Der "Consumer wird immer mehr zum Prosumer und damit Teil der Wertschöpfung". Mit diesem Statetement begrüßte Messechef Ernst Raue rund 60 Top-IT-Entscheider zur Auftaktveranstaltung des diesjährigen CeBIT Executive Clubs (CEC), die ganz im Zeichen der Themen Social Media und Nachhaltigkeit stand.
Frank Schirrmacher nahm als einer der beiden Keynoter im CEC diesen Ball auf, indem er feststellte: "Die Auseinandersetzung mit dem Web 2.0 sollte kein Betätigungsfeld für Ideologen sein und sie ist auch kein adequater Gegenstand für einen Generationenkonflikt."
Der Publizist und Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) nahm dabei Bezug auf seine jüngste Buchveröffentlichung "Payback" – eine, wie er es formulierte, "kritische Denkschrift", die davor warnt, dass die Menschen im Informationszeitalter die Kontrolle über ihr Denken verlieren könnten. Gesellschaft und Wirtschaft stünden, so Schirrmacher, inmitten der "zweiten Phase der industriellen Revolution, in der es entscheidend darauf ankomme, die kognitiven Fähigkeiten des Menschen den Möglichkeiten der IT neu anzupassen".
So wie in der aufkeimenden industriellen Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemäß den Prinzipien arbeitsteiliger Produktionsabläufe des Taylorismus Muskelkraft und Koordination der Bewegungsabläufe von Fabrikarbeitern an den Fließbändern geschult werden mussten, stünden die Menschen in der Web-Society vor der Herausforderung, ihr Wissen nicht mehr nur auf den Erwerb von Fakten zu gründen, sondern stärker denn je auf Kreativität und Geistesgegenwart zu setzen.
Es gehe nicht darum, welche Internet-Suchmaschine man verwende, sondern wie viele Ergebnisse man recherchiere und welche davon man davon als relevant einstufe. Die Menschen müssten, so der FAZ-Herausgeber, "das Denken neu lernen".
Vorhersagende Suche statt Echtzeitsuche
Schirrmacher zitierte aus einem Gespräch mit Google-Chef Eric Schmidt. Demnach gebe es auf Dauer keinen Sinn, immer in Echtzeit im Web nach Informationen zu suchen. Vielmehr werde sich die Suche immer mehr zu einer "vorhersagenden Suche" entwickeln. So werde es unter anderem gängige Praxis sein, dass man über soziale Netzwerke und Plattformen wie Twitter schon vor einem geplanten Konzertbesuch am Abend wisse, ob sich der Besuch mit Blick auf die Qualität der Darbietung überhaupt lohnt und wie viele Leute sich mit Auto auf den Weg machen.
Und man werde nach dem Konzert sagen können, wie das Ergebnis war und ob sich die Zuschauer schnell oder langsam auf den Weg nach Hause begeben. "Echtzeit-Internet wird unser Verhalten auf die Zukunft fixieren, die selbsterfüllende Prophezeiung wird Realität", führte Schirrmacher aus.
Der FAZ-Herausgeber warnte aber genauso eindringlich vor einer Verteufelung des Web 2.0 und Sozialer Netzwerke. Die Frage, ob der Mensch die IT beherrsche oder umgekehrt, greife – vordergründig betrachtet – zu kurz. Überbordendes Multitasking, das den Menschen abverlangt werde, kostenlose Informationen und damit auch Selbstausbeutung im Internet seien nur die eine Seite der Medaille; kreative Auseinandersetzung mit den neuen Möglichkeiten der IT die andere.
Nur wer sich den neuen Technologien verweigere, werde im Informationszeitalter gezwungen, das zu tun, was er nicht wolle. Auch die Annahme, dass sich hinter der Diskussion um Für und Wider des Web 2.0 ein Generationenkonflikt verberge, sei ein weit verbreiteter Irrtum. Seriöse Statistiken belegten inzwischen eindrucksvoll, dass es falsch sei, jeden unter 25 für ein Computer-Genie zu halten.
Der Gegensatz zwischen Alt und Jung sei "Quatsch"; Teenager, Erwachsene und Senioren säßen alle "in einem Boot". Gerade letzt genannte Bevölkerungsgruppe sei die Entscheidende, betonte der Publizist mit Blick auf die zunehmende Verschiebung der Alterspyramiden zumindest in den westlichen Gesellschaften.
Nachhaltigkeitsberichte der Konzerne unglaubwürdig
Sehr kritisch ging Thilo Bode, Geschäftsführer und Gründer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, mit den Nachhaltigkeitsversprechen globaler Konzerne ins Gericht. Dies sei weitestgehend eine "Mogelpackung". Entsprechende Ankündigungen in Geschäfts- oder gesonderten Nachhaltigkeitsberichten würden nicht mit dem realen Geschäftsgebaren der Firmen korrespondieren, das (ethisch auch nicht verwerflich) rein auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sei.
Der frühere Chef von Greenpeace belegte dies anhand von Beispielen aus der Finanzbranche, der Automobilindustrie sowie den großen Nahrungsmittelproduzenten. Letztere lebten beispielsweise davon, dass ihre Produkte "zu viel Salz, Fett und Zucker enthalten". Mit der Konsequenz, dass Übergewicht heutzutage in vielen Ländern zur Volkskrankheit geworden ist – einer der vielen negativen Einflussfaktoren in punkto Nachhaltigkeit.
Was nütze, so Bode mit Blick auf Energieeffizienz-Diskussion innerhalb der IT-Branche, die "Einführung von Smart Grids", wenn gleichzeitig die großen Energieversorger weiterhin ihre Atommeiler und veralteten Kohlekraftwerke am Netz lassen. Insgesamt fehle es für die weltweite Umkehr zu nachhaltigem Wirtschaften weiterhin am Mut und am Durchsetzungswillen der Politik, die dazu nötigen Veränderungen der Rahmenbedingungen einzuleiten.
Eine ökologisch nachhaltige Politik sei bisher national und international daran gescheitert, dass es sich für die Regierungen nicht lohne, sich wegen langfristiger und durchaus idealistischer Ziele mit gut organisierten Interessengruppen anzulegen.