Laut Berichten des "Wall Street Journal" und unserer Schwesterzeitschrift "Network World" hat Novell signalisiert, die Firma entweder ganz oder in Teilen zu verkaufen. Es laufen Verhandlungen mit mehreren IT-Unternehmen, bei denen es nur noch um die Höhe des Preises gehen soll. VMware soll sich besonders für das Linux-Betriebssystem SUSE interessieren, das Novell vor einigen Jahren übernommen hatte. Der erwartete Erfolg - ein zweites Standbein neben dem noch in einigen Unternehmen im Einsatz befindlichen Betriebssystemklassiker Netware – ist offenbar ausgeblieben.
Eine Übernahme von SUSE durch VMware würde die Kampflinien gegen Microsoft etwas verschieben. Für VMware ist es bisher eine ausgemachte Sache, dass Server-Virtualisierung mittel- oder langfristig Betriebssysteme überflüssig macht. Schon jetzt liegt der Hypervisor-Layer in den meisten Fällen unterhalb des Betriebssystems und übernimmt immer mehr Steuerungsfunktionen der Hardware, die im klassischen Sinne eindeutig dem Betriebssystem zugeordnet waren.
Kommt VMware selbst in den Besitz eines x86-Betriebssystems, das eine Alternative zu dem übermächtigen Windows darstellt, würde man sich selbst auf eine stärkere Verzahnung von Virtualisierung und Betriebssystem ausrichten. Also genau das tun, was Microsoft mit Windows und Hyper-V vormacht, nur anders rum: Während für Microsoft die Virtualisierungsschicht eine Ergänzung oder Erweiterung des Betriebssystems ist, würde das Betriebssystem für VMware eine Ergänzung oder Erweiterung der Virtualisierungsschicht sein.
Für Analysten macht eine solche veränderte Strategie Sinn. Sie könnte dem bisherigen Marktführer bei Server-Virtualisierung VMware helfen, sich besser gegen den Angreifer Microsoft zu positionieren. Das trifft auch für das Verhältnis zu Red Hat zu, wo man sagt, VMware würde ein kompletter cloud-fähiger Stack fehlen, so wie man ihn selbst mit Linux-Betriebssystem plus integrierter KVM-Virtualisierungsschicht anbietet. Umgekehrt würde VMware der Strategie von Red Hat aber Recht geben.
Der Analyst Chris Wolf von der Burton Group argumentiert, Microsoft wird langfristig auch bei Virtualisierung erfolgreich sein, wenn es gelingt, die dominante Position von Windows beizubehalten: "Microsoft war immer in der Lage, seine Infrastruktur-Software sehr eng an das eigene Betriebssystem und an die eigenen Applikationen anzubinden. Man wird langfristig konzedieren müssen, dass Microsoft-Anwendungen besser mit dem hauseigenen Hyper-V als mit VMware zusammenarbeiten."
SUSE-Kauf als Bestandsgarantie für VMware
Gelingt es VMware, Novell SUSE einzukaufen, ist das in den Augen von Wolf "die beste Chance, auch in den nächsten 15 Jahren relevant zu bleiben". Für ihn liegt es auf der Hand, dass VMware ein eigenes Betriebssystem braucht. Damit würde VMware allerdings auch öffentlich demonstrieren, dass die Betriebssystemschicht entgegen dem bisherigen Auftreten nach wie vor bedeutsam ist.
Charles King, Analyst bei Pund-IT, sieht es ähnlich: Selbst wenn VMware-CEO Paul Maritz daran festhalte, dass das Ende der Betriebssysteme nahe sei, würde eine solche Transformation der IT Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern: "Es gibt einfach zu viele bestehende Infrastrukturkomponenten und zu viele bisher getätigte Investitionen. Warum sollten die Unternehmen ihre gewachsenen Rechenzentrumsarchitekturen aufgeben, mit denen sie so lange erfolgreich gearbeitet haben."
King gibt allerdings zu bedenken, dass Microsoft und Novell eine Partnerschaft eingegangen sind, die die gegenseitige Interoperabilität der Betriebssysteme garantiert. Microsoft wird mithin alles tun, um einen Deal von Novell mit VMware zu torpedieren.
Die VMware-Mutter EMC ihrerseits hat oft genug bewiesen, dass sie gewillt ist, sich in einmal begonnenen Übernahmeschlachten durchzusetzen.