Supermann gesucht

Utopische Anforderungen an IT-Freiberufler

11.07.2014 von Oliver Knittel
Der Freiberufler sollte IT-Leiter, Berater, Sicherheits- und Projektmanager gearbeitet haben und sehr gute ITIL-, CobiT-, CMMI- und PMBOK-Kenntnisse mitbringen. Angesichts solcher Projektausschreibungen wundert es nicht, dass es in vielen Projekten zu Fehlbesetzungen kommt.
Oliver Knittel schreibt für das IT-Freelancer Magazin die Kolumne "Freiberufler-Spitzen".
Foto: Oliver Knittel

Neulich stolperte ich über eine interessante Projektausschreibung. Aufmerksam lese ich sie, stutze und lese sie noch mal. Meine Neugier ist geweckt. Die unten aufgeführte Ausschreibung fordert meine ganze Aufmerksamkeit.

Gesucht wird: Prozessberater für IT-Governance-Richtlinien (w/m)
Projekt-ID: PO-4711
Projektstart: ASAP
Voraus. Laufzeit in Monaten: 12 ca.
Stundensatz: 75,00 €
Branche: Versicherungswirtschaft
Skills: Projekt Management Professional (PMI) CMMI / ITIL / CObIT

Das Projekt umfasst folgende Aufgaben: Für unseren Kunden, einen internationalen Konzern, suchen wir ab Januar in Köln einen Prozessberater (w/m) zur Unterstützung im Projekt.Im Projekt soll die Qualitätssicherung und Kommunikation bzw. den einzelnen Stakeholdern unterstützt werden. Des Weiteren soll der Rollout vorbereitet und umgesetzt/betreut werden.

Folgende Erfahrungen werden benötigt:
- tiefgreifende Erfahrungen mit ITIL im RZ-Betrieb und Application Monitoring (Must)
- profunde Erfahrungen mit COBIT (Must)
- sehr gute Erfahrungen mit CMMI (Must)
- sehr gute Erfahrungen mit PMI (PM Book) (Must)

Bei so vielen Abkürzungen kann einem nur der Kopf brummen. Obwohl ich aus der Branche komme und mich im IT-Feld sehr gut auskenne verstehe ich nur dreiviertel der Begriffe. So blicke ich mit Respekt auf den Personalberater, der die Ausschreibung online gestellt hat. Er muss ein echter "Alleskönner" sein. Vor allem scheint er den Unterschied der dargestellten Methoden genau zu kennen, denn sonst würde er ja so eine Ausschreibung nicht veröffentlichen, oder?

Mal davon abgesehen, dass Berater immer und überall verfügbar sein müssen. Nein sie müssen alles wissen, alles können und das bitteschön zu einem Stundensatz von 75,00 €. Besonders, wenn ich mir überlege, dass der Automechaniker in meiner Werkstatt auch schon 80,00 € pro Stunde verlangt.

Ich brüte über der Ausschreibung, um zu verstehen, was genau gefordert wird. Hier stolpere ich zunächst über die Wortwahl. Während die Erfahrungen mit ITIL tiefgreifend sein sollen, müssen sie bei CobiT profund sein, beim Rest immerhin sehr gut. Da frage ich mich doch, wann ich tiefgreifende, wann ich profunde Erfahrungen und wann ich sehr gute Kenntnisse habe? Danach beschäftige ich mich mit den inhaltlichen Anforderungen und betrachte den Rest der Ausschreibung wie ein US-Cop am Tatort.

ITIL

Wenn ich mich recht erinnere, war Itil die historische Hauptstadt des Reichs der Chasaren. Ich hoffe, dass damit nicht der Projektstandort gemeint ist. So gehe ich mal davon aus, dass mit ITIL die IT Infrastructure Library gemeint ist. Das ist eine Sammlung von Regeln, Definitionen und Werkzeugen für den Betrieb einer IT. Verwirrend ist, dass ITIL keine Projektmanagement-Methode, sondern ein durch eine Dokumentensammlung unterstützter Ansatz ist. Die vom Office Government Commerce (OGC), dem Gralshüter über ITIL empfohlene Projektmanagement-Methode ist jedoch PRINCE2. In der Ausschreibung werden aber Must Kenntnisse zum PMBOK gefordert. Das PMBOK ist aber neben PRINCE2 ebenfalls ein Standard für Projektmanagement.

CobiT

Dann werden weitere Methodenkenntnisse gefragt. Mir sagen die Begriffe Cebit und auch der kleine Hobbit etwas, aber was zum Teufel ist CobiT? Ich schaue in Wikipedia und lese "CobiT(Control Objectives for Information and Related Technology) ist das international anerkannte Framework zur IT-Governance und gliedert die Aufgaben der IT in Prozesse und Steuerungsvorgaben". Es geht also im weitesten Sinne um die Sicherheit von IT-Prozessen. Es müssen zum Beispiel die IT-Prozesse so definiert werden, dass niemand eine private CD mit Kontodaten brennen und mitnehmen kann.

CMMI

CMMI bedeutet Capability Maturity Model Integration.Dies bedeutet so etwas wie den Qualitätsstandard eines Softwareentwicklungsprozesses. Darin steckt das Wort Maturity, übersetzt Reifegrad.

