"Wir sind besser, als wir uns machen - und können noch viel besser werden", rief Bettina Uhlich, Vorsitzende des IT-Anwenderverbandes Voice, die versammelten IT-Chefinnen und -Chefs beim Entscheiderforum am 20. November 2024 in Berlin auf. Deutschland habe, trotz aller Unkenrufe, in Sachen Digitalisierung nicht den Anschluss verloren.
Weg von Defiziten
Viel zu oft liegt laut Uhlich der Fokus auf den digitalen Defiziten der deutschen Wirtschaft. Das könne schnell zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden, warnt die Managerin und mahnt, dass genau dies aber nicht passieren dürfe. Deutsche Unternehmen hätten durchaus Potenzial und nutzten dies auch. "Wo wären wir denn, wenn wir nicht seit Jahren bereits digitale Technologien verwenden würden", appellierte Uhlich an das Plenum.
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Also gelte es, sich auszutauschen sowie voneinander und aus guten Beispielen zu lernen. Die Gewinner der Best Data Awards, die im Rahmen des Entscheiderforums verliehen wurden (dazu später mehr), gäben solche Beispiele.
Um mehr digitale Transformation zu wagen, müssten IT-Verantwortliche in Anwenderunternehmen vier Dinge beherzigen:
Risikobereitschaft, auch ohne wasserfesten Business Case Digitalinitiativen zu skalieren, denn sie sind Investitionen in die Zukunft.
Verständnis fördern, indem sie deutlich ausdrücken, was sie für die digitale Zukunft brauchen.
Inspiration aus dem offenen Austausch mit Business und Fachabteilungen schöpfen.
Vertrauen im Unternehmen für Digitalinitiativen aufbauen, denn ohne den Rückhalt des Vorstands, gehe es nicht.
Zum Abschluss rief Uhlich die versammelten Entscheiderinnen und Entscheider auf, die Digitalisierung gemeinsam anzupacken, mit den Worten: "Danke fürs Machen!"
Die Politik muss den Weg bereiten
Damit die Unternehmen das tun können, muss die Politik vorarbeiten, statuiert Stefan Schnorr, Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Deutschland sei beispielsweise führend in der KI-Forschung, aber es mangle am Transfer von der Entwicklung zur Anwendung.
Hier müsse der Staat mit anpacken. Statt mit immer mehr Bürokratie und neuen Regulierungen die Digitalisierung zu hemmen, gelte es laut dem Politiker, in bestehenden Institutionen mehr Kompetenzen aufzubauen. Die Zusammenarbeit, auch auf internationaler Ebene, müsse stärker gefördert werden.
Zudem sollen Datenräume geschaffen werden, um alle Akteure miteinander zu vernetzen. "Wir müssen aus vielen kleinen Seen ein großes Meer machen", resümiert Schnorr.
Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag und Mitglied im Ausschuss für Digitales, hat darüber hinaus weitere Probleme ausgemacht: "Wettbewerbsfähigkeit hängt von der politischen Stabilität ab", konstatiert sie.
Neben digitalen Themen spielten auch externe Faktoren eine Rolle, so die Politikerin. So verprelle der weiter grassierende Rassismus in einigen Bundesländern ausländische Talente. Stattdessen gelte es, echte Diversität zu leben. Deutschland sei etwa schlecht darin, Bildungsnachteile durch den sozialen Hintergrund auszugleichen sowie Stereotypisierung zu vermeiden. Hier müsse die Politik ebenfalls anpacken.
Beispiele aus der Praxis
Dass trotz aller Hürden deutschen Unternehmen spannende Initiativen in Sachen Digitalisierung vorantreiben, zeigten die Vortragenden in Berlin.
So sprach Melanie Kehr, Mitglied des Vorstands der Kfw, darüber, wie die Förderbank Künstliche Intelligenz anwendet. Im Bereich Risikomanagement nutzt das Unternehmen KI für weltweites Media Monitoring, um aufziehende Krisen schneller im Blick zu haben. Auch im Rahmen des Heizungsförderungsgesetztes kommen Bots zum Einsatz. Sie unterstützen dabei, Rechnungen von Haushalten zu prüfen, um festzustellen, ob ihnen eine Förderung zusteht.
Bei der Bundesagentur für Arbeit befasst sich CIO Stefan Latuski mit dem Fachkräftemangel. Da die Behörde bis 2030 zirka 40 Prozent der Belegschaft verlieren wird, will der Manager seine Organisation mehr in Richtung Digitalisierung und Automatisierung umstellen.
Dazu hat der IT-Chef drei Handlungsfelder definiert. Erstens gilt es das IT-Service Portfolio samt In- und Outsourcing zu überarbeiten.
