Erst half ihnen der Ölpreisschock, nun beflügelt die Wirtschaftskrise die Verkaufszahlen: Wer in diesen Tagen nach Krisengewinnern sucht, findet sie bei den Anbietern von Videokonferenzsystemen. Nach langen Jahren des Nischendaseins präsentiert sich die Technik inzwischen ausgereift und praxistauglich. Deshalb gehen immer mehr Firmen dazu über, zumindest einen Teil ihrer Meetings und Geschäftsreisen in den virtuellen Raum zu verlegen. Neben den offensichtlichen Kostenvorteilen dürfen sich die Anwender sicher sein, mit Telepräsenz auch etwas für das grüne Gewissen zu tun.
Video-Chat ermöglichen heute schon kostenlose Tools wie Skype oder MSN Messenger. Allerdings liegen zwischen dieser einfachen Form der Videotelefonie und professionellen Lösungen Welten. Wir hatten Gelegenheit, uns im Rahmen eines Tags der offenen Tür beim Anbieter Polycom ein Bild vom Stand der Technik zu machen.
Der Einstieg in die Videowelt beginnt recht bodenständig mit der "Converged Management Application" (CMA) und deren Client, dem "CMA Desktop". Die Anwendung wirkt auf den ersten Blick wie ein konventionelles Chat-Tool à la MSN Messenger. Ein Umstand, der Neulingen den Einstieg in die Telepräsenz erleichtert.Im einfachsten Fall führt der Benutzer damit einen Punkt-zu-Punkt-Videochat mit einem entfernten Kollegen.
Doch die unscheinbare Applikation kann deutlich mehr: Dank der CMA-Server-Komponente erlaubt es das Polycom-Produkt auch, sich in große Konferenzen zuzuschalten. Für die IT bildet die CMA ein universelles Werkzeug zur zentralen Verwaltung aller Video- und Telepräsenzsysteme im Unternehmen. Wichtigste Funktion ist dabei die Integration in Verzeichnisdienste wie LDAP oder Active Directory, über die auch die Anbindung an Systeme wie Lotus Notes oder Microsoft Outlook gelingt.
Das System unterstützt Bild- und Tonübertragungen in SD-Qualität ab 384 Kbit/s. Übertragen werden dabei auch konferenzbegleitende Multimedia-Inhalte wie etwa eine Powerpoint-Präsentation, die den Teilnehmern vorgeführt werden soll. Der Hersteller setzt hierbei auf offene Standards wie H.239 Content Sharing, H.323 und XMPP. Die maximale Zahl der registrierten Endpunkte im Unternehmen beträgt 5000, wobei 1500 User gleichzeitig konferieren können. Für derartige Einstiegslösungen müssen Interessenten mit Kosten von 50 Dollar pro User rechnen. Im Falle von Polycom enthält die kleinste Einstiegslösung 200 Benutzerlizenzen für die Desktop-Clients.
Mittelklasse mit HD-Desktop
Eine Ebene höher positioniert der Hersteller seine HDX-Reihe mit den Produkten "HDX 4000" und "HDX 8000". Als "Executive Desktop" markiert das System die typische Mittelklasse. Es soll sowohl einzelnen Mitarbeitern als auch Teams im Büro den schnellen Zugang zu virtuellen Konferenzen ermöglichen.
Kernstück der Anlage ist ein spezieller 20-Zoll-Bildschirm für den Schreibtisch, der auch als PC-Display verwendet werden kann. Die Kamera mit Schwenk-, Neige- und Zoomfunktion ist in den Display-Rahmen integriert, am Fuß befindet sich ein kleines Tastenbedienfeld für die Einwahl sowie die Annahme von Gesprächen. Die Logik inklusive aller Anschlüsse steckt in einem separaten Gehäuse im Stil eines Mini-PC. Dank HDTV-Auflösung mit 1280 x 720 Bildpunkten (720p) bei 30 Frames pro Sekunde (fps) ist eine hochwertige und flüssige Darstellung gewährleistet. Konferenzbegleitende Inhalte wie etwa eine Präsentation lassen sich über einen angeschlossenen PC zuschalten, wobei dann die Konferenzübertragung und der Multimedia-Content nebeneinander in zwei separaten Fenstern dargestellt werden.
