Sein größtes Ziel hat der erste Corporate CIO der RWE bereits erreicht: die Einbindung der IT-Manager der Geschäftsbereiche. Denn er hat erkannt: Im Alleingang geht gar nichts.

Wer Chittur Ramakrishnan in Essen besucht, muss schwindelfrei sein. Im 23. Stock des mit viel Glas und Stahl designten Gebäudes des Energiekonzerns RWE bieten Panoramafenster einen großzügigen Blick auf die Ruhrmetropole. "Gleich da drüben ist die Arena auf Schalke", deutet der CIO auf ein Highlight der Region.

Trotz der Höhe seines Büros hat der 54-Jährige die Bodenhaftung nicht verloren. Darauf legt er Wert. "Die IT ist immer eine Ableitung aus dem Geschäft", findet er und deutet auf ein Tableau, das den Untertage-Einsatzplan für den Braunkohleabbau anhand symbolischer kleiner gelber Bagger zeigt. "Hier sieht man, wie weit man in die Erdschichten muss, um an die Kohle zu kommen." Als Ramakrishnan Anfang 2004 von Siemens zu RWE kam, gab es die Position des Corporate CIO noch nicht. Knud Norden, IT-Chef von RWE Systems, war gleichzeitig Konzern-IT-Boss. Die Neustrukturierung des Konzerns brachte neue Aufgaben für die IT-Tochter. Zudem entstand durch internationale Zukäufe weiterer Bedarf an internationaler IT-Strategie - eine neue CIO-Position wurde unausweichlich.

Die erste Aufgabe lautete allerdings , die IT-Manager der sechs Konzern-Töchter vom Sinn eines Corporate CIO zu überzeugen und auf eine Linie einzuschwören. Der "Teamgedanke" sei ihm wichtig, wird Ramakrishnan nicht müde zu betonen. Die Rolle des Vorturners liegt ihm nicht. "Ich möchte nicht nur top-down Standards vorgeben, sondern vor allem die Umsetzung begleiten." Seine Position zwischen Konzernvorstand und Divisions hat er daher als Leiter des "Group IT-Committee" installiert. Dort sind der Leiter der Konzernentwicklung und die IT-Vorstände der sechs Führungsgesellschaften vertreten. Von dort berichtet er an den Vorstandsvorsitzenden und CEO Harry Roels.

Ramakrishnan kam in einer heißen Zeit zu RWE, denn es standen für den Konzern wichtige Entscheidungen an. Das Unternehmen hatte sich gerade eine neue Struktur gegeben. Aus 13 Konzerntöchtern wurden sechs Töchter: RWE Power, RWE Energy, RWE nPower, RWE Thames Water, RWE Trading und RWE Systems. Sie gruppieren sich um Herstellung, Einkauf und Verteilung von Strom, Gas und Wasser. Auch in der IT musste zusammenwachsen, was zusammengehörte. Synergien schaffen und Standards setzen stand daher ganz oben auf der Agenda Ramakrishnans.

Im Gegensatz zu anderen, etwa dem Nachbarn RAG, der seine IT-Tochter RAG Informatik an Siemens Business Services (SBS) verkaufte, entschied sich RWE für seinen internen Dienstleister. RWE Systems erbringt als Shared-Service-Einheit oder Querschnittsgesellschaft mit 2900 Mitarbeitern neben Einkauf, Personal- und Infrastrukturdienstleistungen (etwa dem Immobilienmanagement) das Gros der IT-Leistung im Konzern: Die Beratung entwirft Konzepte zur Organisations- und Prozesssteuerung, die Entwicklung übernimmt Einführung und Anpassung der Standardsoftware von SAP und Microsoft und entwickelt eigene Applikationen. Zudem verantwortet die IT-Tochter Rechenzentrumsbetrieb und Helpdesk-Funktionen. Der von Ramakrishnan mit zehn Prozent bezifferte Outsourcing-Anteil ist gering. Wie der CIO sagt, erbringt die IT-Tochter ihre Leistung zu Marktpreisen ohne Kontrahierungszwang.

Business critical - ERP in den USA

Für IT-Projekte gelten Laufzeiten von maximal zwei Jahren. Ramakrishnan: "Nach spätestens vier Jahren sollte jedes Projekt einen ROI erbringen." Darauf baut auch die IT- und Budgetstrategie auf. "Es gibt drei Arten von Projekten", sagt der CIO. "Mandatory Projects" - verpflichtende Projekte, wie etwa die Umsetzung gesetzlicher Vorschriften, "Business critical"- und "Value-driven"-Projects.

