Microsoft macht zurzeit eine Menge – und macht es CIOs damit nicht gerade leicht. In schnellem Rhythmus präsentiert der Software-Riese neue Produkte und Versionen, ein ganzheitlicher Plattform-Ansatz soll die Infrastruktur-Weichen für die mobile Zukunft stellen. Einen hohen Puls bei Microsoft diagnostiziert deshalb die Experton Group, der zu Bluthochdruck bei IT-Entscheidern führen könne. Wer sich für lange Zeit an einen strategischen Lieferanten wie Microsoft gebunden habe, stehe angesichts der vielen Neuerungen unter Druck. Analyst Axel Oppermann bewertet deshalb einige der aktuellen Entwicklungen beim Anbieter, um Anwendern den Überblick zu erleichtern.
System Center 2012 - der zentrale Cloud-Baustein
Ein „entscheidender und zentraler Baustein für die Cloud-Strategie von Microsoft“ sei das System Center, so Oppermann. Als Basis für eine produktive Infrastruktur soll das Management unterschiedlicher Gerätetypen ebenso erleichtert wie Cloud-Infrastrukturen durchgesetzt werden. „Durch die Ablösung von Einzelprodukten soll nicht nur die Akzeptanz gesteigert werden, sondern vielmehr das System Center als eine zentrale Managementkonsole tief in den Infrastrukturen verankert werden“, urteilt Experton. Zentrale Verwaltung und eine übergreifende Interoperabilität von Komponenten wie etwa Configuration Manager, Service Manager oder Endpoint Protection verspricht der Anbieter.
Angeboten wird das Produkt in zwei Varianten: der Standard-Edition und der Datacenter-Edition. Laut Experton unterscheiden sich diese im Kern lediglich durch die Anzahl der Betriebssystemumgebungen (Operating System Environments, kurz OSEs), die verwaltet werden können. Die Standard-Edition eigne sich insbesondere für nur schwach oder überhaupt nicht virtualisierte Private Cloud Workloads. Die Datacenter-Edition wartet mit enormer Cloud-Kapazität auf. Für private Clouds ist die Zahl an steuerbaren OSEs nahezu unbegrenzt, dazu können acht OSEs in einer Public Cloud verwaltet werden.
Lizenzierungen gibt es diverse, wie eigentlich immer bei Microsoft. Beispielsweise wird bei der Server Management-Lizenzierung unter anderem nach Virtualisierungsrechten differenziert, dazu gibt es bei der Client Management-Lizenzierung Angebote für Configuration Manager und Endpoint Protection oder auch eine umfassende Client Management Suite. Experton rät Anwendern, Anforderungen und auch zukünftigen Bedarf in Form einer Compliance-Matrix zu definieren sowie Lizenzbestimmungen und damit verbundene Kosten ausgiebig zu analysieren und auch unterschiedliche Szenarien durchzuspielen.
„Für Unternehmen, die sich stark in Richtung Cloud Computing orientieren und bereits eine große Affinität zu Microsoft-Lösungen – insbesondere Windows Server und Virtualisierung mit HyperV – verspüren, ist das System Center ein starkes Werkzeug“, so Oppermann. Individuelle Cloud-Szenarien ließen optimiert abbilden. Anwender, die viele Clients diverser Plattformen und Hersteller managen müssen, können System Center laut Experton möglicherweise als nützlichen Werkzeugkoffer betrachten. Für IT-Dienstleister könne System Center eine relevante technische Grundlage werden.
Kinect - Windows-Systeme mit Gesten steuern
Kinect ist seit Februar auch in Deutschland auf dem Markt und hat nach Experton-Einschätzung das Zeug zum „Gassenhauer“ mit dem Potenzial, Arbeitsweise und Interaktion mit Automaten zu revolutionieren. Eine innovative Bewegungssensor-Technologie, mit XBOX 360 erprobt im Spielebereich, wandert gewissermaßen auf Windows-Systeme.
„Somit kann die Steuerung an Windows-Systemen zukünftig verstärkt über Gesten erfolgen“, analysiert Oppermann. „Ferner kann eine Integration in Präsentationslösungen und UC-Lösungen wie Videokonferenzen erfolgen.“ Die Anwendungsfelder reichten von der Steuerung des Büro-PCs als Mausersatz über die schnelle Sortierung von Dokumenten oder Daten und die Steuerung in schwierigen Produktionsumfeldern bis hin zur Interaktion mit Kunden oder Automaten. Kinect soll auf Windows 7 und 8 laufen und enthält im Vergleich zur Spielversion eine verbesserte Tiefenkamera und ein kürzeres USB-Kabel. Die Kosten liegen bei Markteinstieg um die 250 US-Dollar. „Es ist davon auszugehen, dass die Kosten der Hardware sehr schnell sehr stark fallen werden“, vermutet Experton.
