Wie ein Krieg sei die Coronakrise für die USA, sagte New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio im US-Fernsehen. Kurz darauf verkündete er beispiellose Maßnahmen für die Millionenmetropole: Der berühmte Broadway, Museen, Restaurants, Bars, Kinos, Konzerthäuser, Fitness-Studios und das größte öffentliche Schulsystem der USA mit mehr als einer Million Kindern und Jugendlichen - alles muss weitgehend schließen. "Das hier ist eine Krise", betonte de Blasio - und erntete dann einen Sturm an Kritik, weil er kurz vor der Schließung selbst schnell noch einmal in seinem Stamm-Fitnessstudio vorbeischaute.
Die Coronakrise trifft in den USA mit Verzögerung ein, dafür möglicherweise nun aber umso heftiger. Während in anderen Ländern schon drastische Maßnahmen getroffen wurden, lief zwischen New York und Los Angeles noch der ganz normale Alltag. Dabei gab es an der Westküste bereits Mitte Januar einen ersten nachgewiesenen - aus China mitgebrachten - Fall. Der sei unter Kontrolle, betonte die Gesundheitsbehörde CDC immer wieder. Inzwischen gibt es aber starke Indizien, dass dieser und weitere Fälle unentdeckt Infektionsketten auslösten.
Die USA schlittert unvorbereitet in die Coronavirus-Krise
Inzwischen sind in den USA laut CDC mehr als 3.000 Infektionen nachgewiesen worden, mehr als 60 Menschen starben. Die Dunkelziffer dürfte allerdings deutlich höher liegen. Erste Tests, die die CDC ausgeliefert hatte, waren fehlerhaft und konnten nicht benutzt werden. Auf neue warteten die lokalen Behörden tagelang - und noch immer sind die USA von flächendeckenden Tests weit entfernt. Etwas mehr als 25.000 Menschen wurden bislang laut CDC auf den Erreger Sars-CoV-2 getestet - bei einer Bevölkerung von mehr als 327 Millionen Menschen. Pressekonferenzen verschob das CDC unterdessen immer wieder - um sie dann kurzfristig abzusagen.
Sogar Anthony Fauci, Chef des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten, musste kürzlich eingestehen: "Das System ist nicht wirklich darauf getrimmt, was wir jetzt brauchen, lasst es uns zugeben." Und: "Das Schlimmste liegt noch vor uns."
Coronavirus könnte für Trump zum Verhängnis werden
Dem obersten Krisenmanager im Land, US-Präsident Donald Trump, droht die Krise indes zum Verhängnis zu werden. Washingtons Reaktion auf die zunehmende Ausbreitung des Coronavirus sei ein "Fiasko" gewesen, sagte etwa der Direktor des Globalen Gesundheitsinstituts der Elite-Universität Harvard, Ashish Jha. Die Regierung räume dem Thema keinen Vorrang ein. "Wenn die Infektionsraten steigen, haben wir nicht genug Krankenhausbetten, um uns um alle zu kümmern."
Mitten im Wahljahr steht Trump der wohl größten Herausforderung seiner Präsidentschaft gegenüber. Die Rolle des Kümmerers liegt ihm nicht. Noch vor einer Woche warf er seinen Lieblingsfeinden - den Medien und den Demokraten - vor, die Situation aufzublasen, und spielte die Tragweite der Bedrohung durch das Virus herunter. Statt wie Bundeskanzlerin Angela Merkel in trockener Sachlichkeit Maßnahmen zu verkünden, pries Trump in der Manier eines Geschäftsmannes die "großartige Arbeit" seines Coronavirus-Teams an und rühmte sich mit den niedrigen Infizierten- und Opferzahlen. Es gab sogar Berichte, nach denen die USA versucht hätten, sich exklusiv die Rechte an einem Impfstoff zu sichern, den eine Tübinger Firma entwickelt.
