Flache Hierarchien und schnelle Entscheidungswege: Viele Unternehmen gewähren ihren Mitarbeitern einen großen Handlungsspielraum. Leicht überschreiten Mitarbeiter ihre Kompetenzen und agieren unbefugterweise als Vertreter des Unternehmens.
Nach Erfahrung der Wirtschaftskanzlei DHPG fehlt es oft an eindeutigen Vertretungs-, Unterschriften- oder Vollmachtsregelungen. Viele Unternehmen versäumen im turbulenten Arbeitsalltag, klare und praktikable Regelungen zu treffen.
Die große Gefahr: Geschäftspartner dürfen unter Umständen von einer Vollmacht ausgehen, die tatsächlich gar nicht existiert. Immer wenn Vertragspartner darauf vertrauen können, dass ihre Ansprechpartner das Unternehmen berechtigt vertreten, kann durch einen sogenannten "Rechtsschein" ein wirksamer Vertrag zustande kommen. Für Unternehmen können sowohl als Auftraggeber als auch Auftragnehmer erhebliche Haftungsrisiken entstehen.
Vollmachten wider Willen
In der Praxis sind zwei Formen von Rechtsscheinvollmachten zu unterscheiden: die Duldungs- und die Anscheinsvollmacht. Für beide gilt: Auch wenn ein Vertreter nicht ausdrücklich bevollmächtigt ist, müssen Vertragspartner grundsätzlich ein Geschäft als bindend akzeptieren. Eine Duldungsvollmacht liegt vor, wenn die Geschäftsführung weiß, dass eine Person als Vertreter des Unternehmens auftritt und über einen längeren Zeitraum nicht einschreitet. Typischer Fall: Das Management toleriert, dass ein Angestellter kontinuierlich seine Befugnisse überschreitet oder dass ein bisher Bevollmächtigter weiterhin Geschäfte für das Unternehmen abschließt. Schnell haftet das Unternehmen auch im Rahmen der Anscheinsvollmacht. Denn die Rechtsprechung geht davon aus, dass die Geschäftsleitung das Handeln von vermeintlichen Vertretern in der Regel erkennen und verhindern kann, wenn sie ihre Sorgfaltspflichten erfüllt. Verwendet ein Mitarbeiter etwa ohne Vollmacht den Firmenstempel, so liegt ein Verschulden beim Unternehmen, wenn der Stempel offen zugänglich war.
Ungeachtet dessen ist auch der Kenntnisstand des Vertragspartners maßgeblich. Eine Rechtsscheinvollmacht greift nicht, wenn der Geschäftspartner wusste, dass der Mitarbeiter ohne Berechtigung gehandelt hat. In solchen Fällen ist das Geschäft für das vermeintlich vertretene Unternehmen nicht bindend, es sei denn, es genehmigt den Vertrag nachträglich. Geschäftspartner können Ansprüche auf Erfüllung oder Schadensersatz nur gegenüber dem vermeintlichen Vertreter geltend machen. Allerdings sind die rechtlichen Erfolgsaussichten oft gering. Die Haftung des Vertreters ist eingeschränkt, wenn er nicht wusste, dass er ohne entsprechende Vollmacht handelt. Sie ist komplett ausgeschlossen, wenn der Geschäftspartner die mangelnde Vertretungsmacht hätte kennen müssen. In vielen Fällen bleibt das andere Unternehmen dann auf den Kosten sitzen.
Klare Vertretungsregeln gefragt
Unternehmen sollten Fragen rund um Vertretungsberechtigungen sehr ernst nehmen und systematisch Vorkehrungen treffen. Die Geschäftsleitung kann viele Haftungsrisiken von vornherein ausschließen oder deutlich minimieren, wenn sie klare Vertretungsregelungen trifft. Es empfiehlt sich grundsätzlich, Art und Umfang einer Vollmacht schriftlich zu dokumentieren. So kann die Geschäftsleitung eine Vollmachterteilung im Streitfall belegen - oder unter Umständen auch widerlegen.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) können Vollmachten formlos erteilt und frei ausgestaltet werden. Die Regelungen des BGB gelten ganz allgemein, unabhängig davon, ob ein Unternehmen gewerblich ist oder nicht. Zusätzlich sieht das Handelsgesetzbuch (HGB) besondere Vertretungsberechtigungen für den Geschäftsverkehr mit Kaufleuten vor. Marktteilnehmer sollen sich auf feste Formen von Vollmachten mit einheitlichen Befugnissen verlassen können. Gängig sind die Prokura, die Handlungsvollmacht sowie die Laden- und Warenvollmacht.
Die richtigen Vorkehrungen treffen
Welche Vollmachten sind für welches Unternehmen sinnvoll? Letztlich sind neben den branchenspezifischen Usancen immer die firmenindividuellen Anforderungen zu berücksichtigen. Vor Erteilung, Änderung oder Widerruf von Vollmachtsregelungen sollten Unternehmen sicherheitshalber rechtlichen Rat einholen. Schließlich können die Tragweite und die möglichen Risiken erheblich sein.
