„Ein Schritt nur, vor uns ist die See, dahinter liegt New York", heißt es in einem Lied der Gruppe Element of Crime. Vom europäischen Meeresufer aus ist Big Apple weit weg. Man darf davon träumen; aber ein Schiff wird ohne Plan für die Atlantikdurchquerung niemals dort angekommen. In der IT – ebenfalls in europäischer Perspektive – ist Big Data das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Business Intelligence (BI) der Ozean. Und der Plan für die Überfahrt, nun ja, der fehlt weithin. Das zeigt eine aktuelle Studie der Berater von Steria Mummert. Wie der „Business Intelligence Maturity Audit" (biMA) in aller Drastik offenbart, hat Big Data nur für 7 Prozent der europäischen Firmen hohe Relevanz. Und das kann wohl nicht anders sein, solange bei einem Steinzeit-Thema wie BI noch allenthalben Konzeptlosigkeit herrscht.
"Achillesferse" Datenqualität
Um im obigen Bild zu bleiben: Folgt man den Studienergebnissen, sind die meisten Anwender noch nicht einmal im Hafen angekommen, von dem sich ins Big Data-Land der unbegrenzten Analyse-Möglichkeiten aufbrechen ließe. Stattdessen kämpfen 38 Prozent mit lausiger Datenqualität, von Steria Mummert als „Achillesferse von BI" apostrophiert. 72 Prozent der mehr als 650 befragten Unternehmen – 40 Prozent davon aus Deutschland – geben an, keine BI-Strategie zu haben. 70 Prozent verfügen nicht über BI-Governance. Darüber hinaus schlagen sich viele Firmen mit dem Problem herum, überhaupt Experten für dieses Feld zu finden.
Vor diesem Hintergrund scheint flächendeckend der leiseste Ansatz zu fehlen, sich überhaupt mit Big Data zu beschäftigen. Die Ergebnisse von Steria Mummert schmettern jeglichen Gedanken daran nieder, dass hinter dem Thema momentan mehr steckt als ein Anbieter-Hype. Und daran, dass die faszinierenden technologischen Möglichkeiten, die sich etwa auf Basis von Innovationen wie SAPs In-Memory-Datenbanktechnologie HANA ergeben, in Bälde ausgeschöpft werden könnten.
Steria Mummert selbst betont zwar die Bedeutung des Themas. „Als Firmen aller Größen und Branchen betreffender Trend wird Big Data ein entscheidender Erfolgsfaktor für Unternehmen sein, die wachsen wollen sowie produktiv und wettbewerbsfähig sein möchten", sagt Patricia Langrand, Executive Vice President des Beratungshauses. „Ignoranz gegenüber dem Veränderungspotenzial von Big Data wird immer mehr Unternehmen auf der Strecke bleiben lassen." Sollte das in kurzer Frist so sein, sind wohl ziemlich viele Firmen dem Untergang geweiht.
Echtzeit-Analyse nicht gefragt
Die frappierenden Resultate der Studie lesen sich so: Nur 9, 8 und 4 Prozent der Anwender sehen in Echtzeit-Analyse, Skalierungsoptionen als Antwort auf steigende Datenmengen und Support für vielfältig strukturiertes Datenmaterial wichtige Herausforderungen. Just die drei Merkmale also, die das Wesen von Big Data überhaupt erst definieren, landen damit in einer Rangliste der 15 größten Herausforderungen – genau! – auf den Plätzen 13, 14 und 15.
„Das Big Data-Zeitalter ist noch nicht angebrochen – Volumen, Vielgestaltigkeit und Schnelligkeit werden noch nicht als große Herausforderungen gesehen", heißt es in der Studie. Ansatzpunkte für einen Big Data-Aufschwung gibt es offenbar nur in Unternehmen mit mehr als 50 Terabyte an Datenvolumen. Diese Anwender-Gruppe äußert zumindest erhöhten Skalierungsbedarf. Das Interesse an beschleunigter Analyse lässt hingegen bei den ganz großen Firmen mit mehr als 100 Terabyte bereits wieder erkennbar nach. Die Datenvielfalt tangiert große Unternehmen offenbar genauso peripher wie die Wettbewerber mittlerer und kleiner Größe.
Immerhin haben die Großunternehmen die BI-Herausforderung Nummer Eins – Datenqualität – etwas besser im Griff als der Rest, weshalb sie gefühlt eben etwas stärker unter der zweitgrößten Herausforderung – fehlender Strategie – leiden müssen. Insgesamt nennen wie erwähnt 38 Prozent die Datenqualität als größte BI-Herausforderung. Ein Drittel gibt an, keine allgemeine akzeptierte BI-Strategie im Einsatz zu haben. Um Konfusion mit einer oben angeführten Zahl vorzubeugen: 70 Prozent der Befragten haben keine BI-Strategie; 33 Prozent betrachten eben das als Herausforderung.
