IT ersetzt Fragebögen

Verfassungsbeschwerde gegen Zensus 2011

15.07.2010 von Johannes Klostermeier
IT-Dienstleister unterstützen das Statistische Bundesamt. Die Volkszählung soll erstmalig ausschließlich als "registergestützter Zensus" durchgeführt werden. Moderne IT und BI-Anwendungen sollen bei der Durchführung helfen.

Volkszählungsgegner wollen am Freitag, den 16. Juli, Verfassungsbeschwerde gegen den Zensus 2011 einreich. Zugleich informieren die ersten IT-Unternehmen die Öffentlichkeit darüber, das sie Komponenten für den erstmals registergestützten Zensus entwickeln. Mehr als 10.000 Menschen haben nach Angaben des „Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung" bereits die Verfassungsbeschwerde gegen die Volkszählung 2011 online unterstützt. Unter www.zensus11.de wollen sie damit gegen die Erfassung und Zusammenführung ihrer persönlichen Daten protestieren.

Laut einer EU-Verordnung sind jedoch alle EU-Mitgliedsstaaten im Jahr 2011 dazu verpflichtet, neue Zensusdaten anhand eines festgelegten Merkmalkatalogs bereitzustellen. In Deutschland ist im Jahr 2009 das Zensusgesetz 2011 in Kraft getreten, das die zu erhebenden Merkmale vorgibt.

Bei der der letzten Volkszählung 1987 gab es bekanntlich sehr viel Streit. Viele Menschen fürchteten den „gläsernen Mensch im Überwachungsstaat". Damals sollten alle Bundesbürger einen Fragebogen ausfüllen, damit der Staat Planungssicherheit und Daten für den internationalen Vergleich bekommt. Laut UNO-Entschluss sollen die Daten alle zehn Jahre, immer am Anfang einer neuen Dekade, erneuert werden. Die für 1981 geplante Befragung wurde nach den Protesten zunächst ausgesetzt, bis das Bundesverfassungsgericht 1983 das „Grundrecht eines jeden auf informationelle Selbstbestimmung" formulierte. Der Volkszählungs-Fragebogen wurde daraufhin neu konzipiert; alle Daten, die Rückschlüsse auf die Personen zuließen, wurden von den Fragebögen getrennt.

Im kommenden Jahr 2011 soll es nun erneut eine Datenvollerhebung geben. Doch anders als bisher wird es keine Fragebögen mehr geben. Mit der registergestützten Volkszählung wird erstmals ein neues Verfahren eingeführt, in dem hauptsächlich vorhandene Verwaltungsregister zur Datenermittlung genutzt werden. Die Realisierung und Implementierung des neuen Verfahrens sowie die anschließende Datenkonsolidierung erfordern eine umfangreiche und zuverlässige IT-Unterstützung.

2011 nur noch eine kleine Stichprobe

Durch IT-Anwendungen aus dem Bereich der Business Intelligence (BI) sollen dieses Mal die Daten aus den vorhandenen Dateien zusammen geführt werden. Die für Volkszählungen in Deutschland bis 1987 übliche Befragung aller Einwohner wird dabei durch eine Auswertung von Verwaltungsregistern wie die Melderegister der Kommunen und Register der Bundesagentur für Arbeit ersetzt.

Die registergestützte Datenerhebung wird durch eine repräsentative Stichprobenerhebung bei rund zehn Prozent der Bevölkerung und eine schriftliche Befragung aller Eigentümer von Wohngebäuden und Eigentumswohnungen ergänzt. Durch das geplante Verfahren sollen zuverlässigere Ergebnisse produziert und gleichzeitig erhebliche Kosten eingespart werden. Darüber hinaus wird ein Großteil der Bürger von der Pflicht zur Auskunft entlastet.

Das Statistische Bundesamt ist für die Konzeption, Entwicklung und den Betrieb der Teilsysteme Anschriften- und Gebäuderegister, Melde- und Erwerbsdatenregister sowie für das Metadatensystem zuständig. Das Dortmunder IT-Beratung- und Systemintegrationsunternehmen Adesso hat mit dem Statistischen Bundesamt einen zweijährigen Rahmenvertrag zur Entwicklung von IT-Komponenten für die bundesweite registergestützte Volks-, Gebäude- und Wohnungszählung erhalten und übernimmt nach eigenen Angaben die Entwicklung bestimmter IT-Komponenten im Rahmen des für 2011 geplanten EU-weiten Zensus

Die für Volkszählungen in Deutschland übliche Befragung aller Einwohner wird durch eine Auswertung von Verwaltungsregistern ersetzt.
Foto: Flickr/rpongsaj

Adesso hat dabei die Ausschreibung eines Teilprojekts zur Weiterentwicklung des Anschriften- und Gebäuderegisters sowie zur Konzeption des Melde- und Erwerbsdatenregisters gewonnen. In einem Rahmenvertrag über zwei Jahre übernimmt das Unternehmen die Implementierung und Wartung der im Teilprojekt enthaltenen Software-Komponenten. Mit Unterstützung der SQS (Software Quality Systems) werde man in einem Teilprojekt des Statistischen Bundesamtes die Weiterentwicklung des IT-Konzeptes für den Zensus 2011 unterstützen.

