Bettina Uhlich und Heinz-Günter Lux

Verhilft die Chemiebranche der Blockchain zum Durchbruch?

18.06.2021 von Redaktion CIO
In vielen Umfragen landet die Blockchain-Technologie auf den hinteren Plätzen, wenn es um bedeutende IT-Trends geht. Evonik-CIO Bettina Uhlich und ihr Kollege Heinz-Günter Lux schreiben, warum das nicht so bleiben wird.

Die Diskussion ist allgegenwärtig: Ist die Blockchain schon gescheitert? Oder wird die Technologie ihren Siegeszug erst noch antreten? Bettina Uhlich, CIO des Spezialchemiekonzerns Evonik und Präsidentin des Anwendervereins, hat dazu gemeinsam mit ihrem Kollegen Heinz-Günter Lux, Senior Digital Strategist bei der Konzerntochter Evonik Digital, das Buch Blockchain - Wirtschaft im Umbruch verfasst. Die Autoren sind davon überzeugt, dass die Revolution gerade erst beginnt. Und ihrer Ansicht nach wird ausgerechnet die Chemie-Industrie zum wichtigsten Treiber der noch immer jungen Technologie.

Kommt er doch, der große Siegeszug der Blockchain-Technologie? Und wird er ausgerechnet von der Chemischen Industrie ausgehen? Die Buchautoren Bettina Uhlich und Heinz Günter Lux halten das für gut möglich.
Foto: Wiley

Über die Blockchain und Distributed-Ledger-Technologien im Allgemeinen ist in den vergangenen Jahren viel geschrieben worden: manchmal euphorisch, oft überkritisch und sehr oft inhaltlich zäh und unverständlich. Das ist in diesem, keineswegs nur für die Chemiebranche interessanten Buch anders. Die Autoren argumentieren anschaulich und verlieren dabei die Perspektive der wirtschaftlichen Praxis und des Nutzens nie aus den Augen.

Vertrauen ersetzt Wissen

Uhlich und Lux beginnen mit grundsätzlichen Überlegungen darüber, dass es bei der Blockchain im Kern immer darum gehe, Vertrauen durch Wissen zu ersetzen - etwa bei Finanztransaktionen, in der Zusammenarbeit in globalen Lieferketten oder im Handel mit digitalen Gütern. Was klein anfange, werde immer größere Dimensionen annehmen und könne letztendlich den Eintritt der Menschheit in die vielzitierte Wissensgesellschaft bedeuten, so das Autorenduo.

Die Funktionsweise der Blockchain
Blockchain
Blockchain wird in den kommenden Jahren zur Schlüsseltechnologie in der IT werden.
(1) Transaktion
Die Transaktion ist die elementare Grundeinheit der Blockchain. Zwei Parteien tauschen Informationen miteinander aus. Dies kann der Transfer von Geld oder Vermögenswerten, der Abschluss eines Vertrags, eine Krankenakte oder eine Urkunde sein, die digital gespeichert wurde. Transaktionen funktionieren im Prinzip wie das Versenden von E-Mails.
(2) Verifizierung
Die Verifizierung prüft, ob eine Partei die entsprechenden Rechte für die Transaktion hat. Die Prüfung erfolgt augenblicklich oder es wird in eine Warteschlange geschrieben, die die Prüfung später durchführt. An dieser Stelle werden Knoten, also Computer oder Server im Netzwerk, eingebunden und die Transaktion verifiziert.
(3) Struktur
Die Transaktionen werden zu Blöcken zusammengefasst, wobei diese mit einer Hash-Funktion als Bit-Nummer verschlüsselt werden. Die Blöcke können durch die Zuweisung des Hash-Wertes eindeutig identifiziert werden. Ein Block enthält einen Header, eine Referenz auf den vorhergehenden Block und eine Gruppe von Transaktionen. Die Abfolge der verlinkten Hashes erzeugt eine sichere und unabhängige Kette.
(4) Validierung
Bevor die Blöcke erzeugt werden, müssen die Informationen validiert werden. Das am meisten verbreitete Konzept für die Validierung von Open-Source-Blockchains ist das „Proof of Work“-Prinzip. Dieses Verfahren stellt in der Regel die Lösung einer schweren mathematischen Aufgabe durch den Nutzer beziehungsweise dessen Computer dar.
(5) Blockchain Mining
Der Begriff Mining stammt aus der Bergbau und meint das „Schürfen“. Bei diesem Vorgang wird der Block erzeugt und gehasht. Um zum Zug zu kommen, müssen die Miner ein mathematisches Rätsel lösen. Wer als Erstes die Lösung hat, wird als Miner akzeptiert. Der Miner erhält für seine Arbeit ein Honorar in Form von Kryptowährung (Bitcoin).
(6) Die Kette
Nachdem die Blöcke validiert wurden und der Miner seine Arbeit verrichtet hat, werden die Kopien der Blöcke im Netzwerk an die Knoten verteilt. Jeder Knoten fügt den Block an der Kette in unveränderlicher und unmanipulierbarer Weise an.
(7) Verteidigung
Wenn ein unehrlicher Miner versucht, einen Block in der Kette zu ändern, so werden auch die Hash-Werte des Blockes und der nachfolgenden Blöcke geändert. Die anderen Knoten werden diese Manipulation erkennen und den Block von der Hauptkette ausschließen.

