Für Ralf Schmid ist klar, wo heute die Prioritäten seiner Arbeit liegen, wenn es um die IT geht. „Während wir vor einigen Jahren die technische Unterstützung der Verwaltungssysteme als unsere wichtigste Hauptaufgabe definieren konnten, liegt heute die größte Herausforderung am Front-End“, sagt der COO des Finanzdienstleisters MLP in Heidelberg.
Die Aussichten für die Branchen sind nicht schlecht. Mit dem Rückzug des Staates aus Bereichen wie der Altersvorsorge steigt der Bedarf an privaten Finanzdienstleistungen. Gleichzeitig werden die Finanzprodukte, aber auch die gesetzlichen Regelungen, die vor, während und nach den Abschlüssen der Verträge zu beachten sind, immer komplizierter – weswegen die Berater Unterstützung aus dem Laptop brauchen. Die Mitarbeiter beim Kundengespräch mit kluger Finanzsoftware zu unterstützen, ist die vordringlichste Aufgabe für MLP, das rund 2500 Berater an die Kundenfront schickt. Beim Mitbewerber AWD aus Hannover berechnen sogar mehr als 6000 Vertriebsmitarbeiter an ihren Tablet-PCs mit Hilfe von selbst entwickelten Anwendungen wie SitLap („Situative Lebensabschnittsplanung“) und PFS („Private-Finanz-Strategie“) Finanzierungsszenarien.
Vermögensszenarien am Bildschirm
Mit den alten, auf dem Kalkulationsprogramm Excel basierenden Anwendungen, die ermittelten,wie viel Privatrente man mit 65 bekommt, hat die neue Generation von Beratungsanwendungen wie „MLP Finanzmanagement“ nicht mehr viel gemein. Die Kunden haben in der Regel Geld übrig und wollen ihr Vermögen optimieren. Sie erwarten, dass ihnen mehrere Alternativen aufgezeigt werden, wie das Geld arbeiten soll. Die Berater spielen am Bildschirm detaillierte Szenarien dynamisch durch und demonstrieren, wie die Liquiditätsströme in jeder Lebensphase aussehen,wenn man sich für Lösung A entscheidet und wenn sie Lösung B ablöst.
Diese Berechnungen sind enorm komplex. Beispiel Altersvorsorge: Das Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) hat dafür gesorgt, dass Einkünfte,Gehälter, Beiträge und Zuschüsse zum Teil als Brutto-, zum Teil als Nettobeträge und zudem in allen Lebensphasen nach unterschiedlichen Faktoren kalkuliert in die Rentenrechnungen einfließen. Zuschüsse aus der betrieblichen Altersvorsorge werden anders eingerechnet als die Beträge, die der Staat zur Riester-Rente dazu gibt. „Die Beratungsapplikationen sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken“, sagt Schmid.„Mit Bleistift, Papier und Taschenrechner allein kriegen Sie das nicht mehr hin.“
Am Front-End gibt es zu den spezialisierten Eigenentwicklungen keine Alternative. Anderswo setzt die Branche auf Standardtechnologie. In den Verwaltungs- und Back-Office-Bereichen nutzt AWD Navision. MLP bindet sich derzeit immer stärker an SAP und baut das Modulportfolio aus.
Datenstamm von 600000 Kunden
Ein Beispiel ist der Einsatz von SAPs CRM-Modul für das Kunden-Management. Ab August will man bei MLP mit dessen Hilfe Vertriebsleuten „vertragsinduzierte Gesprächsanlässe“ liefern. Die werden aus dem Datenstamm der Heidelberger abgeleitet, der 600000 Kunden umfasst. Die meisten Kunden haben schon jetzt fünf bis sechs unterschiedliche Verträge mit MLP abgeschlossen. Doch die Heidelberger halten die Cross-Selling-Rate noch lange nicht für ausgeschöpft.
Zudem hilft die engere Anbindung der Außendienstler an die CRM-Daten der Dienstleisterbranche, die bislang virulente Papierflut rund um die Zeichnungsscheine – also die eigenhändig vom Kunden unterschriebenen Verträge – einzudämmen. Sind die Laptops mit Kundenund Unternehmensdatensätzen verzahnt, lassen sich etwa Verträge vor Ort ausdrucken, sie müssen nicht mit der Post versandt werden.