Klingt also nicht wirklich nach einem Pflicht-Sofortkauf für jeden Anwender. Nach Experton-Einschätzung sollten sich insbesondere Firmen ab 250 Mitarbeitern aber zumindest frühzeitig mit derartigen modernen Steuerungs-Komponenten beschäftigen. „Durch den Einsatz kann sowohl die Qualität von Eingaben, die Prozesseffizienz in bestimmten Anwendungsfeldern und die Gesundheit der Mitarbeiter verbessert werden“, so Oppermann. Wer eigene Entwicklerkompetenzen hat, sollte Optionen ausloten; für Maschinenbauer ist die Technologie eventuell interessant als Komponente und Alleinstellungsmerkmal in eigenen Produkten.
Weil im privaten Bereich die XBOX-Variante über 18 Millionen-mal verkauft wurde, sei auf kurze Adaptionszyklen zu schließen, so Experton: „Die eigentliche Umwälzung wird dann kommen, wenn die veralteten Arbeitsprozesse und Bereitstellungsformen von IT überdacht werden.“
Apps und Lösungen für Nicht-Microsoft-Plattformen
Die vergangenen Jahrzehnte waren golden für Bill Gates und sein Unternehmen. In den Büros wurde mit PCs gearbeitet, auf denen Lösungen von Microsoft liefen. Lösungen wie Office, Lync oder SharePoint sind aus Anwendersicht immer noch formidable Tools, gearbeitet wird aber immer häufiger via Tablet oder Smartphone oder mit einem Mac. Microsoft muss also um seine Omnipräsenz kämpfen. „Für den klassischen Client gelingt dies gegenwärtig noch“, urteilt Experton. Von Windows 7 wurden mittlerweile eine halbe Milliarde Stück ausgeliefert, trotz Hardware-Wachstumsdelle ist das PC-Geschäft laut Experton immer noch hochprofitabel. Trotz der Riesengewinne von Apple mit seinem Mac-Geschäft bleibe Microsoft mit 90 Prozent Marktanteil Platzhirsch und sei im Business-Segment immer noch Standard. Die XBOX wiederum habe das Potenzial, sich künftig als eine Art Medien-Center im Wohnzimmer zu etablieren.
Microsoft-Editionen kritisch prüfen
Das Microsoft-Problem sind indes die kleinformatigen mobilen Endgeräte. Im Tablet-Bereich habe Microsoft mindestens bis zur nächsten Windows-Generation nichts zu bieten, lautet das drastische Verdikt von Experton. Es sei höchste Zeit für klare Ankündigungen in diesem Segment. „Auch bei den Smartphones mit Windows Phone sieht es noch immer mehr als mau aus“, so Oppermann. Zwar seien das User Interface sehr aufgeräumt, das Bedienkonzept spannend und die Funktionalitäten in Ordnung. „Allerdings verläuft die Marktentwicklung sehr blutarm“, moniert der Analyst. Der Kampf gegen die starke Konkurrenz von Apple, Android und RIM/Blackberry sei mühsam, mehr als ein abgeschlagener dritter Platz auf Sicht nicht drin.
Zu zögerlich habe Microsoft es forciert, mit universell einsetzbaren Web-Apps absatzmäßig zu punkten und in den Stores der Konkurrenz vertreten zu sein. OneNote und Lync für iPhone und iPad, Bing und Hotmail Clients für iOS und Android sowie ein SkyDrive Client für das iPhone blieben Ausnahmen. „Doch die Zurückhaltung hat sich gelegt“, beobachtet Oppermann. Der Lync Client werde mittlerweile für alle relevanten Mobilplattformen angeboten, Apps gebe es inzwischen für iOS, Android, Blackberry und sogar Symbian. „Unternehmen, die auf die Technik von Microsoft im Bereich Unified Communications und Unified Communications & Collaboration setzen, haben hierdurch die Möglichkeit, für alle Anwender die richtige Applikation bereitzustellen und weiteren Mehrwert zu ziehen“, so Oppermann.
Experton empfiehlt Unternehmen, die bereits auf Lösungen wie Lync setzen, die Apps zeitnah für unterschiedliche Plattformen zu testen und einen flächendeckenden Einsatz zu prüfen. Vorsicht ist bei der Lizenzierung zu geboten: Möglicherweise sei es ratsam, von einer Berechnung nach Geräten auf eine Berechnung nach Anwendern umzustellen. Mac-Anwender können laut Experton weiter auf Office-Systeme setzen; im UC/UCC-Bereich bieten sich durch die Microsoft-Apps neue Optionen. Insgesamt ermögliche es der Strategiewechsel von Microsoft den Anwendern, dem Software-Riesen weiterhin die Treue zu halten.
Fazit
IT-Verantwortliche müssen laut Experton die aktuelle sowie zukünftige Rolle von Microsoft als Lieferant für Software und Services kritisch prüfen. „Einzubeziehen sind hier unterschiedliche Fachbereiche wie Controlling, Personalwesen oder gegebenenfalls die Rechtsabteilung“, rät Oppermann. Besonderes Augenmerk sei auf Verträge, sich häufig ändernde Lagebestimmungen und die unterschiedlichen Editionen zu legen.