Steffen Moussalem hat eine Odyssee durch die Standards der Rechnungslegung hinter sich. Der Teilkonzern von Degussa, in dem er seit 2001 als Chefcontroller tätig war, wechselte seitdem schon zwei Mal seinen Besitzer. Degussa gehörte damals zum Energiekonzern Eon ("Deshalb bilanzierten wir nach US-GAAP"). Dann veräußerte E-On den Unternehmensbereich im Juli 2001 an die US-amerikanische OM Group aus Ohio. Die Bilanzierungsschritte wurden immer kleinteiliger. Schließlich erwarb den dann "Precious Metal Group" genannten Bereich im Juli 2003 die belgische Umicore, ein Konzern aus der chemischen und metallverarbeitenden Industrie ("Dort stellten wir dann von US-GAAP EU-konform auf IFRS um).
Odyssee vom HGB zu GAAP zu IFRS
Der in Steuerlehre promovierte Moussallem gehört mit seinem Lebenslauf zwangsläufig zu den Erfahrenen in Sachen Rechnungslegung. Besonders das Tempo nahm nach der Umstellung der bei Degussa üblichen Bilanz nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) auf die USüblichen US-GAAP enorm zu. "Bei Degussa kamen die Jahreszahlen im März oder April des darauf folgenden Jahres, bei der OM Group lagen am zehnten oder elften Arbeitstag ungeprüfte Zahlen vor", erinnert sich Moussalem. Wenn die Wirtschaftsprüfer sich einmal im Quartal zu so genannten Reviews - Schnellprüfungen auf Teilkonzernebene - anmeldeten, war die OMG gewappnet. "Zuletzt wurde einmal im Monat eine Bilanz ausgewiesen", sagt Moussalem.
Am 1. Januar 2005 ist auch für deutsche Unternehmen High Noon. Zwar werden Einzelabschlüsse oft nach HGB gemacht, der Konzernabschluss soll allerdings dem internationalen Standard folgen - dem International Accounting Standard, heute meist International Financial Reporting Standard genannt. Die Hauptziele der EU: Finanzergebnisse vergleichbar und den europäischen Kapitalmarkt effizienter machen.
Allerdings tun sich deutsche Unternehmen schwer mit der Umstellung. Der typische IFRS-Muffel ist im Mittelstand zu finden. Die Beratungsgesellschaft Ernst & Young befragte im Herbst letzten Jahres 176 Unternehmen, von denen mehr als 60 Prozent weniger als 250 Millionen Euro Umsatz schrieben. Das Ergebnis: Etwa die Hälfte der Unternehmen rechnen mit Umstellungsschwierigkeiten. Die Gründe sind vielfältig: Fehleranfälligkeit der Ersteinführung (19 Prozent), Probleme bei der Systemanpassung / EDV-technischen Risiken (17 Prozent) und Zeitprobleme (14 Prozent). Knapp die Hälfte der Befragten scheut zudem den hohen Aufwand und die Kosten.
Der interne Aufwand etwa schlägt nach Angaben von Ernst & Young bei der Mehrheit von 40 Prozent der Befragten mit bis zu 50 000 Euro zu Buche. Nach einer weiter zurückliegenden KPMG-Umfrage unter Unternehmen mit mehr als 250 Millionen Euro Umsatz schafft es nur jedes dritte große oder mittelständische Unternehmen, den Aufwand unter einer Million Euro zu halten. 70 Prozent hingegen zahlen eine bis sieben Millionen Euro. Liegt das Umsatzvolumen zwischen 50 und 100 Millionen Euro und hat das Unternehmen ein bis zwei Tochtergesellschaften, so belaufen sich die Umstellungskosten nach Schätzungen des IAS-Experten Peter Leibfried von der Akademie für internationale Rechnungslegung in Stuttgart auf rund 100 000 Euro. Doch das ist oft schon zu viel.
"Der Mittelstand verdrängt die Situation", bemerkt Alfred Biel, IAS-Beauftragter im Controller-Verein, "der Nutzen ist nicht unmittelbar erkennbar, der Gesetzgeber hat die Umstellung rigide verordnet. Zudem konkurriert das Projekt mit vielen anderen Projekten, sodass sich das IFRS-Projekt oft auf den Pflichtumfang reduziert." Einen Mix aus Ignoranz und bestehenden IT-Problemen macht Biel aus. "Überwiegend risikokapitalfinanzierte Unternehmen, etwa aus der Biotechnologiebranche, machen ihren Abschluss nach IFRS", pflichtet Ulla Peters bei, Wirtschaftsprüferin in der Berliner Steuerkanzlei Lauer, "meist deshalb, weil sie bei Gründung mal einen Börsengang vorhatten."