Zweitens wandelt sein Team die hierarchische IT-Organisationsstruktur in ein produktzentriertes Modell nach dem DevSecOps-Ansatz um. Zudem hat er in einem neuen Führungsmodell die disziplinarische und fachliche Personalverantwortung getrennt. Erstere soll die passenden Rahmenbedingungen für die Arbeit der Teams schaffen, während Letztere die Aufgaben umsetzt.
Drittens soll in der BA künftig moderne Technologie eine größere Rolle spielen. Um KI etwa bei der Antragsbearbeitung einsetzen zu können, will Latuski eine Multi-Cloud mit einem Mix aus Hyperscalern und souveränen Anbietern aufbauen. Ziel ist es, statt einem Lift-and-shift-Ansatz nativ in die neue Cloud-Umgebung zu migrieren.
Der Werkzeugspezialist Würth setzt dagegen auf eigene Rechenzentren statt Cloud für die Haltung von Kundendaten. Dennoch will das Unternehmen sich in Richtung Omnichannel weiterentwickeln, berichtet Bernd Herrmann, Mitglied der Konzernführung des Herstellers.
Um den Innendienst zu entlasten, bietet Würth seinen Außendienstmitarbeitern einen LLM-basierten Chatbot im Auto an. Dieser versorgt die Mitarbeitenden auf dem Weg zur Kundschaft mit allen nötigen Informationen für den anstehenden Termin.
Des Weiteren arbeitet Würth an einem App-Store als digitale Kundenschnittstelle. Darüber hinaus laufen Projekte für RPA und die weitere Automatisierung von Logistikprozessen. Der Anspruch lautet, in diesem Bereich 75 Prozent Automatisierungsgrad zu erreichen, so Herrmann.
Vorwerk-CIO Jörg Kohlenz befasste sich mit Digital Leadership und pochte darauf, Führung stärker in Werten zu denken. Bei Vorwerk lauten diese Werte:
Walk the talk
Give and earn trust
Autonomie und Empowerment stärken
Purpose - ein gutes "Warum" ersetzt viele "Wie"
Fehlerkultur und Lernen fördern
Daneben gelte es, alle Mitarbeitenden unter einer Vision zu vereinen, und zwar so einfach wie möglich. "We are your IT @ Vorwerk" lautet der Leitspruch im Unternehmen. Das helfe, die interne IT vom Service Provider abzugrenzen und stärke die Identifikation der Kollegen mit dem Unternehmen.
Gut gemachtes
Im Rahmen des Entscheiderfroums zeichnete der Anwenderverband zudem bemerkenswerte Digitalisierungsprojekte mit dem "Best Data Project Award" aus.
In der Kategorie Großunternehmen schaffte es die Brenntag SE mit dem Projekt "Next Best Action" auf den ersten Platz. Es handelt sich um eine Sales-App mit integrierten Machine-Learning-Algorithmen, die Mitarbeitenden des Chemiedistributors die erfolgversprechendsten Interaktionen mit Kunden empfiehlt. Das Ergebnis: Die jährlichen Gewinne stiegen um bis zu sechs Prozent und der Net Promoter Score kletterte rund 25 Prozent nach oben.
"SIA DARE" steht für "Strategic Investment Area Data Analytics Run by Everyone". Mit dieser strategischen Initiative transformierte sich BSH zu einer datengestützten und -getriebenen Organisation. Damit schaffte es der Hausgerätehersteller auf den zweiten Platz unter den Großunternehmen.
Vattenfall, das drittplatzierte Großunternehmen, machte mit dem Projekt "The Q" die Fehleridentifikation in Bestandsdaten intelligent und automatisierte die damit verbundenen Workflows.
In der Kategorie "Mittelstand" schaffte es der Automobilzulieferer IAV mit dem IAV Wissensbot nach ganz oben auf das Siegertreppchen. Damit finden Mitarbeitende schneller Informationen, indem der Bot relevante Daten - wenn gewünscht auch über Microsoft Teams - auf einfache Anfragen hin bereitstellt.
Silber im Mittelstand erhielt Getränke Hoffmann mit seiner Smart Supply Chain. Mit Machine-Learning-Modellen und einer neuen Smart Data Platform werden automatische Bestellvorschläge für das Sortiment erstellt und den Kunden zur Verfügung gestellt.
Der dritte Platz ging an die Dehn SE. Das KI-basierte Vorhersagemodell "Predictable Customer" ermöglicht realistische Fünf-Tages-Forecasts der Lieferpositionen. Damit lässt sich der Mitarbeiterbedarf in der Logistik um 15 Prozent genauer planen.