Markt wächst zu langsam

Virtualisieren - oder Geld verbrennen

18.08.2008 von Holger Eriksdotter
Gartner hat die Virtualisierung der IT-Landschaften zum Mega-Trend ausgerufen. Wenn allerdings CIOs in alten Denkweisen verharren, rechnet IDC damit, dass sie bis 2010 rund 140 Milliarden Dollar durch ungenutzte Server-Kapazitäten verschwenden werden.
Tönnies von Donop, Geschäfstführer D-A-CH Accenture: "Anwender sind überrascht von den schwerwiegenden Konsequenzen, die eine großflächige Virtualisierung der IT-Infrastruktur mit sich bringt."

Die Gründe für die Virtualisierung der IT-Landschaften sind breit diskutiert und in ihrer Essenz un-widerlegbar: Kostenvorteile bei Hardware und Administration, geringerer Bedarf an Stellfläche und Energie für Betrieb und Kühlung, weniger Downtime und einfachere Business-Continuity-Lösungen sowie mehr Agilität und Flexibilität für die Unternehmens-IT. Schon seit Jahren sind die Anbieter von Hard- und Software dabei, ihren Kunden die Vorteile der Virtualisierung der IT-Infrastruktur in die Köpfe zu hämmern.

Die Umsetzung geht allerdings schleppender voran, als man vermuten möchte. Nach Erhebungen der Marktforscher von IDC waren es vergangenes Jahr erst sieben Prozent der Unternehmen, die Teile ihrer IT virtualisiert hatten. In diesem Jahr sollen es schon 35 Prozent sein, die im Schnitt 13 Prozent ihrer IT-Anwendungen virtualisiert haben. Daraus ergibt sich ein Wert von gut vier Prozent aller Unternehmens-applikationen, die im Laufe dieses Jahres auf virtualisierter Server-Architektur laufen werden.

"Der Trend zur Massenbewegung ist unverkennbar, aber kurz- und mittelfristig gibt es noch eine Vielzahl von Problemen, die Anwender zögern lassen", sagt Tönnies von Donop, Geschäftsführer D-A-CH für den Bereich Systemintegration & Technologie bei Accenture. Dazu gehören mangelnde Aufklärung, fehlendes Spe-zialwissen im Bereich Virtualisierung, ungelöste Security-Fragen sowie die interne Abrechnung von IT-Leistungen. Nicht zuletzt gebe es eine Ernüchterung gegenüber den vollmundigen Ankündigungen der Hersteller. "Viele Anwender sind überrascht von den schwerwiegenden Konsequenzen, die eine großflächige Virtualisierung der IT-Infrastruktur mit sich bringt", stellt Donop fest.

Wem gehört die Infrastruktur?

Das gilt nicht nur für die technische Seite: "Wenn sich durch die Virtualisierung plötzlich die Zuordnung der IT-Infrastruktur zu den Fachabteilungen gleichsam auflöst und an die Stelle der Hardwarekosten nutzungsabhängige Berechnungsmodelle treten, stellt sich die Frage, wem die Infrastruktur intern gehört", sagt Thomas Meyer, Vice President System und Infrastructure Solutions bei IDC. Die Auswirkungen auf die gesamte Unternehmensorganisation gerieten bei einer Sicht-weise allein auf Kosteneinsparung und auf technische Aspekte allzu oft aus dem Blick.

Denn der Umbau der IT-Landschaften erfordert eine komplette Abkehr vom bisherigen Denken "Eine Ap-plikation - ein Server". Ein unverändertes Fortführen dieses Paradigmas würde nach Berechnungen der Marktforscher von IDC dazu führen, dass im Jahre 2010 weltweit rund 41 Millionen Server in Betrieb wären - bei einer durchschnittlichen Auslastung von unter zehn Prozent. Das entspricht einer Verschwendung von 140 Milliarden Dollar an ungenutzter Server-Kapazität. Laut einer IDC-Studie berichten Anwender von etwa 20 Prozent durchschnittlichen Einsparungen durch Virtualisierung. Dort liege ein riesiges Einsparpotenzial für Unternehmen, so IDC.

Denis Mrksa, Analyst Techconsult: "BezüglichSpeichervirtualisierung liegen bisher noch ein fehlendes Lösungsverständnis und ein Mangel an praktischer Umsetzungsmöglichkeit vor."