Ein US-Präsident ohne Plan
Seit die Finanzmärkte dramatisch auf die Ausbreitung des Coronavirus reagieren, ist auch Trump in den Krisenmodus gewechselt. Erst verkündete er vergangenen Mittwoch einen Einreisestopp für Reisende aus Europa, am Freitag unternahm er einen weiteren Versuch, Entschlossenheit zu zeigen. Bei seinem Auftritt im Rosengarten des Weißen Hauses machte Trump allerdings einen fahrigen Eindruck, verhaspelte sich sogar beim Wort "Coronavirus". Seine Taskforce stand gesammelt hinter ihm. Sicherheitsabstand? Fehlanzeige. Auch Hände schüttelte der Präsident weiter.
Am Montag rief Trump die Amerikaner im Kampf gegen den "unsichtbaren Feind" zum Verzicht auf Reisen und Bar- und Restaurant-Besuche auf und gab - womöglich ohne es zu wollen - zu, dass die Regierung von der Ausbreitung des Virus überrumpelt wurde. "Es kam aus dem Nichts", sagte Trump. "Wir haben ein Problem, über das vor einem Monat noch niemand nachgedacht hat." An Eigenlob sparte er dennoch nicht. Auf einer Skala von eins bis zehn würde er seine Reaktion auf die Krise mit zehn bewerten, so Trump.
Seit der Präsident den nationalen Notstand ausgerufen hat, seit auch die Sportligen ausgesetzt haben und der beliebte Schauspieler Tom Hanks seine Ansteckung mit dem Virus bekannt gemacht hat - seitdem ist auch in den USA vielerorts ein Umdenken angekommen. Eine E-Mail nach der anderen trudelt ein: Erst reduziert das Yoga-Studio die Klassengröße, dann stellt es ganz auf Online-Kurse um. Schulen schließen. Busse zwischen New York und Washington, die vor allem am Wochenende voll sind, werden nicht mehr ausgebucht, um genügend Abstand zwischen den Fahrgästen zu gewährleisten. Die Schlangen in den Supermärkten werden länger, Nudeln, Konserven, Tiefkühlpizza und Toilettenpapier sind auch in den USA vielerorts mittlerweile Mangelware.
Virtuelle Wahlkampfauftritte
Auch am US-Wahlkampf geht die Krise nicht folgenlos vorbei: Die Kandidaten im US-Präsidentschaftsrennen, Joe Biden und Bernie Sanders, schüttelten sich zu Beginn der jüngsten TV-Debatte nicht die Hände und standen im Abstand von fast zwei Metern voneinander entfernt - vor einem leeren Studio. Wahlkampfauftritte finden virtuell statt. Journalisten, die das Weiße Haus betreten, wird seit Montag Fieber gemessen.
Der US-Journalist Seth Doane, der als Korrespondent für den Sender CBS aus Rom berichtet und positiv auf das Coronavirus Sars-CoV-2 getestet wurde, warnt die Amerikaner im Fernsehen und auf Twitter davor, das Virus zu unterschätzen. "Das ist ein schweres Virus mit möglicherweise tödlichen Folgen", schreibt Doane in einem Tweet. "Und sogar wenn du (wie ich) nur milde Symptome hast, ist es unabdingbar, dass wir Quarantäne ernstnehmen und die Ausbreitung des Virus stoppen."
In den USA trifft das Virus auf ein mangelhaft vorbereitetes Gesundheitssystem, das bereits im Normalzustand viele wegen zu hoher Kosten ausschließt. In New York helfen sich viele Menschen erstmal mit Durchhalteparolen. "Wir New Yorker haben doch noch alles überstanden", sagt eine Kundin im Drogeriemarkt. "Wer es hier schafft, der schafft es überall", bekräftigt die Kassiererin. "Wir wissen einfach, wie man überlebt." Währenddessen biegt ein weiterer Kunde in kurzen Hosen um die Ecke: "Hey Leute! Wo finde ich denn die Oster-Süßigkeiten?" (dpa/rs)