Neben dem Eingang C in der Leipziger Liebigstraße 27 bröckelt der Putz von der Hauswand. Noch immer, 13 Jahre nach der Wende, wurde das Gebäude, das der Universität Leipzig gehört, nicht restauriert. Wacker hält sich das vernachlässigte, tief ergraute und poröse Betondach über der Tür. Schrill wirkt dagegen das Plastikschild, das Alexander Trautmann kurz nach Beginn seiner Tätigkeit an dem Gebäude anbringen ließ: eine sauber polierte, weiße Fläche mit dem nagelneuen, graublauen Logo der Uniklinik und der Aufschrift "Bereich 1: Informationsmanagement; Chief Information Officer (CIO); Anwendungssysteme und Systemtechnik".
Bis vor vier Monaten endete der Weg im Inneren des Gebäudes unvermittelt vor einer grauen Stahltür, die das damalige "Zentrum für Medizinische und Administrative Informationssysteme" (ZMAI) vom übrigen Universitätsbetrieb abschirmte. "Da hängt ein Telefon an der Wand. Wählen Sie die Nummer von Herrn Trautmann, dann werden Sie hier eingelassen", erklärt noch heute eine Mitarbeiterin, der die Umstellung offenbar schwer fällt. Zu DDR-Zeiten begann hinter der Tür das Reich der Parteisekretäre. "Als erste Neuerung habe ich diese Tür von morgens bis abends offen stehen lassen", sagt Trautmann. Der erste CIO der vor knapp drei Jahren der Hochschule ausgegründeten Universitätsklinik hat jetzt im Trakt hinter der Stahltür sein Büro.
Über einen Headhunter bekam der Luft- und Raumfahrtingenieur erstmals Kontakt zur Klinikwelt. Der dort seit Ende 2000 als kaufmännischer Vorstand tätige Elmar Keller, früher Vorstand der privaten Rhön-Kliniken, suchte einen CIO: möglichst mit Erfahrung aus der Wirtschaft, aber ohne hinderliche Abhängigkeiten von Ärzteverbänden und Lobbyisten aus der Gesundheitsindustrie - einen Mann ohne Schatten also.
Trautmann, bis Ende August 2002 beim Nachrichtensender n-tv beschäftigt, kam das Jobangebot gelegen. Der in Berlin für die EDV, die Produktionsentwicklung und Übertragungstechnik verantwortliche CIO befürchtete, bei der Übernahme durch die RTL Group Mitte August 2002 Verantwortung zu verlieren. "Der strategische Faktor meiner Arbeit wäre entfallen", ist sich Trautmann sicher, "doch der machte meine Arbeit ja aus."
Ein IT-Chef für 29 Kliniken
Doch auch bei seinem neuen Arbeitgeber waren die Zuständigkeiten zunächst ungeklärt. Für IT-strategische Belange war in den vergangenen acht Jahren das Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE) verantwortlich, für taktische und operative Dinge der Bereich Informationssysteme (bis 1994: ZMAI). "Zusätzlich gab es in jeder einzelnen Klinik IT-Betreuer", sagt der neue CIO. Innerhalb der ersten drei Monate hat Pragmatiker Trautmann aus dem Bereich Informationssysteme den Bereich Informationsmanagement gemacht und sich zum Chef über strategische und operative Fragen in allen 29 Kliniken sowie zum Vorsitzenden eines neu geschaffenen IT-Lenkungsausschusses der Unikliniken erklärt. "Das Institut IMISE ist nun unser internes Beratungshaus", sagt Trautmann. "Sie bekommen von uns Aufträge für Studien und liefern uns die Ergebnisse." Als nächstes möchte er einen Stab aus fünf Mitarbeitern aufbauen, der die Prozesse im Krankenhaus umgestalten soll.
Die Aufgaben, die derzeit auf die gut 2200 Krankenhäuser in Deutschland zukommen, sind gewaltig. Seit dem 1. Januar können sie auf Basis der so genannten Diagnosis Related Groups (DRGs) ihre Kosten abrechnen. Dieses Konzept basiert auf gewichteten Fallpauschalen und setzt eine hohes Maß an Transparenz voraus. Die Diagnose- und Therapiedaten eines Patienten sollten deshalb online allen Kliniken zur Verfügung stehen. Die Krankenkassen unterstützen zudem Krankenhäuser, die schon dieses Jahr auf DRGs umstellen, mit einer Budgeterhöhung von mehr als zwei Prozent. "Das ist so, als wenn Sie der Autoindustrie sagen: Baut in acht Wochen ein Null-Liter-Auto! Wenn ihr das nicht schafft, seid ihr selbst Schuld", erklärt Trautmann.
