Die Diskussion um zweite, dritte oder sonstige multiple digitale Lebenswelten erreicht einen Wendepunkt. Hat die Reklame-Branche bisher den "Prosumenten" bejubelt, den Konsumenten also, der im virtuellen Leben seine Turnschuhe selbst designt und als trendiger Avatar seine Wünsche und Begehrlichkeiten offenlegt, rufen Analysten jetzt die letzte Runde des Spiels aus. Der Hype flaue ab, für Unternehmen lohnten sich Investitionen nicht, heißt es nun.
So hat sich DB Research angesehen, wie viel echtes Geld in virtuelle Penunzen umgetauscht wird. Zwar ging diese Kurve seit Jahresbeginn 2006 bis Mitte 2007 um 600 Prozent nach oben. Seit einigen Wochen hat sich der Wert aber um etwa sieben Millionen US-Dollar eingependelt. Die Analysten sprechen von einer Stagnation.
Ihrer Interpretation nach stellen die Netizens (Bewohner einer digitalen Welt) fest, dass Cleverness und Erfindergeist den Menschen nicht wirklich bereichern. "Speziell die Eigentumsrechte kristallisieren sich in der virtuellen Welt immer mehr als wunder Punkt heraus. Denn die Schöpfer der virtuellen Welt garantieren dem Produzenten von Gütern und Inseln nur durchsetzbare Eigentumsrechte an der gestalterischen Idee - nicht aber am virtuellen Gut oder der Insel selbst", führen die Analysten von DB Research aus. Die Folge seien juristische Auseinandersetzung in der realen Welt, die reale Ressourcen verschlingen. Dabei hält mancher Experte die Hoffnung, das Rechtssystem könne die komplexen Probleme der digitalen Welt lösen, für ziemlich unrealistisch.
DB Research will gar schon ein Ende der virtuellen Welten sehen. Einerseits preisen sich Second Life und Co. als Biotop für Kreative, andererseits fehlen verlässliche Rahmenbedingungen, um weiter wachsen zu können. Werden aber diese Regeln etabliert, fühlt sich wiederum mancher Erfinder abgeschreckt.
In ihrem Fazit bemühen die Analysten denn auch die ganz großen Begriffe: "Letztlich pendelt der klassische staatsphilosophische Streit zwischen Freiheit und Intervention wie ein Damoklesschwert über dem Lebensfaden der virtuellen Welt."
Ohne echte Kontrolle geht es auch in der virtuellen Welt nicht
Etwas handfester lassen es die Kollegen von Gartner angehen. Sie weisen vor allem auf die Punkte Sicherheit und Risiko-Management hin. Im Einzelnen geben sie zu Bedenken:
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IT-bezogene Sicherheitsrisiken: Die Häufigkeit an Updates macht es schwierig, Desktop-Systeme zu kontrollieren.
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Authentifizierung und Access Management: Viele Second Life-Spieler sind gleich mit mehreren Avataren am Start. Dadurch ist es kaum möglich, Identitäten und Zugänge in den Griff zu bekommen. Wenn es denn unbedingt sein soll, rät Gartner nicht zu einem Engagement in Second Life, sondern zu eigenen virtuellen Welten innerhalb der Firewall, die intern gehostet werden.
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Vertraulichkeit: Sensible Daten gehören nicht ins Second Life beziehungsweise überhaupt nicht in irgendwelche offenen, Internet-unterstützten sozialen Netzwerke, stellt Gartner klar.
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Marken- und Rufschädigung: Virtuelle Welten lassen sich unter dem Aspekt von Markenmissbrauch oder Image-Schäden kaum kontrollieren.
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Produktivität: Nach wie vor herrscht Skepsis in der Frage, ob digitale Welten die Produktivität steigern. Während die Einen Second Life und Co. für Zeit- und damit Ressourcen-Verschwendung halten, schwärmen die Anderen vom Netzwerk- und Kollaborations-Potenzial. Gartner ist Entscheidern dabei allerdings kaum eine Hilfe: Jedes Unternehmen müsse Chancen und Risiken gegeneinander abwägen, so die Analysten vage.
DB Research hat den Text "Damoklesschwert über der virtuellen Welt" Anfang August publiziert, Gartner hat seine Thesen unter dem Titel "Corporate use of virtual worlds need careful evaluation" zur gleichen Zeit herausgegeben.