Die anstehende ERP-Modernisierung in den USA war beispielsweise ein Business-critical-Projekt. "Die Frage war, ob wir ein bestehendes J.D.-Edwards-System upgraden oder uns für eine SAP-Lösung entscheiden", sagt der RWE-IT-Chef. "Wir haben uns für SAP entschieden - es passt besser in unsere Konzernarchitektur. Die Value-driven Projects werden ihrem Wertbeitrag entsprechend priorisiert. Bedingung: Jedem Projekt liegt ein Business Case zugrunde, und der ROI muss deutlich größer sein als die Investitionen, die Costs of Capital. Das war bei der Konsolidierung der Rechenzentren der Fall. So richtet sich das IT-Budget nach geschäftlichen Notwendigkeiten und wird nicht starr festgeschrieben, ganz im Sinne eines Demand-Management - also auch hier kein Top-down-Prinzip. So waren 2004 für IT-Projekte 320 Millionen Euro veranschlagt, von denen aber nur etwa 240 Millionen realisiert wurden. Spielgeld für IT-Kinkerlitzchen nimmt der CIO nicht in die Hand. Doch Ramakrishnan steht nicht nur beim Erfolgsnachweis der IT-Projekte unter Strom. Während im CRM-Bereich die Hälfte der Standardisierungs- und Konsolidierungspläne umgesetzt und die andere Hälfte zumindest definiert ist, gebe es im ERP-Bereich noch eine Menge zu tun.

Eines der bedeutenden Mandatory Projects befindet sich derzeit in der heißen Umsetzungsphase. Daher wird im Konzern nach außen auch ungern darüber gesprochen. "Ein Thema, das die gesamte Energiewirtschaft erdrutschartig bewegt", so ein Unternehmenssprecher. "Natürlich interessiert es die Mitbewerber brennend, wie wir es wohl umsetzen." Es geht um das so genannte Unbundling, die auf EU-Ebene gesetzlich vorgeschriebene Entflechtung von bisher regulierten und wettbewerblichen Unternehmensbereichen. Stromnetz und Vertrieb müssen dabei voneinander getrennt werden.

Das steht dem Ziel, Synergien zu schaffen, diametral entgegen. Der Konzern entschied sich für das "Legal Unbundling". Dabei wurden betreffende Unternehmensbereiche bei der Tochter RWE Energy als eigenständige GmbHs ausgegliedert. Doch auch die IT und das Kommunikationsnetzwerk müssen separiert werden.

Unbundling setzt IT unter Druck

Bei RWE werden zurzeit zusätzlich die Dienstleistungsbereiche Netzservice und Kundenservice in jeder Region ausgegründet. Sie erbringen Dienstleistungen für den regulierten wie auch für den wettbewerblichen Bereich. So seien vier neue Gesellschaften entstanden. Die Herausforderung: Geschäftsprozesse müssen neu definiert werden. Damit erhalten auch viele IT-Systeme einen neuen Zuschnitt. Details zur Umsetzung aber sind dem Konzern nicht zu entlocken. "Der Regulierer verlangt, dass wir das Netz jedem Vertrieb diskriminierungsfrei zur Verfügung stellen. Außerdem muss der Betreiber seine Daten, etwa Kundendaten, von den anderen organisatorischen Einheiten fern halten", sagt der CIO. "Ein ziemlicher Brocken."

Dabei sei die Trennung der IT-Bereiche jedoch nur ein erster Schritt. "Darüber hinaus bauen wir ein Regulationsmanagement auf, denn die Liberalisierung und die Kommunikation mit der kontrollierenden Behörde sind ja ein fortlaufender Prozess."

Nach Ansicht von Analysten ist derzeit keine andere Branche in Deutschland mit solch drastischen strukturellen Veränderungen konfrontiert wie der Energieversorgungssektor: Internationalisierung, Liberalisierung, strenge politische Vorgaben, Atomausstieg. "Allerdings war lange genug bekannt, was auf sie zukommt", sagt Sven Diermeier, Analyst bei Independent Research in Frankfurt. Er sieht den Essener Konzern zudem gut aufgestellt: "Das Portfolio ist bereinigt, man will nun vor allem organisch weiter wachsen."

Ramakrishnan scheint froh zu sein, dass er sich nicht als Einzelkämpfer durchschlagen muss. "Da drüben sitzen bereits RWE Energy und dort RWE-Power", sagt er und zeigt aus seinem Panoramafenster die Lage der Töchter. Wenn der Corporate CIO mit dem Lift aus dem gläseren RWE-Turm hinunterfährt, legt er auch Wert auf räumlich kurze Wege zu seinen IT-Teamkollegen.