Aber deutsche CIOs tun sich schwer: "Es ist ja keine Neuigkeit, dass neue technologische Trends im anglo-amerikanischen Bereich schneller adaptiert werden als bei uns, aber auch unsere europäischen Nachbarn Italien und Frankreich sind im Hinblick auf Virtualisierung schon weiter als wir in Deutschland", sagt der Accenture-Geschäftsführer. Das liege - paradoxerweise - vor allem an dem verbreiteten alten betriebswirtschaftlichen Denken. "Während in anderen Ländern eher der Business-Case gesehen wird und nicht vollständig abgeschriebene Hardware im Zuge der Virtualisierung schon mal vorzeitig ausgetauscht wird, halten sich die deutschen Unternehmen fast immer an die Abschreibungszyklen", berichtet von Donop. Die lägen bei Servern in der Regel zwischen drei und fünf Jahren. Deshalb steht die eigentliche Virtualisierungswelle in Deutschland erst noch bevor.

Daher überraschen weniger das gegenwärtig geringe Ausmaß der Virtualisierung als vielmehr die gewaltigen Zuwachsraten: Die IDC-Analysten rechnen damit, dass schon im nächsten Jahr mehr als 50 Prozent der neu gekauften Server in virtuellen IT-Landschaften ihren Dienst verrichten werden. Gartner prognostiziert, dass die Anzahl virtueller Maschinen weltweit von weniger als fünf Millionen Dollar in 2007 auf mehr als 660 Millionen Dollar im Jahr 2011 ansteigen wird.

Eine aktuelle Studie der Analysten von Techconsult offenbart allerdings erhebliche Unterschiede in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße in Deutschland: "In Unternehmen ab 500 Mitarbeitern gehört die Server-Virtualisierung bereits zum IT-Alltag, 71 Prozent haben derzeit virtuelle Maschinen installiert. Bis Ende 2008 werden weitere 16 Prozent dieser Zielgruppe dazustoßen", sagt Denis Mrksa, Analyst bei Tech-consult und Leiter der Studie. Allerdings wurde nicht erhoben, in welchem Ausmaß Firmen virtualisieren: einige wenige Server oder großflächig.

Storage noch in den Kinderschuhen

Bei Firmen mit weniger als 100 Mitarbeitern sind es magere 21 Prozent, bei solchen mit 100 bis 500 Mitarbeitern 35 Prozent, die virtuelle Maschinen einsetzen. Dennoch nimmt die Server-Virtualisierung eine Vorreiterrolle ein: "Man kann sagen, dass die Server-Virtualisierung in den IT-Abteilungen deutscher Unternehmen angekommen ist. Storage-Virtualisierung steckt hingegen noch weitgehend in den Kinderschuhen", sagt Mrksa. Nur rund jeder zehnte Betrieb verfügt bisher über virtualisierte Speicherumgebungen, weitere zehn Prozent planen deren künftigen Einsatz.

Die Gründe für die Zurückhaltung sind vielfältig. Als Hauptgrund gaben die Unternehmen in der Studie an, dass ihr Speicheraufkommen nicht so hoch sei, dass sie einen Bedarf an virtualisierten Speicherlösungen hätten. Hier darf man wohl getrost von einer Schutzbehauptung ausgehen: Zum einen steigt der Speicherbedarf rasant, zum anderen verzeichneten fast zwei Drittel der Befragten eine ineffektive und kostenträchtige Auslastung ihrer Storage-Kapazität von unter 50 Prozent.

Thomas Meyer, VP System und Infrastructure Solutions, IDC: "Virtualisierung ist reifer geworden - aber das ist noch nicht in den Köpfen aller IT-Verantwortlichen angekommen."
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Weit aufschlussreicher sind die weiter genannten Gründe: "Wir haben uns noch zu wenig mit Virtualisierung beschäftigt", "Die Technologie ist zu komplex" und "Schwierige Administration" gaben die IT-Verantwortlichen zu Protokoll. "Storage-Virtualisierung in dem Sinne, dass durch die besonders effiziente Virtualisierung nahe an der Speicherebene eine klare Trennung zwischen der logischen und der physikalischen Schicht möglich wird, verstehen nur 38 Prozent der Befragten", sagt Analyst Mrksa. Der überwiegende Teil begreife Speichervirtualisierung vielmehr als logische Zusammenfassung heterogener Storage-Systeme.

