Das Chaos war perfekt. Ob beabsichtigt oder nicht, sei dahingestellt, doch mit seinem Interview im "Handelsblatt" wirbelte Henning Kagermann ordentlich Staub auf. "Die Uhr für R/3 läuft ab", kündigte der SAP-Chef im Januar an. Ende 2008 werde die Standardwartung für das Produkt auslaufen. Nicht dass die Tage von R/3 gezählt sind, brachte so manchen Kunden in Rage. Es war vor allem der Umstand, den Zeitpunkt der Presse entnehmen zu müssen. Von "ungeschickt" bis "instinktlos" kommentierten Beobachter die Informationspolitik der Walldorfer.
Mittlerweile haben sich die Wogen wieder geglättet. SAP lenkte ein und informierte seine Kunden direkt. Außerdem ruderte der Konzern, angeblich überrascht ob der heftigen Reaktionen, wieder zurück. Das endgültige Aus für R/3 Enterprise wurde auf das Jahr 2012 verschoben. Ab 2009 erhöhen sich allerdings die Wartungsgebühren.
Als sei das Kapitel R/3 damit abgehakt, konzentriert sich SAP nun darauf, das Interesse der Kunden auf die Frage zu lenken, was danach kommt. Und die Konkurrenz zieht mit. "Serviceorientierte Architektur" lautet das Schlagwort, das die großen Anbieter als die Lösung der ERP-Zukunft propagieren. Hinter dem Konzept, das die Client-Server-Struktur ablösen soll, verbirgt sich die Idee, einzelne Anwendungen auf Basis einer Integrationsplattform zu verknüpfen. Sie sollen dann über definierte Web-Service-Schnittstellen miteinander kommunizieren. "Die einzelnen Bausteine müssen keineswegs die eigenen Produkte sein", erklärt Thomas Baur, der als Leiter der ERP-Initiative bei SAP an der Schnittstelle zu den Kunden sitzt.
Bislang hat diese Vision allerdings nur wenig mit der Realität der Kunden zu tun. Denn noch stehen in den meisten Unternehmen die Themen Kostensparen und Konsolidierung auf der Tagesordnung. Thorsten Niemietz beispielsweise, CIO von Nordzucker, hat derzeit noch alle Hände voll damit zu tun, die ERP-Systeme an den unterschiedlichen Standorten auf den gleichen Stand zu heben und Fremdanwendungen sukzessive durch SAP-Lösungen zu ersetzen. Ist diese Aufgabe erledigt, steht für nächstes Jahr die Überlegung an, die Anwendungen zu zentralisieren. Auf das Klappern von SAP reagiert Niemietz gelassen: "Wer weiß denn heute schon, was 2009 sein wird."
Mit Ruhe die Entwicklung beobachten
Zu Recht, bestärkt ihn Ralf Klemisch, COO beim IT-Dienstleister TDS und ehemaliger SAP-Berater. "Anwender, die mit einem ERP-Upgrade beschäftigt sind, können dies in Ruhe zu Ende führen", empfiehlt er. "Auch wer in den letzten zwölf bis 18 Monaten ein System gekauft und eingeführt hat, kann sich beruhigt zurücklehnen." Gleichwohl sollten Kunden die künftigen Entwicklungen im Auge behalten, um rechtzeitig reagieren zu können. Denn darüber, dass kein Weg mehr an dem serviceorientierten Konzept vorbeiführt, herrscht Einigkeit.
Sein Charme liegt vor allem darin, dass den Anwendern Erleichterung bei der Integration ihrer Anwendungen versprochen wird. Verschlingen doch allein die Integrationsbemühungen 60 Prozent der IT-Budgets, so die Schätzungen von Forrester Research.
Auch wenn viel Musik in dem Thema ist - bislang ist es vor allem Zukunftsmusik. Die Produkte, die heute am Markt sind, sind noch weit entfernt von dem, was die Hersteller unter serviceorientierten Anwendungen verstehen, so Klemisch. Zwar sind die Weichen in die Richtung gestellt, von einer echten Modularisierung kann jedoch nicht die Rede sein. Auch SAP-Chef Kagermann räumte ein, dass dies noch eine Weile dauern wird: "Bis unsere gesamte Angebotspalette auf SAP Netweaver und zu etwa 90 Prozent auf unserer neuen Architektur läuft, dürfte es wohl 2006 werden", gab er gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" zu Protokoll.
Komplexität bleibt ein Thema
Offen bleibt, ob bei den Kunden am Ende des Tages weniger komplexe Lösungen stehen werden. "Auch im modularen System müssen Anwendungen verknüpft und Schnittstellen gebaut werden", dämpft TDS-Mann Klemisch zu hohe Erwartungen. "Die neuen Systeme werden sicher ebenfalls wieder komplex werden. Nur auf eine andere Art und Weise."
Leichter integrierbar und weniger komplex. Um diese Kundenwünsche zu erfüllen, müssen SAP und Co. auf jeden Fall noch einiges an Entwicklungsarbeit leisten. "Der Rattenschwanz an funktionellen Redundanzen, der sich historisch bedingt ergeben hat, muss deutlich reduziert werden", erklärt Christian Glas, ERP-Spezialist beim Beratungsunternehmen PAC. Fraglich in puncto Integration bleibt ebenso, wie weit die Hersteller sich tatsächlich an ihr Bekenntnis zu offenen Schnittstellen halten werden. Für börsennotierte Anbieter sind Lizenzumsätze ein wichtiger Indikator für künftiges Wachstum. Ob es ihnen gelingt, mit der neuen Architektur den Verkauf von Software anzukurbeln, ist nicht garantiert. Denn lassen sich künftig Fremdanwendungen leichter integrieren, öffnet das gleichzeitig neuen Raum für Nischenplayer und Spezialisten.