Gleich mit den einführenden Worten von Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch (72) ist bei der ersten ordentlichen Präsenzhauptversammlung des VW-Konzerns nach der Corona-Pandemie klar geworden, dass das Management nicht mit großer Harmonie rechnen kann.
Straßenblockaden auf Zufahrtsstraßen, Klimaproteste vor dem Versammlungsgebäude in Berlin, orchestrierte Störaktionen in der Halle am Mittwoch - all das zeigte, in welchem Umfeld sich der Autokonzern bewegt. Die Kritik zielte ab auf den Umgang der Wolfsburger mit dem Dieselskandal und der Menschenrechtssituation in China, aber auch den Verkauf von Verbrennerautos.
Ausblick vom VW-Chef
Der neue VW-Chef Oliver Blume (54) will eigentlich vor allem Entschlusskraft demonstrieren. Er referierte vor den Aktionärinnen und Aktionären über seinen Zehn-Punkte-Plan, der dem Autobauer am Wendepunkt zur Elektromobilität und zum vernetzten Auto seine Stellung sichern soll. Erst kürzlich hat Blume bei der kriselnden Softwaretochter Cariad durchgegriffen und weite Teile des Managements ausgetauscht - die teuren Verzögerungen der Vergangenheit sollen auch dank eines neuen Projektmanagements endlich Geschichte sein.
Vergangene Woche legte der Konzern Geschäftszahlen für die ersten drei Monate vor, die zwar wegen der finanziellen Bewertung von Rohstoffsicherungsgeschäften bei den Gewinnen nach unten wiesen - im eigentlichen Tagesgeschäft sah es aber besser aus. Selbst für die schwierige Lage beim Verkauf von Autos in China, dem wichtigsten Markt, fand Blume in den vergangenen Tagen zuversichtliche Worte.
Doch auch Blume musste seine Rede vor den Anlegern unterbrechen, als eine Aktivistin mit nacktem Oberkörper und Plakat lautstark seinen Vortrag störte und damit auf Menschenrechtsprobleme in China hinweisen wollte. Es sollte nicht die letzte Störung sein.
VW betreibt mit einem Gemeinschaftsunternehmen ein Werk in der chinesischen Provinz Xinjiang. Die in der Provinz lebende muslimische Minderheit der Uiguren wird laut Menschenrechtsorganisationen gezielt von der Regierung in Peking unterdrückt. VW wird vorgeworfen, nicht genug gegen mutmaßliche Zwangsarbeit bei dortigen Zulieferern zu tun.
VW hält dagegen, dass es in dem Werk mit 240 Mitarbeitenden keine Anzeichen für Menschenrechtsverletzungen gebe. Der Konzern stehe weltweit gegen Zwangsarbeit ein, sagte Rechtsvorstand Manfred Döss.
VW mahnt zur Ordnung
Dass Aktivistinnen und Aktivisten das Umfeld von Hauptversammlungen für ihre Anliegen nutzen, ist nicht ungewöhnlich. Im Saal sieht man solche Proteste auch wegen der Sicherheitsvorkehrungen am Eingang aber selten. Der VW-Konzern reagierte auf die Proteste mit einer Stellungnahme. "Ein konstruktiver Austausch ist wichtig. Und eine Hauptversammlung bietet dafür eine gute Möglichkeit", hieß es darin. "Bis auf Einzelne halten sich alle an die dafür vorgesehenen Regeln."
Doch auch Aktionärsvereine und Fondsgesellschaften zeigten sich unzufrieden mit der VW-Führung. Marc Liebscher von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger monierte, dass Aktionärsvertreter seit Jahren Fragen zu guter Unternehmensführung und weiteren Problemen gestellt, aber kaum Antworten bekommen hätten. Es scheine ihm so, "dass wir uns nicht wundern müssen, dass diese Formen des Protests nun hier geäußert werden", sagte Liebscher. Janne Werning von der Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken, Union Investment, forderte eine unabhängige Untersuchung zur Situation in Xinjiang - und erntete Applaus.
Für Aktionärsvertreter ist insbesondere die Doppelfunktion von Blume als VW-Konzern- und Porsche-Chef ein Grund zur Sorge. Ulrich Hocker von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz räumte zwar ein, dass die Führung der Sportwagentochter Porsche für einen Autofan eine gewisse Faszination darstelle. "Aber beide zusammen, das geht nicht", kritisierte er. "Die Aktionäre wollen einen Vorstandsvorsitzenden, der sich voll und ganz auf eine Aufgabe konzentrieren kann", sagte Hendrik Schmidt von der Deutsche-Bank-Fondstochter DWS. "Wir wünschen uns, dass bald Vernunft in Wolfsburg einkehren wird und Sie das Porsche-Mandat niederlegen", rief Ingo Speich von der Sparkassen-Fondstochter Deka Invest Blume zu.
Vor den rund 700 anwesenden Aktionärinnen und Aktionären sagte Blume, VW und Porsche hätten weitgehend gleichlaufende Interessen, von daher seien Interessenkonflikte nicht zu erwarten - und diese seien auch bisher in seiner Amtszeit nicht aufgetreten. Für den Fall der Fälle seien Vorkehrungen getroffen, um Interessenkonflikte auszuschließen.
Kritik gab es - ein Dauerbrenner seit Jahren - auch wieder am geringen Abstand der Vorzugsdividende gegenüber den mit Stimmrechten ausgestatteten Stammaktien. Ablehnung zeigten die Anlegervertreter auch für den Plan des Unternehmens, auch künftig die Hauptversammlung nur online ohne Präsenz austragen zu können.
Unter anderem wurde Großaktionär Wolfgang Porsche erneut für eine volle Amtszeit in den Aufsichtsrat gewählt, auch wenn er die Regelaltersgrenze von 75 Jahren bereits seit fünf Jahren überschritten hat.
Die Mehrheitsverhältnisse bei Volkswagen sind klar verteilt. Die Holding der Eigentümerfamilien Porsche und Piëch, die Porsche SE, hält mit 53 Prozent den größten Stimmrechtsanteil vor dem Land Niedersachsen mit 20 Prozent und dem Staatsfonds aus Katar mit 17 Prozent. Die Vorzugsaktionäre haben dagegen kein Stimmrecht. (dpa/rs)