"Anstöße sind besonders bei gestandenen Mittelständlern nötig", sagt Peters, die Vorteile in der höheren Transparenz der Abschlüsse sieht - was sich auf die Kreditvergabe und das Rating von Unternehmen positiv auswirkt. "Wer Konzernstrukturen über Deutschland hinaus hat, wird sich mit einem HGB-Abschluss ganz schwer tun. Denn in den nächsten Jahren wird der HGB-Abschluss von der Bankenwelt nicht mehr akzeptiert." Dann heiße es von den Banken lapidar: "Deine Zahlen überzeugen uns nicht". Für das Rating ist die HGB-Rechnungslegung nicht ausreichend. Besonders Unternehmen, die auch Geschäfte im Ausland machen, werden dann um einen international anerkannten Standard nicht mehr herumkommen.
Was heißt das für die Organisation der Systemwelt? "Die Rechnungslegungsarchitektur muss überprüft werden", meint IAS-Kenner Biel, "und möglichst mit anderen Projekten verbunden werden, die etwa die Harmonisierung der IT betreffen." Eine Auswirkungs-analyse könne da helfen, in der klar werde, inwiefern die Systemwelt von den Umstellungen betroffen ist.
Effizienter mit dem Datenwürfel
Claus Mittendorfer, Bereichsleiter für IT-Controlling beim österreichischen Anlagenbauer Voestalpine, bilanziert seit 1998 nach IFRS. Er ist in zwei Phasen vorgegangen: Erst entwickelte er Überleitungen für die lokalen handelsrechtlichen Abschlüsse zum IFRS-System, meist in Excel. Im zweiten Schritt wurde das ERP-System der Gesellschaft auf SAP R/3 umgestellt. Dadurch kann der Konzern mit etwa einer Milliarde Euro Umsatz und 20 internationalen Gesellschaften nun jede IFRS-Buchung gleichzeitig mit der handelsrechtlichen erzeugen. "Für den Gruppenabschluss nutzen wir unser Management-Reporting-Tool im Intranet", erläutert Mittendorfer. Nach einem Vergleich verschiedener Systeme (unter anderem von SAP und Hyperion) entschied er sich für die Reporting-Lösung von Hyperion. Deren Aufgaben lauten: Zum einen die für das Rechnungswesen nötige Bilanzierung und Konsolidierung, zum anderen das Management-Reporting ermöglichen. "Hier sehe ich auf einer Art Datenwürfel, welchen Umsatz ein spezielles Produkt in der aktuellen Periode gemacht hat und wie das globale Ergebnis der Gruppe ist", sagt Mittendorfer. Besonders angetan ist der Controller davon, dass Finanz- und Controlling-Module im lokalen SAP-System mit dem Management-Reporting nun stärker miteinander verschmolzen seien - das sei ein echter Effizienzgewinn. Das Wichtigste sei, dass sich sämtliche Daten nachher in einem Hauptbuch, dem Gesamtabschluss, zusammenfinden.
Das ist nicht immer so einfach, wie Peer Brauer von der Management-Holding Delton weiß. Dem IAS-Referenten ist bewusst, dass viele Kollegen über den Mittelstand spotten, da deren Konsolidierungssoftware Excel sei. Tatsächlich tippen auch Mitarbeiter der IT-mäßig heterogenen Gesellschaften ihre Zahlen teilweise händisch in den Computer, allerdings nicht in ein Excel-Sheet, sondern direkt in die Reporting-Software Hyperion Financial Management. "Nur die Überleitung von lokalen GAAP-Daten auf IFRS machen wir teilweise auf Excel."
Brauer stört das pragmatisch-händische Vorgehen nicht weiter. Hauptsache, die Zahlen stimmen und die Bilanz ist schnell komplett. "Seit Ende 2000 machen wir Monatsberichte, seit Mai 2003 mit der Hyperion-Lösung", so Brauer. Seine wichtigsten Tipps klingen, als hätte er sie aus ein Management-Führer abgeschrieben: die Umstellung nicht zu spät angehen - und: trotz der Vielfalt der Informationen das Wesentliche sehen.