Demnach würden 54 Prozent der Befragten zumindest das Grundkonzept erkennen, dass durch Virtualisierung physikalische Grenzen überwunden werden können. "Bezüglich der Speichervirtualisierung liegen bisher noch ein fehlendes Lösungsverständnis und ein Mangel an praktischer Umsetzungsmöglichkeit vor. Hier sind die Anbieter gefragt, ihre Lösungen dem Anwender näherzubringen und ihn bei der Entwicklung ganzheitlicher Virtualisierungskonzepte zu unterstützen", resümiert Mrksa.

Desktop-Virtualisierung noch selten

Server: Wo CIOs die größten Potenziale vermuten.

Ähnliche Zurückhaltung zeigen deutsche Unternehmen, wenn es um Desktops geht: "Virtualisierungs-projekte in der Desktop-Infrastruktur sind eher noch selten", sagt IDC-Analyst Meyer. Trotz unbestreitbarer Vorteile im Hinblick auf Administration, Remote-Wartung, Softwareverteilung und Patch-Management ziehe der Markt sehr langsam an. "Im Desktop-Bereich ist die Komplexität im Hinblick auf die Vielzahl der Lösungen ein großer Nachteil; zudem machen die Softwarelizenzkosten einen erheblichen Teil des Kostenblocks aus", sagt Meyer.

Laut Techconsult richtet sich bislang nur jedes zehnte Virtualisierungsprojekt auf die Desktop-Infrastruktur. "Mit der Virtualisierung des Desktops wiederholt sich die Geschichte auf höherem technologischen Niveau", sagt Mrksa. Nach der host-basierten zentralen IT und den Fat Clients der zurückliegenden Jahre gehe mit der Desktop-Virtualisierung die Entwicklung jetzt wieder in Richtung zentrale Administration und Thin Clients. Entscheidend werde dabei auch das Angebot an Lösungen sein. "Neben dem Marktführer VMware könnte Citrix zum wichtigen Player in diesem Markt werden. Wenn es Citrix nach der Übernahme von Xen gelingt, die eigene applikationsbasierte Virtualisierungstechnologie mit dem betriebssystembasierten Ansatz von Xen zu integrieren, entsteht hier sicher ein Lösungszenario, das auch für viele Mittelständler attraktiv ist", vermutet Mrksa.

Am Thema Virtualisierung lässt sich zudem erneut die Grundsatzdiskussion über die Rolle der IT ablesen: Gilt die IT als Erfüllungsgehilfe und möglichst gering zu haltender Kostenfaktor oder als "Business Enabler", der den Unternehmen zu mehr Agilität, Flexibilität und besserer Reaktionsfähigkeit verhilft? Die deutschen CIOs schlagen sich auf die Seite der Kostenwächter: Auf die Frage nach den wichtigsten Vorteilen der Server-Virtualisierung stehen bessere Auslastung der Hardware und IT-Ressourcen, geringerer Platzbedarf und Kosteneinsparung auf den vorderen Rängen. Erst danach folgt die größere Flexibilität der IT. Kürzere Reaktionszeiten und die verbesserte Verfügbarkeit von Geschäftsprozessen kommen erst am Ende der Liste vor - noch nach Optimierung der Energiekosten und leichterer Portierbarkeit von Applikationen.

CIOs schauen nur auf Kosten

Accenture-Mann von Donop sieht allerdings keine unüberwindbaren Hindernisse: "Grundsätzlich sind alle Probleme der Virtualisierung lösbar. Um die Vorteile auszuschöpfen, müssen Unternehmen aber mehr Zeit, Geld und Ressourcen investieren, als ein oberflächlicher Blick oder die Versprechen der Hersteller vermuten lassen." Laut IDC-Analyst Meyer ist das größte Hemmnis einer großflächigen Virtualisierung aber nicht monetärer Natur: "Virtualisierung ist reifer geworden - aber das ist noch nicht in den Köpfen aller IT-Verantwortlichen angekommen."

Letztlich werden es für von Donop aber die Kosten sein, die der Virtualisierung auch in Deutschland zum Durchbruch verhelfen: "Die CIOs stehen unter immensem Druck, die IT-Kosten zu senken. Einsparvorgaben von vier bis acht Prozent jährlich sind durchaus üblich. Ohne Virtualisierung ist das überhaupt nicht zu schaffen", ist sich der Accenture-Geschäftsführer sicher.