Zunächst stellen wir in der Praxis fest, dass bei Besetzung von CIO-Positionen von außen immer mehr Branchenfremde zum Zuge kommen. Seit einigen Jahren lässt sich durchaus von einem Trend sprechen, den es früher in diesem Maße nicht gab. Spezifisches Branchenwissen scheint immer weniger von Bedeutung zu sein, wenn Unternehmen abwägen, welcher von mehreren Kandidaten der optimale künftige CIO ist. Der Mut hat deutlich zugenommen, nicht auf den naheliegenden Kandidaten zurückzugreifen, der im Zweifel vom Wettbewerber kommt.
Die Neugier hat zugenommen
Ich finde das im Grundsatz richtig. Es spricht eine Reihe von Argumenten dafür, Branchenfremden eine Chance zu geben, sofern sie eine exzellente Vita nachweisen können. Zu dem Trend trägt auch bei, dass gute Kandidaten selbst viel interessierter als früher sind, sich in neuen Branchen zu beweisen.
Gerade die jüngeren CIOs möchten nicht mehr ihr ganzes Berufsleben etwa im Maschinenbau oder im Einzelhandel verbringen. Die Neugier, mit einem Arbeitgeberwechsel gleich noch eine neue Branche kennenzulernen, hat spürbar zugenommen. Aus Sicht der Unternehmen zählt derselbe Aspekt. Wer von außerhalb der Branche kommt, bringt einen frischen Blick auf das Geschäftsmodell mit.
Branchen zeigen sich unterschiedlich mutig
Im Zuge der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes in den Nullerjahren konnte man erstmals beobachten, dass diese Branche zielgerichtet nach Leuten für IT-Führungspositionen gesucht hat, die erfahren mit Wettbewerbsmärkten waren. Auch die Konsumgüterindustrie öffnet sich gerne für branchenfremde CIOs. Gleiches gilt derzeit für die Automobilwirtschaft, die mit großem Netz Talente für die Implementierung der Mobilitätskonzepte der Zukunft sucht. Auch die Retail-Iindustrie, bei der früher immer "Stallgeruch" besonders hoch bewertet wurde, öffnet sich langsam für CIOs, die nicht im Handel ihr Rüstzeug erlernt haben.
Der Trend gilt für einen großen Teil der deutschen Wirtschaft, nicht jedoch für Branchen, in denen regulatorische Hindernisse bestehen. So ist bei Banken, Versicherungen und auch in der Pharmaindustrie nach wie vor Branchenkenntnis eine wichtige Voraussetzung, um eine leitende IT- und CIO-Funktion bekleiden zu können.
Google, Amazon & Co. im Lebenslauf macht begehrt
Besonders begehrt sind auf dem CIO-Markt Managerinnen und Manager mit funktioneller Exzellenz, die sich bei den Googles und Amazons dieser Welt ihre Sporen verdient haben. So wie es früher hieß, wenn man jemanden von IBM einstellt, macht man nichts falsch, so sind es heute die großen Tech-Konzerne, die als Kaderschmieden gelten. Daneben werden aber auch Lebensläufe von CIOs immer häufiger, die scheinbar mühelos über traditionelle Branchengrenzen hinweg sich bewegen.
Das Kriterium: Der CIO muss zur Firmenkultur passen
Ein Erfolgsfaktor, ob der oder die Neue auch wirklich von der Organisation angenommen wird, sollte dabei aber nicht unterschätzt werden: Wichtiger als Branchenwissen ist der kulturelle Fit. Passt der CIO zur Firmenkultur? Nur wenn diese Frage positiv beantwortet werden kann, funktioniert auch der Transfer von Best Practice aus einer Branche zur nächsten.
Der Trend zum universell einsetzbaren CIO hängt auch damit zusammen, dass sich die Themen geändert haben. Heute muss der herausragende CIO etwas von Transformation, Digitalisierung, Cloud, Cyber Security, Big Data und Künstlicher Intelligenz verstehen. Branchen-Know-how rückt bei all diesen Herausforderungen in den Hintergrund. Prozesse und Abläufe haben sich in den vergangenen Jahren überdies branchen- und unternehmensübergreifend angenähert.
Zudem werden Führungsthemen für den CIO immer wichtiger. Wenn wir Suchaufträge für wichtige CIO-Positionen bearbeiten, fragen uns die Klienten: Kann der Kandidat gut kommunizieren? Besitzt er ein Verständnis für unsere unterschiedlichen Stakeholder? Ist er businessorientiert? Auch hier spielen Branchenkenntnisse nicht mehr die Hauptrolle. Sich in fachfremde Felder einzuarbeiten gehört ohnehin zur CIO-DNA, weil hohe Abstraktionsfähigkeit und Lernkurven zu seinen Stärken zählen.
Mehr Geld bei Branchenwechsel
Für Wechsel über Branchengrenzen hinweg sprechen aus Kandidatensicht auch Vergütungsaspekte. Innerhalb einer Branche sind bei einem Unternehmenswechsel in der Regel Aufschläge von bis zu 30 Prozent zu erzielen. Dieses Plus kann sich deutlich erhöhen, wenn ein CIO in eine Branche wechselt, die möglicherweise grundsätzlich höher vergütet. Wenn er oder sie dann durch sein/ihr spezifisches Know-how und neue Perspektiven einen besonderen Mehrwert schafft, entsteht für Kandidat und Unternehmen eine Win-Win-Situation.
Wechsel der Branche klappt meistens gut
Festzustellen bleibt, dass CIO-Wechsel über Branchengrenzen hinweg in der Praxis in den meisten Fällen gut funktionieren. Scheitern sie trotzdem, dann eher aufgrund mangelnder IT-Kompetenz oder dem fehlenden kulturellen Fit und nicht wegen des unzureichenden Branchenwissens.