Es empfiehlt sich, eine Unterschriftsordnung zu erstellen und schriftlich zu dokumentieren, um die Zuständigkeiten unmissverständlich zu regeln. Darin sollte detailliert definiert werden, wer was wann und wie unterzeichnen darf. Prokuristen versehen ihre Unterschrift mit dem Zusatz "ppa." (per procura), Handlungsbevollmächtigte in der Regel mit "i.V." (in Vollmacht). Je größer ein Unternehmen ist, desto unpraktikabler ist es, alle rechtlich verbindlichen Erklärungen von Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten persönlich vornehmen zu lassen. Es ist daher ratsam, weitere Zeichnungsberechtigungen zu benennen, die auf dem Vier-Augen-Prinzip beruhen. Ausgewählte Mitarbeiter nehmen eine Vorprüfung vor und unterschreiben "i.A." (im Auftrag). Zusätzlich zeichnet ein Geschäftsführer, Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter den Vorgang gegen. Um Missbräuche zu vermeiden, sollten die gemeinsam unterschreibenden Personen regelmäßig wechseln.
Von zentraler Bedeutung ist Transparenz nach innen und außen. Unternehmen sollten ihre Geschäftspartner frühzeitig etwa per Rundschreiben über Vertretungsberechtigungen und etwaige Änderungen informieren. So lassen sich viele Missverständnisse von vornherein vermeiden. Und: Geschäftspartner können nicht argumentieren, sie wären nicht informiert worden.
Ebenso wichtig ist es für Unternehmen, Mitarbeiter zu sensibilisieren, die selber keine gesetzliche oder vertragliche Vollmacht besitzen. Auch ohne offizielle Bevollmächtigung agieren sie als Vertreter des Unternehmens und können Verträge abschließen. Hier ist Aufklärung notwendig. Denn viele Mitarbeiter handeln im guten Glauben, ohne die Haftungsfallen zu kennen. Die Tücke liegt oft im Detail. Schon kleine, alltägliche Situationen wie Paketannahmen oder Bürobestellungen bergen unter Umständen ungeahnte Haftungsrisiken.
Neben den firmeneigenen Vollmachten erfordern auch die Vertretungsbefugnisse von Geschäftspartnern ein besonderes Augenmerk. Unternehmensvertreter sollten sich vor jedem Vertragsabschluss über Art und Umfang der Vollmacht ihres Gegenübers informieren, etwa durch Einsichtnahme in das Handelsregister, was heute online möglich ist. Über die Internetseite www.handelsregister.de können sich Unternehmen mit wenigen Klicks Klarheit über wichtige Vertretungsregelungen verschaffen. So minimieren sie das Risiko, dass Geschäfte nicht zustande kommen, da sie rechtlich unwirksam sind.
Beispiele: Erst nachdenken, dann unterschreiben
Im Büro-Alltag kommt es leicht zu unbedachten Vertragsabschlüssen, die ungeahnte Konsequenzen mit sich ziehen können. Unternehmen sollten ihre Mitarbeiter sensibilisieren und Befugnisse klar regeln.
Paketannahme: Schnell quittieren Mitarbeiter einen Paketempfang, ohne die Lieferung vorab auf äußere Schäden hin zu untersuchen. Mit der Unterschrift haftet der Abnehmer unter Umständen für Transportschäden. Besondere Vorsicht ist bei der Paketannahme für Büronachbarn gefragt. Die Zustellung könnte in den eigenen Büroräumen beschädigt oder gestohlen werden. Obendrein werden möglicherweise wichtige Fristen in Gang gesetzt. Praxistipp: Postbevollmächtigte benennen und im Zweifelsfall Zustellungen ablehnen.
Bürobestellung: Oft bestellen Mitarbeiter Büromaterialen in Eigenregie ohne sich mit Kollegen abzustimmen. Schnell kann es so zu Doppelbestellungen oder Fehlkäufen kommen. Zudem drohen Zusatzkosten, weil das Kleingedruckte überlesen oder Sonderkonditionen nicht ausgeschöpft wurden. Praxistipp: Bündelung von Bestellung und Beauftragung durch einen festen Personenkreis.
Stundenzettel: Viele Dienstleister legen nach Erledigung ihrer Arbeiten einen Auftrags- oder Stundenzettel zur Unterschrift vor. Doch stimmen Stundenaufwand und Kostenpositionen? Eine genaue Überprüfung ist Pflicht. Wer übereilt quittiert, läuft zudem Gefahr eine Leistung abzunehmen, die nicht auftragsgerecht erfüllt wurde. Praxistipp: Auf eine offizielle Abnahme gegebenenfalls mit Funktionstest bestehen; im Zweifelsfall nicht oder nur "unter Vorbehalt" unterschreiben.
Der Autor Gereon Gemeinhardt ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Erbrecht und Steuerberater der Kanzlei DHPG in Bornheim.