BI Competence Center gegen fehlende BI-Skills
Ein Viertel der Unternehmen nennt als Herausforderung ungenügende interne BI-Kompetenzen. Es fehlt also offenkundig an Personal mit umfassenden BI-Skills. Steria Mummert schlägt vor, hier mit der Bündelung der fachlichen Ressourcen in einem BI Competence Center (BICC) Abhilfe zu schaffen. Jeweils mehr als ein Fünftel der Befragten führen als ungelöste Herausforderungen die hohe Komplexität der IT-Landschaft, die fehlende Unterstützung für BI im Top-Management sowie einen Mangel an verfügbaren Prozessen und Ressourcen an. Ferner sorgen auch fehlende Konsistenz, Übersichtlichkeit und Transparenz, zu geringe Flexibilität und Performance sowie ein schlechtes Preis-Leistungsverhältnis für Verdruss. 17 Prozent klagen, dass die User die vorhandenen BI-Systeme nicht annehmen.
Schlechter als in der biMA-Studie für BI kann ein Zeugnis kaum ausfallen. Beispiele dafür finden sich in der Studie gefühlt auf fast jeder der 84 Seiten. So nutzen 83 Prozent der Befragten BI fürs Reporting; alle anderen Funktionalitäten kommen aber in höchstens der Hälfte der Firmen zum Einsatz. Steria Mummert schlussfolgert mit Recht: Offenbar kaufen die Anwender die in aller Regel teuren BI-Pakete, lassen aber fast den kompletten Inhalt ungenutzt.
Integration falsch angepackt
Erstaunlich außerdem: Beinahe durch die Bank halten die Anwender an der Annahme fest, unbedingt einen „single point of truth", also eine Konzentration aller Daten an einem einzigen Ort, schaffen zu müssen. Genau das hat aber in der Vergangenheit allzu selten funktioniert, was ja eine der Hauptursachen für den BI-Verdruss ist. Steria Mummert betrachtet dieses Konzept in heterogenen Architekturen mit Virtualisierung, verteilten Prozessen und kombinierten Ablageorten für nahezu illusorisch. Von einen „unrealistischen Traum" sprechen die Berater, der nur mit massiven Geldern überhaupt Wirklichkeit werden könne. Besser geeignet seien für die Zukunft flexiblere Konzepte der Datenintegration.
Bemerkenswert ist ferner, dass es BI nicht nur immer noch an Reife fehlt, sondern dass diese sogar zum Teil abnimmt. Steria Mummert erhob analoge BI-Studien bereits in den Jahren 2004, 2006 und 2009. Seither hat der Reifegrad lediglich bei den Funktionalitäten (Nutzungsgrad, Informationsarchitektur, Durchdringungsgrad) auf jetzt 3,2 Punkten auf einer 5er-Skala zugelegt. Bei der Organisation (BI-Management, Kundenmanagement, Data Governance & Information Management, Application & Infrastructure Management, Supplier Management) und bei der der Technologie (Architektur & Infrastruktur, Datenmanagement, Reporting & Analytics) schrumpfte der BI-Reifegrad leicht auf die Werte 2,8 und 3,0. In diesen beiden Bereichen sprechen jeweils höchstens 20 Prozent von hoher Reife, bei der Funktionalität ist es ein Drittel.
Wer angesichts des hohen Anteils an deutschen Unternehmen unter den Studienteilnehmern annimmt, dass Firmen aus der DACH-Region in nicht unerheblichem Maße mitverantwortlich für die teilweisen desaströsen Ergebnisse sind, liegt zum Teil richtig. Die Qualität der durch BI bereitgestellten Informationen wird nirgendwo schlechter bewertet als hierzulande. Und das gilt für jedes einzelne Kriterium wie Vollständigkeit, Klarheit, Genauigkeit oder Pünktlichkeit. Aber es gibt auch für Deutschlands BI ein bisschen Licht: Nirgendwo ist die Datenintegration weiter fortgeschritten.
Die nicht ausgereizten Potenziale
Das nicht ausgereizte BI-Potenzial fasst in der Studie sehr schön eine Grafik zusammen, die BI-Technologien hinsichtlich Relevanz und Zielerreichung einordnet. Luft nach oben hat bei diesen beiden Dingen jede der aufgelisteten Technologien. Bei einer Reihe von mittelprächtig eingeordneten Kandidaten scheint die Ampel immerhin auf Grün zu stehen, zum Beispiel Self-Service BI, Logical Data Warehouse oder analytische Datenbanken. In der Warteschleife, also auf Gelb, hängen etwa Collaborative BI, Mobile BI und Agile BI. Sogar auf Rot stehen unter anderem BI aus der Cloud oder die Analyse von Social Media. Hier ordnet Steria Mummert übrigens auch Big Data ein.
In den IT-Abteilungen steht Big Data übrigens noch weniger hoch im Kurs als in den Fachabteilungen. 30 Prozent der Business-User bescheinigen dem Thema eine gewisse Bedeutung, um das Kundenpotenzial besser kennenlernen zu können. In der IT liegt der Anteil nur bei 23 Prozent.