Man glaubt es kaum, aber in der immer so marktschreierischen IT-Welt gibt es offenbar einen veritablen Anti-Hype. Sogar einen, den man mit den populären Bildern der selbstständig agierenden Maschinenwelt assoziieren kann, den Robotern: Software Robotics.
Hype heißt ja, dass Technologien und Konzepte immer wieder so laut ausgerufen werden, dass am Ende fast jeder glaubt, er dürfe das auf gar keinen Fall verpassen. Ein Anti-Hype ist dann, wenn eine Innovation schon Fahrt aufgenommen hat, mutmaßlich eingeschliffene Praktiken umwälzen dürfte, aber trotzdem kaum einer darüber redet.
Genau das ist nach Einschätzung von Ovum bei Software Robotics der Fall. Zu erwarten seien radikale Verbesserungen und Einsparungen im Bereich Service Delivery – verbunden mit frappierenden Konsequenzen für etablierte Offshoring-Konzepte. Aber geredet wird darüber kaum, was nach Meinung von Ovum-Analyst Thomas Reuner am politischen „Erregungspotenzial" des Themas liegt.
Reuner betont, dass es dabei nicht um Roboter geht, wie wir sie aus der Fertigung kennen, sondern um IT-System-Lösungen, die das Prinzip der automatischen Maschinenarbeit auf die Steuerung von Geschäftsprozessen übertragen. Keine echten Kraken-Arme also, sondern auf den ersten Blick unspektakuläre Algorithmen, die in Bereichen wie etwa IT Service Management aber einen ähnlichen Effekt haben können.
Reuner hat dabei Anbieter wie den britischen Start-Up Blue Prism oder das US-Unternehmen IPsoft vor Augen. Wie Reuner nun beim Erstellen einer Studie für Ovum festgestellt hat, versuchen die Service Provider dieses Automatisierungs-Thema öffentlich eher dezent zu behandeln. Reuner vermutet, dass man aufgeheizte Debatten über mögliche personelle Einschnitte zu vermeiden sucht – bekanntlich ja auch in Deutschland immer ein sensibles Thema.
Vorreiter Blue Prism und IPsoft
Ovum geht davon aus, dass die Angebote im Bereich Robotics und Automatisierung schnell reifen werden und zu signifikanten Kostensenkungen führen werden. Der „Tod des Offshorings" stehe aber nicht bevor. Damit liefert Ovum sozusagen seine Antwort auf eine Debatte, die unter diesem Schlagwort vor einigen Monaten geführt worden war – ebenfalls mit Blue Prism und IPsoft im Fokus.
„Es gibt Roboter für das Staubsaugen und das Bestücken von Warenlagern", hatte damals unsere amerikanische Schwesterpublikation CIO.com geschrieben. „Bald werden Roboter auch Arbeiten in der IT und in den Geschäftsprozessen von Offshore-Providern übernehmen." Den Begriff „Offshore-Killer" prägte damals James R. Slaby, Analyst beim Beratungshaus HfS Research. „Die Blue-Prism-Lösung überträgt Arbeit, die üblicherweise von Menschen erledigt wird, und implementiert sie in Code", so Slaby damals. „Die daraus resultierende Software arbeitet weitgehend unbeaufsichtigt diese Funktionen ab."
Blue Prism bietet unter dem Roboter-Label Lösungen an, mit denen Geschäftskunden ihre Prozesse selbsttätig in Software verwandeln können. Vermarktet werden diese Tools als echte Alternative zu Outsourcing und Offshoring als den bisher einzigen Möglichkeiten, bei IT-Projekten Geld zu sparen. Blue Prism wirbt entsprechend damit, dass man preislich um ein Drittel unter den Tagessätzen eines Offshore-Experten im Ausland liege. IPsoft hat sich auf ähnliche Weise profiliert und bietet sich selbst steuernde Lösungen an, die beispielsweise das Aufspüren und Beheben von Fehlern übernehmen. Slaby geht davon aus, dass IT-Service-Provider dieses Instrument dazu nutzen, um personelle Ressourcen abzubauen und noch günstiger als bisher anbieten zu können.
So ähnlich sieht das zwar auch Ovum-Analyst Reuner – im Übrigen auch mit der langfristigen Perspektive, dass IT-Anwender auch direkt selbst steuernde Systeme einsetzen. Ovum bewertet Software Robotics allerdings als einen Ansatz unter mehreren – unter anderem auch Cloud Services –, die künftig zum kostenoptimalen IT-Angebot zusammengeführt werden sollten. „Es ist ein Instrument neben anderen", sagt Reuner. „Es kommt auf die richtige Orchestrierung vieler neuer Technologien an."
Ein Allheilmittel für Sourcing-Strategien seien Verbesserungen im Bereich Automatisierung jedenfalls nicht, so Reuner weiter. Angesichts des Ziels, den menschlichen Faktor weiter zurückzudrängen, könnten die „unausweichlichen politischen Implikationen" die Zurückhaltung der Service Provider erklären, diese Ansätze offen zu diskutieren. Infosys hat als bislang einziger großer Provider durch eine weltweite Partnerschaft mit IPsoft ein vernehmbares Bekenntnis zu Software Robotics gemacht. Ovum erwartet, dass andere Provider folgen werden. Im Übrigen zeige gerade die Pionierrolle eines indischen Offshoring-Riesen, dass die Diagnose eines Offshoring-Todes die tatsächliche Entwicklung kaum treffe.
Es fehlen Standards und Reife
Überhaupt wirkt die Ovum-Analyse wie ein dezidiert britisch-kühler Kommentar zum Thema. Innovative Konzepte wie Robotic Automation werden demnach einen höheren Automatisierungsgrad und eine geringere Abhängigkeit von Outsourcing oder Offshoring erlauben. Gleichwohl verhinderten fehlende Standards im Moment eine Verbreitung. Möglicherweise fliege das Thema auch wegen fehlender Reife noch weithin unter dem Radar.
So bahnbrechend wie etwa Cloud Computing sei das Ganze aber in keinem Fall. Ohnehin sei eher Automatisierung als Voraussetzung für die Cloud zu betrachten als umgekehrt. „Die Annahme, dass Security die größte Hürde für Robotics darstellt ist auch überraschend, wenn man bedenkt, dass das den Hype um Cloud Services nicht gebremst hat", bemerkt Reuner.
Zu erwarten sei, dass Service Provider die Möglichkeiten von Software Robotics in Projekten austesten. Wegen der hohen Risiken eines globalen Einsatzes benötigt die Entwicklung nach Ovum-Einschätzung Zeit. „Unserer Ansicht nach droht beim Service Delivery weder ein düsteres Szenario a là George Orwells 1984 noch werden sich die Nicholas Carrs euphemistische Erwartungen erfüllen, der der IT unbegrenzten Nutzen zuschreibt", so Reuner.