Dahinter ist ein schönes Bild aus der Natur. Stellen wir uns einen Apfelbaum vor. Erst blüht der Apfelbaum und die Blüten dürfen nicht erfrieren. Wenn der Apfel zu früh gepflückt wird, ist er sauer und hart. Nur wenn der Apfel lange genug am Baum ist, schmeckt er wirklich gut. Diesen Reifegrad gibt es auch für Softwareorganisationen. Damit nicht genug. Es gibt drei verschiedene Modelle:

Adaptiert auf die Versicherungswirtschaft bedeutet das:

Wieder kann man alles und nichts hinein interpretieren, aber sehr gut sollen die Erfahrungen sein.

PMI

Weiterhin werden "sehr gute Erfahrungen mit PMI (PM Book) (Must)" gefordert. Ich bin Project Management Professional (PMP) und hatte schon mit der Hotline des Project Management Institutes (PMI) zu tun, was aber sicherlich nicht gemeint sein dürfte.

An der Schreibweise PM Book erkenne ich, dass sich der Verfasser nicht wirklich mit dem Thema auskennt. Es gibt natürlich unzählige Mengen an Büchern über Projektmanagement (PM Books). Gemeint sein dürfte aber das Project Management Body of Knowledge (PMBOK). Das ist das Lehrbuch und Standardwerk für die Ausbildung zum PMP. Das schreibt sich aber PMBOK und nicht PM Book.

Für die Prüfungszulassung als PMP sind mindestens 4.500 Stunden Projektmanagement-Erfahrung innerhalb der letzten sechs Jahre Pflicht. Weiterhin muss ein PMP-Vorbereitungskurs von mindestens 35 Stunden besucht und eine anspruchsvolle Prüfung abgelegt werden. Zusammenfassend heißt das:

Herausforderungen für IT-Freiberufler 2014 -
Was sind die wichtigsten Herausforderungen für IT-Freiberufler?
Dafür befragte die COMPUTERWOCHE 1.096 IT-Selbständige. Diese waren im Schnitt 47 Jahre alt, neun von zehn Befragten sind männlich. Drei Viertel sind in der Beratung tätig, fast jeder Zweite im IT-Projektmanagement. 38 Prozent der Freelancer beschäftigen sich mit Entwicklung, jeder Dritte übernimmt Coaching-Aufgaben. Rund ein Fünftel arbeitet in Administration und Support, mit Datenbanken oder in der Qualitätssicherung.
Die Planbarkeit von Anschlussprojekten ...
... ist für jeden zweiten Freiberufler nach wie vor die größte Herausforderung.
Aber auch die Verhandlungen von Stundensätzen ...
... beanspruchen 44 Prozent der befragten IT-Freiberufler.
Hoher Reiseaufwand ...
... beziehungsweise ein weit entfernter Projekteinsatzort macht 34 Prozent der IT-Freiberufler zu schaffen. Für die meisten Kunden ist es selbstverstänlich, dass Freiberufler immer vor Ort arbeiten.
Für regelmäßige Weiterbildung ...
... fehlt jedem dritten Freiberufler die Zeit, so eine weitere Herausforderung.
Hohe Arbeitsbelastung ...
... nennen 32 Prozent der befragten IT-Freiberufler als Herausforderung.
Hohe Weiterbildungskosten ...
... belasten 27 Prozent der befragten IT-Freiberufler.
Gesetzliche Vorschriften und Regelungen, ...
... etwa zur Scheinselbständigkeit erschweren 23 Prozent der befragten IT-Freiberufler die Arbeit.
Hohe fachliche Anforderungen ... durch Projekte
... empfindet jeder fünfte IT-Freiberufler als Herausforderung.
Dass Kunden Projektreferenzen freigeben ...
... und damit dem IT-Freiberufler einen Leistungsnachweis für die nächste Akquise geben, passiert anscheinend nicht immer. Für 11 Prozent der IT-Freiberufler ist das ein Problem.
Flaute oder zu wenig Projektaufträge ...
... sind für zehn beziehungsweise 27 Prozent der befragten IT-Freiberufler ein Problem.

Fazit: Fehlbesetzung ist vorprogrammiert

Gesucht wird ein Freiberufler, der schon als IT-Leiter, Berater, Sicherheits- und Projektmanager gearbeitet hat. In diesen Rollen, die erst mal nicht viel miteinander zu tun haben, soll man profunde, tiefgreifende und sehr gute ITIL-, CobiT-, CMMI- und PMBOK-Kenntnisse erworben haben.

Oder anders ausgedrückt: Gesucht wird der "Freiberufler-Superman"

Der Versicherer sucht aber keinen Superman, sondern einen Berater für IT-Prozesse. Jedes Unternehmen muss IT-Governance Richtlinien erfüllen. Speziell hierfür gibt es Prozesse, die dafür sorgen, dass die Richtlinien eingehalten werden.

In meinen Augen ist jedoch bei dieser Ausschreibung eine Fehlbesetzung gerade zu vorprogrammiert. Das führt bei Freiberuflern oft dazu, dass sie viel Geld für Zertifikate ausgeben, weil diese in den Ausschreibungen immer wieder gefordert sind.

Von Personalvermittlern erwarte ich, dass sie wissen, was sie fordern und nicht nur einfach Profile durchreichen. Vielmehr sollten sie in intensiven Gesprächen mit dem Kunden diskutieren, welche Anforderungen wirklich wichtig sind und welche nicht. Hierzu gehört auch, etwas zurückhaltender mit Muss-Anforderungen umzugehen und im Einzelfall den Kunden auch darauf hinzuweisen, dass es bestimmte Qualifikationen in der Kombination auf dem Markt nicht gibt.

Der Artikel erschien im IT-Freelancer-Magazin.