Sie haben mehr als 30 Jahre als Techniker und zuletzt als CTO für Intel gearbeitet, bevor Sie zu EMC und schließlich zu VMware wechselten. Wie fühlt es sich an, einen im Vergleich zu Intel doch relativ kleinen Softwarehersteller zu führen?
Pat Gelsinger: Der Wechsel von Intel zu EMC war für mich schon eine dramatische Veränderung. 30 Jahre in einem Unternehmen aus der Chipbranche mit einer ganz eigenen Kultur prägen natürlich. Auch auf der Sales-Seite sind die Unterschiede gravierend. Im Vergleich zur technisch geprägten Welt bei Intel herrscht bei EMC eine Sales-orientierte Kultur. Eine EMC beispielsweise hat rund 50.000 Kunden. Um 50 Prozent des Umsatzes zu erzielen, muss man schon 300 bis 400 Kunden kontaktieren. Um 50 Prozent des Intel-Umsatzes zu generieren, braucht es nur drei große Kunden. Der Wechsel von EMC zu VMware war dann wieder relativ leicht. Ich kehrte zurück zu einer Westküsten-Company mit viel weniger kulturellen Unterschieden zu Intel. Zudem kannte ich VMware schon aus meiner Intel-Zeit.
Was hat sich seit Ihrem Amtsantritt bei VMware im September 2012 verändert?
Pat Gelsinger: Ich nenne es gerne das nächste Kapitel in der Geschichte von VMware. Lange Zeit hatte sich das Unternehmen ja fast ausschließlich auf das Thema Server-Virtualisierung konzentriert. Jetzt haben wir das Spektrum deutlich verbreitert: Wir wollen das Data Center virtualisieren. Wir wollen IT-Ressourcen sowohl in der Private als auch in der Public Cloud verfügbar machen. Und wir entwickeln uns zum Service Provider. Es geht künftig nicht mehr nur darum, Software zu entwickeln, sondern auch darum, Software bzw. die dazugehörige Infrastruktur zu betreiben. Das ist eine neue Kultur.
Wie stark wird Microsoft Hyper-V?
Lassen Sie uns trotzdem zunächst über Ihr Kerngeschäft Server-Virtualisierung sprechen. Hier hat sich Microsoft mit seinem kostenlosen Hypervisor Hyper-V zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten entwickelt. Wie reagieren Sie darauf?
Pat Gelsinger: Wir konkurrieren mit Microsoft in diesem Markt ja schon seit sieben bis acht Jahren. Microsoft hat sein Produkt langsam verbessert, das registrieren wir. Und hier denke ich an meinen alten Mentor Andrew Grove (Intel-CEO von 1987 bis 1998, Anm. d. Red.) der einst den Satz prägte: „Only the paranoid survive“. Wir müssen in der Tat paranoid sein, wenn es um Microsoft geht. Das Unternehmen hat große finanzielle Möglichkeiten und die nötige Beharrlichkeit. Wie oft hat Microsoft erfolglos versucht, mit seinem Browser erfolgreich zu sein? Sie haben nicht aufgegeben und irgendwann hat es geklappt. Sie waren auch nicht die ersten, die eine grafische Benutzeroberfläche anboten. Aber Sie haben das Thema dann doch erfolgreich besetzt. Wir gehen davon aus, dass sich das auch in anderen Marktsegmenten wiederholen kann.
Mit Hyper-V scheint Microsoft auf einem guten Weg zu sein.
Gelsinger: Hyper-V startete im Lowend des Marktes mit anfangs sehr überschaubarem Erfolg. Wir haben übrigens auch eine umfassende Virtualisierungslösung für mittlere und kleine Kunden für 84 Dollar; und unseren Hypervisor erhalten unsere Kunden schon lange kostenfrei. Geld kann man mit solchen Produkten nicht verdienen. Wenn es um größere Deals geht, kann ich mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal einen Auftrag an Microsoft verloren haben. Die Kunden haben viel Geld in unsere Produkte investiert und es wäre sehr teuer für sie, noch eine andere Lösung zu implementieren. Und unsere Produkte funktionieren einfach. Ich habe gestern mit zehn CIOs aus deutschen DAX-Unternehmen zu Abend gegessen. Wir haben jeden Einzelnen gefragt, was er von VMware hält. Die Antwort: das Produkt arbeitet fantastisch und wir lieben Euren Support.