In der ersten Phase des IT-Vorhabens sei mit der Realisierung erster Funktionen des Anschriften- und Gebäuderegisters begonnen worden. Darauf aufbauend folge in der zweiten Projektphase die Weiterentwicklung dieser Arbeiten sowie die Konzeption und Entwicklung des Melde- und Erwerbsdatenregisters und des Metadatensystems.

Datenschutz wird groß geschrieben

Im Rahmen der Projektrealisierung werden vom Statistischen Bundesamt jeweils Einzelaufträge vergeben. Diese umfassen in den unterschiedlichen fachlichen Themenfeldern die Erarbeitung von Lastenheften, die Entwicklung von Pflichtenheften sowie die Implementierung und Dokumentation. „Um die gesamte Bandbreite der Projektanforderungen abdecken zu können, haben wir für jedes Teilprojekt ein Expertenteam mit fundiertem Know-how in dem jeweiligen Bereich zusammengestellt", sagte Rüdiger Striemer, Vorstand bei Adesso für Software Development.

Kritiker wie die Bremer Rechtsanwältin Eva Dworschak befürchten, dass die Zuordnung der Daten aus der Volkszählung durch eine eindeutige Personenkennziffer bis zu vier Jahre oder länger möglich sein wird.

„Die Ergebnisse aus dem Zensus 2011 stehen unter besonderer Beachtung von Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft. Auf Basis unserer Erfahrungen in komplexen Projekten und unserer Entwicklungskompetenz schaffen wir beste Voraussetzungen zur Absicherung des Projekterfolgs sowie für die Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt und den anderen beteiligten Unternehmen."

Die Verfassungsbeschwerde-Einreicher bleiben skeptisch: „Eine besondere Gefahr sehe ich darin, dass die Zuordnung der Daten aus der Volkszählung 2011 durch eine eindeutige Personenkennziffer bis zu vier Jahre oder gar länger möglich sein wird", sagt die Bremer Rechtsanwältin Eva Dworschak, die die Beschwerdeschrift vorbereitet. Eine solche Ordnungsnummer hätte das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 jedoch ausdrücklich verboten. „Die hohen Kosten des Millionenprojekts verstossen in ihrem Gesamtvolumen außerdem gegen das im Grundgesetz verankerte Grundsatzgebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit", so Dworschak weiter.

Durch den Zensus entdeckte Fehler in den Melderegistern dürfen nicht wieder an die Verwaltung zurück gespielt werden, verspricht das Statistische Bundesamt.

Einer der wichtigsten Punkte bei der Vorbereitung und Durchführung des registergestützten Zensus werde die strikte Einhaltung der Datenschutzgesetze sein, verspricht das Statistische Bundesamt. Es gelte zudem der Grundsatz der strikten Trennung von Verwaltung und Statistik. So dürfen durch den Zensus entdeckte Fehler in der Melderegistern nicht wieder an die Verwaltung zurück gespielt werden.

„Dadurch, dass wir jetzt einen Zensus und keine Volkszählung mehr durchführen, ist erstmals der Einsatz von Informationstechnologie möglich", so ein Sprecher des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden. „Erst durch den Einsatz besonders leistungsfähiger Datenverarbeitungsprogramme ist ein korrektes Zusammenspielen solch großer Datensätze unterschiedlicher Herkunft möglich geworden, wobei die Hilfsmerkmale nicht dauerhaft von der amtlichen Statistik gespeichert werden", sagte Sabine Bechtold, Leiterin der Abteilung Bevölkerung, Bildung, Staat im Statistischen Bundesamt.

Bundesverfassungsgericht kann Zensus noch stoppen

Der Zensus 2011 wird zur Ermittlung aktueller Bevölkerungs- und Wohnungszahlen durchgeführt. Die Fortschreibung der derzeitigen Zahlen beruht auf der letzten Volkszählung aus dem Jahr 1987 (1981 in der DDR). Durch die gesellschaftlichen Umbrüche in den letzten Jahrzehnten sind diese Daten nicht mehr aussagekräftig.

Da genaue Bevölkerungszahlen aufschlussreiche Informationen liefern, sei eine neue Erhebung dringend erforderlich. Zuverlässige Planungen, beispielsweise für öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser oder für die Anpassung der sozialen Sicherungssysteme an den demografischen Wandel sowie die Festlegung des Finanzausgleichs der Bundesländer, könnten nur auf der Grundlage verlässlicher Daten getroffen werden.

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der jetzt wegen des Zensus 2011 vor das Bundesverfassungsgericht zieht, war im März dieses Jahres erfolgreich gewesen. Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verstoße gegen das Grundgesetz, entschied das Bundesverfassungsgericht damals. Die Richter erklärten die seit 2008 geltende gesetzliche Regelung zur massenhaften Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten für verfassungswidrig und nichtig, weil sie das Telekommunikationsgeheimnis verletzte, so die Begründung des ersten Senats.