Mobile- und Online-Payment-Anbieter wie Paypal revolutionieren den Zahlungsverkehr. Peer to Peer-Plattformen wie Lending Club setzen neue Impulse in der Kreditwirtschaft und Google mischt mit der Vergleichsplattform "Compare" die Karten im Versicherungsvertrieb neu: Die Vorboten der neuen Finanzdienstleistungswelt werden von den etablierten Spielern im Markt zunehmend als ernstzunehmende Konkurrenten wahrgenommen.
Dies belegt nicht zuletzt eine Studie zur Digitalisierung in der Assekuranz, für die Accenture europaweit 78 führende Versicherungsunternehmen befragt hat ("Der digitale Versicherer 2013").
In Zukunft kommen Wettbewerber außerhalb der Versicherungen
Für Deutschland erwarten 86 Prozent der Befragten eine signifikante Intensivierung des Wettbewerbes im Vertrieb, der höchste Wert für ganz Europa. Schon heute gehen fast zwei Drittel der Branchenvertreter davon aus, dass wesentliche Entwicklungen in Zukunft von Wettbewerbern aus dem Lager der Nicht-Versicherer wie Google oder Amazon herrühren werden.
Und diese verfügen dabei nicht nur über das notwendige technologische Know-how, kommen sie doch letztlich aus dem Feld der IT, sondern auch über umfangreiche Kundendaten und somit über weitreichende Erfahrungen in Hinblick auf das Kundenverhalten in der digitalen B2C-Welt.
Die stetige Verbesserung der Kundenerlebnisse ist Teil der Unternehmens-DNA dieser neuen Wettbewerber und genau dies ist auch die strategische Waffe im Kampf um Marktanteile im Versicherungsvertrieb. Dieses Wissen, den "neuen Deal" mit den Versicherungsnehmern der Zukunft, muss sich die Assekuranz erst noch erarbeiten.
Massive Investitionen für Digitalisierung geplant
So verwundert es auch nicht, dass die Branche in den kommenden Jahren massiv in den Ausbau der digitalen Interaktions- und Vertriebskanäle investieren will. Fast 80 Prozent der europäischen Versicherer planen einen Ausbau der Investitionen. 27 Millionen Euro sollen durchschnittlich in diesen Bereich fließen. Bis 2016 könnte damit der Jahresabsatz von Sach-, Unfall- und Lebensversicherungen über digitale Kanäle in Europa auf 18 Prozent des Neugeschäftsvolumens und damit bis zu 25 Milliarden Euro ansteigen - eine Verdoppelung des Jahresniveaus von 2012.
Dies markiert einen ersten Schritt zum radikalen Umbruch der Branche. Denn das neue Geschäftsmodell kann nur digital sein. Erst der nachhaltige Veränderungsprozess bietet die Grundlage für Kundeninteraktionen und damit für die Information, Beratung und den Verkauf sowie die zukünftige Begeisterung der Kunden. Schließlich nutzen diese tagtäglich Produkte und Dienstleistungen, die durch ein hohes Maß an Bequemlichkeit, Einfachheit und Geschwindigkeit gekennzeichnet sind. Damit liegt die Messlatte auch für die Assekuranz deutlich höher als in der Vergangenheit.
Das gilt insbesondere für die heranwachsende "digitale Generation", welche daran gewöhnt ist, Bücher, Elektronik, Musik, Reisen und viele Dinge des täglichen Bedarfs ganz selbstverständlich online zu kaufen. Versicherer tun daher gut daran, mit einer klaren Strategie und ressortübergreifender Verantwortlichkeit in Fähigkeiten und Ressourcen zu investieren, mit denen sich das Erlebnis der Kunden bei jedweder Interaktion mit ihrem Anbieter verbessern und intensivieren lässt.
Rote Laterne made in Germany
Besonders in Deutschland besteht deutlicher Nachholbedarf. Natürlich ist der hiesige Markt in einigen Segmenten ungleich konservativer. Das Spektrum reicht hier von der hohen Bargeldneigung über die Sorge um private Daten bis hinein in den Online-Versicherungsvertrieb. So liegt der aktuelle Digitalvertriebsanteil im Bereich der Sach- und Unfallversicherungen hierzulande bei lediglich drei Prozent im Vergleich zu 37 und 17 Prozent in Großbritannien und Skandinavien.
Die rote Laterne Europas ist hier zu Hause, obgleich die Ursachen auch in der Branche selbst liegen. So erweist sich gerade die Stärke der Vergangenheit - der physische Vertrieb - mitunter als Hemmschuh der Digitalisierung. Die Durchsetzung von Veränderungen in diesen Vertriebskanälen, so etwa bei den rund 250.000 in Deutschland registrierten Versicherungsvermittlern, deren künftige Rolle massiv auf dem Prüfstand steht, beschert eine hohe Komplexität. Dies konstatieren fast alle Branchenvertreter.
Hinzu kommen weitere Digitalisierungsbarrieren wie Beschränkungen in den bestehenden IT-Systemen und die fehlende Agilität ihrer Organisation. All das gilt es in den nächsten Jahren anzugehen und zu lösen.
Chance für ein neues kundenzentriertes Geschäftsmodell
Digitalisierung bedeutet für Versicherer weit mehr als nur den Aufbau neuer Vertriebs- oder Kontaktkanäle. Sie bietet die Chance für einen gänzlich neuen Weg, ein neues, kundenzentriertes Geschäftsmodell. Davon sind alle strategischen und funktionalen Bereiche über die gesamte Wertschöpfungskette der Versicherer hinweg betroffen.
Immer in Verbindung sein, ganz nahtlos und egal ob über Telefon, die eigene Website, Mitarbeiter vor Ort oder über neue Mobil- und Social Media-Kanäle, und mit einer klaren Rolle und Perspektive für die einigen Hunderttausend Vermittler in Deutschland: Erst dies schafft die Grundlage für Wissen über und Vertrauen des Kunden.
Und nicht zu vergessen die interne Perspektive: Eine Kultur des digitalen Zusammenarbeitens, die sich Methoden wie Crowd Sourcing zunutze macht, Produkte, die auf eine ganz neue Art und Weise entwickelt, vermarktet und verwaltet werden können und vielversprechende neue Analytics- und Personalisierungstechniken. Dem digital aufgestellten Versicherer eröffnet sich auch hier ein riesiges, nie dagewesenes Chancenpotenzial. Nur Unternehmen, die dies stets vor Augen haben, müssen Google und Co keinesfalls fürchten, sie werden selbst Teil des neuen Deals in der Versicherungsindustrie.
Christian Richter ist Managing Director im Bereich Versicherungswirtschaft beim Managementberatungs-, Technologie- und Outsourcing-Dienstleister Accenture.