Den Sprung von der Einzelplatz-Lösung zur Konferenzraum-Ausstattung markiert die Serie HDX 8000, die für kleine bis mittlere Räume ausgelegt ist. Die Basis bildet hier ebenfalls eine Steuerungseinheit im Mini-PC-Look mit allen relevanten Ein- und Ausgabeschnittstellen. Hinzu kommen noch eine frei platzierbare Kamera, ein Einwahlmodul sowie eine Fernbedienung. Die maximale Auflösung beträgt 1920 x 1080 Bildpunkte (1080p) bei 30 bis 60 fps. Die HD-Auflösung kann laut Anbieter mit einer Bandbreite von 832 Kbit/s genutzt werden. Die maximale Bandbreite liegt bei 4 Mbit/s. Je nach Anwendungsszenario sind noch die passenden Video- und Audioausgabegeräte zu installieren.
Raum für Telepräsenz
Die Oberklasse in Sachen Telepräsenz repräsentieren Komplettlösungen aus Konferenztechnik plus Raumausstattung, die darauf ausgelegt sind, die Darstellung so realitätsnah wie möglich zu machen. Ein Anspruch, den Polycom mit den Produktreihen "TPX HD" und "RPX HD" tatsächlich überraschend gut erfüllt - so unser Eindruck bei einer praktischen Demonstration. Die günstigere Variante "TPX 306" ermöglicht eine Konferenzraumanordnung von bis zu sechs Teilnehmern, die an einem halbrunden Tisch sitzend Platz finden. In den Tisch sind "Contentdisplays" integriert, auf denen konferenzbegleitende Präsentationen dargestellt werden.
Die entfernte Partei sitzt hier quasi auf der anderen Seite des Tisches, wo eine Videowand montiert ist. Diese besteht aus drei aneinandergereihten 60-Zoll-Plasmaschirmen mit einer Auflösung von jeweils 1080p beziehungsweise 720p bei 60 fps. Zwei Teilnehmer teilen sich bei diesem System eine Kamera und einen Bildschirm, so dass man sich praktisch paarweise gegenübersitzt. Dank der hohen Tonqualität mit Stereoeffekten entstand für uns bei den Versuchen der Eindruck einer realistischen Meeting-Atmosphäre.
Ein virtueller Konferenzsaal entsteht
Für Videokonferenzen im Hörsaalformat eignet sich schließlich die Serie "Realpresence Experience" (RPX). Das System skaliert von vier bis 28 Teilnehmern pro Standort, die in bis zu drei Sitzreihen platziert sind. Die Rückprojektionsleinwand im Format 48:9 mit einer Auflösung von 3840 mal 720 Bildpunkten erreicht beinahe Kinoformat und eröffnet ganz neue Freiheitsgrade: So können sich die Konferenzteilnehmer beispielsweise frei im Raum bewegen und werden dabei auch stehend permanent in voller Größe erfasst und projiziert. Dank der geschickt in den Leinwandzwischenräumen platzierten Kameras entsteht bei den Gesprächspartnern der Eindruck, als würde man dem Gegenüber aus jeder Position heraus direkt in die Augen sehen. Im Verbund mit einer hochwertigen Raumakustik, die auch das kleinste Geräusch überträgt, entsteht hierbei eine realistische Gesprächs- und Konferenzatmosphäre.
Neben der vordergründig wahrnehmbaren Ausrüstung bedarf es beim Aufbau unternehmensweiter Konferenzlösungen noch einiger zusätzlicher Infrastrukturbausteine. Diese stellen beispielsweise sicher, dass sich mehrere Standorte und Konferenzräume ohne großen Aufwand zu einer großen Telepräsenzsitzung zusammenschalten können. Dazu zählen etwa eine Konferenzbrücke, ein Video Media Center, Aufnahme- und Streaming-Server oder eine Management- und Scheduling-Applikation.
Der Aufwand, eine möglichst realistische virtuelle Konferenzatmosphäre zu schaffen, hat seinen Preis. Laut Polycom beginnen die Kosten für Highend-Konferenzräume bei 250.000 Euro. Solche Zahlen können viele Entscheider zunächst einmal abschrecken. Dennoch eröffnen diese Systeme enorme Einsparmöglichkeiten. So können Unternehmen im Schnitt ihre Reisekosten um 30 Prozent senken - von der Zeitersparnis ganz zu schweigen.
Quelle: Computerwoche