Auch bei der Bearbeitung dieser Belege gibt es noch viel Optimierungspotenzial, sagt Friedemann Florey, Geschäftsbereichsleiter Informationstechnologie beim ITDienstleister C:1 Financial Services: „Sehr oft werden die unterschriebenen Zeichnungsscheine, Briefe und Faxe noch abgetippt.“ Er beobachtet ein steigendes Interesse an Projekten, bei denen Belege maschinell eingelesen werden. Auf Grundlage dieser Verfahren werden dann die Vertragsdaten digital generiert und weiterverarbeitet, und auch die Vertriebsvergütungen lassen sich mit Hilfe dieser Datensätze automatisch errechnen.
Angesichts dieser Vorteile steht das Erschließen der Kundendaten nicht nur bei MLP auf der Agenda. MPC erlaubt seit Anfang des Jahres sogar externen Partnern den Zugriff auf das eigene CRM-System.„Wir verwalten und nutzen die Daten ohnehin intern“, sagt John-Asmus Burmester, Geschäftsführer des firmeneigenen ITDienstleisters MPC IT Services. „Und wir wollten den Workflow mit unseren Partnern verbessern. Es lag also nahe, den Vertriebspartnern die Implementierung eigener CRM-Systeme abzunehmen.“
Ein CRM-System namens iET Enterprise von der Münchener Firma iET Solutions wird auf MS-SQLServern betrieben und ist das technische Rückgrat der Hanseaten. Mit ihm ist Contelligent, ein Content-Management-System (CMS) von C:1 Financial Services, verknüpft. Über diese Infrastruktur stellt MPC Vertriebspartnern über das Internet ein Informationsportal zur Verfügung.Mehrere hundert Nutzer – die Berater in großen Banken, Versicherungsberater und freie Finanzberater – wählen sich dort ein.
Die Kosten für das Portal sind überschaubar. Um die CRM-Daten online zu stellen, waren nur geringe Modifikationen am CMS-System notwendig. Das Log-In definiert, wer welche Daten einsehen kann. Nutzerkonten für neue Vertriebspartner einzurichten dauert Burmester zufolge „nur ein paar Minuten“.
Auch die Anleger können jetzt Ausschüttungsübersichten anklicken oder beobachten, wie sich bestimmte Beteiligungsmodelle entwickeln.Wer an Schiffsfonds beteiligt ist, kann Informationen über die einzelnen Schiffe einsehen, selbstredend aber nicht die Portfolios der anderen Anleger, die am Fonds beteiligt sind. „Ein Ersatz für den persönlichen Kontakt mit den Beratern soll das Internetangebot nicht sein, eher ein Sahnehäubchen in Sachen Service“, stellt Burmester klar.
MLP will die papierlose Beratung
Bei MLP hat man den Trend zur Kundeninformation über das Internet ebenfalls aufgegriffen. Über die Applikation „MLP Financepilot“ auf der Homepage können sie ihre Verträge einsehen. Die Verzahnung des Portals mit den Back-End-Daten der Heidelberger ist zudem ein Beleg dafür, dass der Finanzdienstleister auf dem Weg in die papierlose Beratungs- und Transaktionslandschaft vorankommt. „Ohne Medienbrüche wird ein Gesprächsanlass geliefert, der Kunde wird beraten, und wenn man im Konzeptgespräch so weit ist, rechnet der Berater die Angebote durch“, beschreibt MLP-COO Schmid das Zukunftsszenario. „Zum Abschluss generiert der Berater den Vertrag, und der Kunde erhält automatisch eine Dokumentation des Gesprächs.“
Um dieses Szenario Wirklichkeit werden lassen, begann Schmids Vorgänger Carsten Stockmann vor zwei Jahren, die historisch gewachsene Anwendungslandschaft mit dem Back-Office zu verquicken und zum Teil durch Standardlösungen zu ersetzen. Auch Schmid setzt auf ein Zusammenspiel von Eigenentwicklungen und Standardapplikationen, um die „Dreifaltigkeit“ zusammen zu fassen, wie er die drei Elemente Beratungsapplikationen, CRM-Systeme und Vertragsdatensätze selbst nennt.„Wir standen vor der Entscheidung, wie wir Polynesien weiter verwalten“, erläutert COO Schmid im Nachhinein die Entscheidung. „Wir sind keine ITEntwickler, also wollen wir da, wo es für uns Sinn macht, in die Standardwelt hinein“, betont er. Bis 2008 soll der Mix aus Eigen- und Fremdentwicklungen so weit miteinander verbunden sein, dass die MLP auf eine vollständig durchdigitalisierte Wertschöpfungskette ohne Medienbrüche zugreifen kann.