VMware: zu teuer und zu komplex?
VMware-Produkte gelten im Markt aber auch als teuer und komplex.
Pat Gelsinger: Zur Kostenfrage kann ich nur sagen: Es hat in den letzten zehn Jahren keine Technologie im Data Center gegeben, die so effizient und kosteneffektiv war wie VMware. Insofern kann man durchaus argumentieren: Es sind wahrscheinlich unterm Strich sogar die billigsten Produkte, die Unternehmen bis dato installiert haben.
Dessen ungeachtet entwickelt sich der blanke Hypervisor immer mehr zu einem Commodity-Produkt. VMwares Strategie ist es, ein Ökosystem an Software um sein Kernprodukt herum aufzubauen. Dazu gehören etwa Monitoring- und Management-Tools. Wie erfolgreich ist dieser Weg und was sind die nächsten Schritte?
Pat Gelsinger: Die Strategie ist durchaus erfolgreich. Vergangenes Jahr haben wir beispielsweise unsere vCloud Suite auf den Markt gebracht. Diese Produktsammlung übertrifft unsere Wachstumserwartungen. Kunden, die die Suite kaufen, lassen dreimal so viel Umsatz bei uns als wenn Sie nur unser Hypervisor-Produkt gekauft hätten. In einer aktuellen IDC-Erhebung erscheint VMware nicht nur als größter sondern auch als am schnellsten wachsender Anbieter von Management-Software für die Cloud. Auf der Liste stehen eine Menge anderer Unternehmen, darunter Citrix, IBM, BMC, Dell und so weiter.
Software Defined Data Center: VMware spielt mit
Genau genommen versucht VMware ja, eine umfassende System-Management-Schicht für Unternehmen bereitzustellen. Damit konkurrieren Sie mit den ganz großen System Management-Anbietern vom Schlage der „Big Four“ IBM, HP, BMC und CA. Wie differenzieren Sie sich?
Pat Gelsinger: Unsere Strategie unterscheidet sich von diesen Anbietern. Wir haben beispielsweise kein CMDB-Tool (Configuration Management Database). Für die klassischen System Management-Anbieter ist das ein Must-have. Wir konzentrieren uns auf Cloud Operations, Cloud Provisioning, auf Dinge wie Self Service Portale. Hier spielt unser Zukauf von DynamicOps eine wichtige Rolle. DynamicOps managt nicht nur Workloads in der Cloud sondern auch solche, die in älteren, nicht virtualisierten Infrastrukturen laufen. Wenn ein Kunde heute einen Service-Katalog oder ein Self Service-Portal aufbauen will, kann er vCloud Automation Center – ehemals DynamicOps – einsetzen. Wir verfolgen also einen heterogenen Ansatz, der auch Produkte außerhalb der VMware-Welt einbezieht. Mit der Version 5.2., die aktuell auf den Markt gekommen ist, wurden weitere neue Funktionen und Integrationen aufgenommen: So können verschiedene Endpoints als Grundlage für Provisionierung von neuen Services verwendet werden, egal ob es sich um verschiedene Hypervisoren, physische Plattformen (Server) oder verschiedene IaaS-Cloud-Angebote handelt.
Das nächste große Ding in der RZ- und Virtualisierungs-Szene scheint das sogenannte Software Defined Data Center zu werden. Viele Analysten sprechen davon, unter den Hersteller gehört VMware zu den größten Protagonisten. Können Sie unseren Lesern in zwei Sätzen erklären, was dahinter steckt und wie Unternehmen davon profitieren sollen?
Pat Gelsinger: Im Grunde geht es um dieselbe Idee wie bei der Server-Virtualisierung. Ziel ist es, eine virtuelle Schicht für alle Rechenzentrumskomponenten, also Server, Storage, Networking, Security und Rechenleistung im Data Center einzuziehen. Warum brauchen Unternehmen so etwas? Aus den gleichen Gründen, die auch für die extrem erfolgreiche Server-Virtualisierung sprechen: Kostenvorteile, einfachere Bereitstellung von IT-Ressourcen und deutlich weniger Verwaltungsaufwand. Wir glauben fest daran, dass dies auch für die anderen Segmente im RZ gelten wird. Beispielsweise werden sich künftig Netzwerk-Services ebenso rasch auf Knopfdruck bereitstellen lassen wie heute eine virtuelle Maschine. Dazu integrieren wir unsere eigenen Produkte mit den Netzwerk-Virtualisierungstechniken der zugekauften Firma Nicira. Das Konzept des Software-Defined Data Center führt zur Realisierung von IT as a Service.