Dass ausgerechnet die Chemiebranche vorangehen und in der Rolle eines Technologietreibers den Weg in eine solche Wissensgesellschaft bahnensoll, scheint auf den ersten Blick ein wenig utopisch. Doch die Autoren haben gute Argumente:

"Es mag einige überraschen, weil viele die Chemieindustrie gar nicht auf dem Schirm haben, schauen die meisten doch beim Thema disruptive Technologien in Richtung Silicon Valley oder Finanzindustrie, die das Thema Blockchain bisher vorangetrieben hat. Die Chemieindustrie hat jedoch ein Pfund, mit dem sie wuchern kann. Als eine der ganz wenigen Industrien ist sie mit der gesamten produzierenden Industrie vernetzt, sie steht mit ihren Produkten am Anfang vieler Lieferketten - und zwar weltweit.

Wenn ein solcher Player mit ins Spiel kommt und die Blockchain-Technologie in das Herz seiner globalen IT-Prozesse einpflanzt, dann wird es ernst.Denn die Geschäftspartner und Kunden, die sich auf allen Kontinenten verteilen, müssen mitgehen. Genau diese Entscheidung ist in der Chemieindustrie gefallen. Drei der Blockchain-Pilotprojekte werden in diesem Buch vorgestellt: Themis, Circularise PLASTICS und ReciChain. Namhafte Player der Branche sind dabei: BASF, Covestro, Evonik."

In der Wirtschaft wird die Private Blockchain wichtig

Das Buch geht im Detail darauf ein, welche Rolle insbesondere die Private Blockchain für diese, aber auch für viele andere Industrien spielen kann:

"Dieses Verfahren geht wesentlich schneller als die monumentalen Rechenoperationen im Proof-of-Work-(PoW-)Verfahren, deren Datensatz zudem immer größer wird je mehr die Blockchain mit Daten gefüttert wird. Das würde in einer Lieferkette einfach zu lange dauern. Im Unterschied zur öffentlichen Blockchain kann der neue Datenblock auf einer privaten Blockchain auch geändert werden, aber nur dann, wenn alle Knoten sich dazu bereit erklären. Doch um eine illegale Manipulation handelt es sich dabei nicht, weil es mit Einwilligung aller geschieht, und zum anderen, weil die Änderung eine Spur hinterlässt, einen weiteren Datenblock. Die Änderung kann präzise zurückverfolgt werden. Alles ist sichtbar.

Dennoch gilt jegliche rückwirkende Datenveränderung auf der Blockchain bei Vertretern der reinen Blockchain-Lehre als absolutes No-Go, ist aber im industriellen Zusammenhang nützlich, beispielsweise, wenn in die Blockchain falsche Daten eingespeist wurden und auf dieser Basis nun alle weiteren Operationen vorgenommen werden würden. Dann lohnt eine Korrektur im Einvernehmen mit allen Beteiligten. Eine für die Zukunft bedeutende Alternative ist die sehr effiziente Proof of Authority Consensus Methode (PoA), die auf der Europäischen Blockchain Infrastruktur (EBSI) zum Einsatz kommt."

Wie gelingt es, Lieferketten mit der Blockchain-Technologie hocheffizient abzubilden? Welche Rolle spielt dabei digitales Geld?Warum lassen sich mit der Technologien Korruption und Geldwäsche bekämpfen und was bedeutet die lückenlose Rückverfolgung von Lebensmitteln und Textilien für Wirtschaft und Verbraucher? Wer sich mit den vielen Möglichkeiten der Blockchain-Technologie vertraut machen und in einer verständlichen Sprache mehr darüber lernen will, der sollte bei diesem Buch zugreifen! (hv)