Trautmann lässt sich von den Klinikdirektoren ("das sind alles gestandene Persönlichkeiten") nicht einschüchtern. Da kommt dem gebürtigen Düsseldorfer die Disziplin zu Hilfe, die er in seiner Jugend im Internat in Münster anerzogen bekam. Der CIO strahlt Zuversicht aus. Wache Augen schauen hinter der silbernen Brille des Rheinländers hervor, der selten ein Blatt vor den Mund nimmt. "Diplomaten sind Verwalter, CIOs müssen Macher sein", betont Trautmann, der weiß, dass er ohne konsequentes Handeln von Beginn an keine Chance zur Veränderung hat.
Bisher schätzen viele Mediziner die IT nicht besonders. Im Ärzteblatt schreiben sie von der Gefahr, die DRGs für den Berufsalltag bedeuteten: Heerscharen von MedizinControllern bräuchten sich nicht mehr um die Patienten zu kümmern, sondern vor allem um einnahmesichernde Aufgaben. Trautmann nennt es eine "kleine Industrialisierung", die den Krankenhäusern bevorstehe und die die Ärzte dazu bringen werde, nicht nur Arbeiten im "medizinisch-ästhetischen" Bereich zu übernehmen, sondern auch die Dokumentation.
Die Schere zwischen der kaufmännischen und der medizinischen Perspektive, so hat Trautmann beobachtet, würde sich immer mehr schließen. "Aufgabenbezogene Arbeit mit klaren Rechten, Pflichten und Kompetenzen" lautet seine Forderung. Einige IT-Projektleiter habe er bereits gefunden, doch Prozessdenker fehlten ihm noch. Der Arzt müsse wie jeder andere Mitarbeiter im Krankenhaus lernen, prozessorientiert zu denken. Nur dann könne ein Krankenhaus wirtschaftlich arbeiten.
IT-Kosten sind völlig intransparent
Trautmanns zentrale Botschaften an sein Team: Erledigt erst einmal die einfachsten Dinge! Und: Macht klar, womit ihr euer Geld verdient! "Eine Uniklinik kennt selten die echten Kosten", hat er festgestellt. Angaben über das derzeitige IT-Budget seien unmöglich. "Deshalb brauchen wir Transparenz statt Systeme. Wir müssen definieren: Was ist ein Projekt? Wie organisiere ich das? Wer ist mein Sponsor?"
Eine moderne IT-Landschaft für die im Zentrum Südost gelegenen Kliniken - mit Patientenakten, durchgängiger Vernetzung und möglichst einheitlichen Systemen, das ist Trautmanns Ziel. Wie die Zukunft aussehen kann, zeigt ein neues operatives Klinikcenter, das am 1. Juli eingeweiht werden soll. "Papierarm" soll es sein, mit zentraler Bilddatenbank und der Möglichkeit für Ärzte anderer Kliniken, online auf Daten zuzugreifen. Dass eine Zentralisierung der IT-Entscheidungen nötig ist, zeigt die derzeitige Situation: "Über unser Campusgelände zu gehen ist so, als ob Sie durch die gesamte deutsche Hardware-Landschaft galoppieren", so Trautmann. "NT-, Unix-, Linux- oder Windows-2000-Systeme: Da finden Sie alles." 150 Server-Systeme hat er gezählt; selbst auf einzelnen Stationen der gleichen Klinik sind verschiedenste Systeme im Einsatz. Gern vergleicht er ein Krankenhaus mit einem riesigen Logistikunternehmen, in dessen Mittelpunkt das "Produkt Patient" stehe. "Die Prozesse sind ähnlich wie in Medienunternehmen, der Luftfahrt oder der Autobranche." Deshalb sei ihm der Schritt in die Gesundheitsbranche nicht schwer gefallen.
In zwei Jahren will Trautmann sein Schild an ein neues Gebäude der Universitätsklinik schrauben und mitsamt seinem IT-Stab dort einziehen. Die anstrengenden Umstrukturierungen der Anfangsmonate sollen dann vergessen sein - genau wie der bröckelnde Putz.
Alexander Trautmann (43), CIO Universitätsklinikum Leipzig
Zur Person: Seit September 2002 CIO im Bereich Informationsmanagement der Universitätsklinik Leipzig
Frühere berufliche Stationen: CIO beim Nachrichtensender n-tv: zuständig für die EDV, Produktionsentwicklung und Übertragungstechnik, Leiter Information und Organisation beim Autokonzern Nissan Automotive, Leiter Datenverarbeitung und Information bei der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, Stellv. Geschäftsführer beim IT-Dienstleister Alldata, Leiter der Anwendungsentwicklung beim Flugreiseveranstalter LTU