Die Argumente klingen überzeugend. Aber wie realistisch sind solche Visionen für Ihre Kunden heute?
Pat Gelsinger: Wir befinden uns in einem frühen Stadium. Aber wir haben erste Kunden, die sowohl VMware als auch Nicira-Technik nutzen. Zu den großen Nicira-Anwendern gehören beispielsweise Rackspace, eBay oder auch Intel, aber auch Service-Provider wie AT&T.
vCloud Hybrid Service: der Weg zum Cloud Provider
Eine neue VMware-Initiative trägt den Namen „vCloud Hybrid Service“. Dahinter verbirgt sich offenbar ein IaaS-Angebot (Infrastructure as a Service). In der Branche sorgte das für Überraschung; VMware betritt damit den Markt für Public Cloud Services und konkurriert direkt mit Cloud-Schwergewichten wie Amazon, Google, Microsoft oder Rackspace. Ist das das Ziel?
Pat Gelsinger: Ja. Wir entwickeln uns zum Public Cloud Provider.
Was sagen Ihre Partner dazu? Immerhin schaffen Sie damit ein Konkurrenzangebot zu deren Services.
Pat Gelsinger: Zunächst einmal: Stellen Sie sich vor, Sie betreiben eine virtuelle Maschine mit VMware-Software in Ihrem eigenen Data Center. Sie können diese heute ganz einfach auf ein anderes Stück Hardware verschieben. Die virtuelle Maschine (VM) bekommt von dem Umzug nichts mit. Die Software, die in der VM läuft, bleibt dieselbe, gleiches gilt für die Netzwerkkonfiguration und das Management. Mit vCloud Hybrid Service wollen wir diese Fähigkeit auch anbieten, um die VM auf einen Server in einem Public Cloud Data Center zu schieben. Mit anderen Worten: Die VM kann keinen Unterschied erkennen, ob sie in Ihrem eigenen oder einem externen Rechenzentrum einer Public Cloud arbeitet. Denn es spielt de facto keine Rolle mehr. Das ist der Mehrwert, den wir Kunden mit diesem Service anbieten.
Aber das funktioniert nur in einer reinen VMware-Umgebung.
Pat Gelsinger: Richtig. Aber weil VMware in den Unternehmen rund 80 Prozent der Workloads trägt, ist das kein Nachteil für die Kunden. Die Flexibilität, Ressourcen auf einfache Weise zwischen internen und externen Infrastrukturen zu verschieben, ist für sie ausschlaggebend. Dazu sind keinerlei Änderungen in der Netzwerkkonfiguration oder beispielsweise in den Firewall-Services notwendig.
Konkurrenz für die eigenen Partner?
Noch einmal zurück zu Ihren Partnern. Was halten Value Added Reseller (VARs), Systemhäuser oder große IT-Service Provider von diesen Plänen? Müssen sie nicht fürchten, dass Sie ihnen Geschäftschancen nehmen?
Pat Gelsinger: Wir verfolgen eine ausgesprochen partnerfreundliche Strategie. Wenn Sie heute ein kleiner VMware Reseller sind, können Sie künftig ebenso den VMware Service verkaufen. Sie behalten den Kunden, von uns bekommen Sie nur die Software, on premise oder als Service in der Cloud. Kleine Systemintegratoren oder VARs werden sich die Konditionen und Vertragsbestimmungen genau ansehen und den Nutzen für sich erkennen. Einem großen Systemintegrator wie T-Systems oder Cap Gemini, der selbst Data Center betreibt, bieten wir an, unseren Service auf seiner Infrastruktur laufen zu lassen. So kann er einen Mehrwert für seine Kunden zu schaffen. Es geht also nicht darum, ein Konkurrenzangebot zu schaffen, sondern die Beziehungen zu den Partnern auszuweiten. Das tun wir weltweit. (wh)