Die Fabrik wirkt aufgeräumt. In der riesigen Halle im saarländischen Mettlach/Merzig sammeln sich Halbfabrikate aus anderen Werken, um in weiteren Abläufen veredelt, sprich glasiert und dekoriert zu werden. Drei unterschiedliche Fertigungszonen sieht man im Bereich der Glasieranlagen: eine vollautomatische, eine halbautomatische und nach wie vor die manuelle. Führerlose Transporter gleiten durch die Gänge und bestücken die Fertigungsstraßen mit Geschirrteilen. Vereinzelt stehen Terminals am Ende eines Fließbands, an denen Mitarbeiter den Stand der Produktion eintragen.
Ein Teil dieser Informationen wandert unmittelbar ins SAP-System. Auftrags- und Produktionszahlen lassen sich so direkt abgleichen. Die Transparenz zahlt sich aus: „Wenn wir heute die Bestätigung für einen Auftrag geben, dann trifft dieser in über 90 Prozent der Fälle zum versprochenen Termin beim Kunden ein“, erzählt Timothy Dodd, Betriebsleiter der Tischkulturwerke Merzig und Mettlach, beim Rundgang durch die Fabrik. Vergleichszahlen zu früher gibt es nicht – solche Werte zu messen war schlicht unmöglich.
IT-Leiter Thomas Ochs und seine Mannschaft betraten Neuland, als sie begannen, ein IT-gestütztes Supply-Chain-Management als Teil der Fertigung zu planen. Im Vergleich zu anderen Industrien ist Automatisierung in der Keramikbranche ein Novum. Viele Arbeitsschritte erledigen die Mitarbeiter noch von Hand, Papier und Bleistift sind gängige Arbeitsmittel.
Dennoch: „Wenn wir effizient fertigen wollen, müssen wir die Produktion weiterentwickeln“, stellt Ochs klar. „Mit Papier und Bleistift lässt sich das heute nicht mehr bewältigen.“ Der Druck aus Osteuropa und Fernost zwang das Traditionsunternehmen, die personalintensive Geschirrfertigung komplett umzukrempeln. Nur dank eines hohen Automatisierungsgrades lassen sich die zentraleuropäischen Standorte halten.
Flexibel liefern und Lager leeren
Bedarfsgerecht produzieren, aber auch flexibel liefern und die Lager leer halten, lautet die Vorgabe. Das Fertigen des Porzellans, das immer über mehrere Werke hinweggeht, muss verkettet werden. Die Entscheidung fiel für SAP SCM. Kern der Anwendung sind die Module APO (Advanced Planning & Organization) und PP (Produktionsplanung); hinzu kommt ein Produktions-Management-System (PMS). „Ausschlaggebend für die Walldorfer Lösung war die Integrationsstrategie ins SAP-Backend“, erklärt Ochs, der sich außerdem die Lösungen von I2 sowie Wassermann angeschaut hatte.
Unterstützt von SAP-Beratern beginnt die IT-Mannschaft mit der Planung und Einführung des neuen Systems. Parallel dazu laufen die Umstrukturierungen innerhalb der Fertigung. Um die New-Wave-Serie maschinell und in Masse produzieren zu können, entwickelten die Spezialisten von Villeroy & Boch ein neuartiges Verfahren (siehe nebenstehenden Kasten).
Doch was die IT damals begann, führte nicht zum erhofften Ziel. „Die entworfenen Simulationen entsprachen einfach nicht der Realität“, lautete eine der ersten Lehren, die Ochs ziehen musste. Beinahe wäre es still geworden in den großen Hallen. Noch rechtzeitig zog Ochs die Reißleine und stoppte das Projekt.
Ein zweiter Anlauf startete. Die Verantwortlichen verabschiedeten sich von ihrer ursprünglichen Idee, die neue Fertigung gleichzeitig mit den neuen Planungs- systemen einzuführen. Lieber ließ man die Maschinen suboptimal weiterlaufen, wartete, bis die Umstrukturierungen in den Werken fertig waren, und näherte sich so in kleinen Schritten dem Ziel, erklärt Robert Collmann, der unter anderem als Key Account Manager für alle IT-Anwendungen im Bereich Tischkultur fungiert. Collman hat jetzt die Regie für das Projekt übernommen.
Wichtigste Änderung des Projektablaufs ist die Umstellung vom Rundumschlag auf ein mehrstufiges Konzept. Expertise von außen nimmt Collmann nur noch bei gezielten Problemstellungen in Anspruch. „Wir mussten weg vom rein theoretischen Berateransatz hin zu einer hausgemachten Strategie“, sagt er. Zudem spricht er er sich bei der Strategieplanung mit den Fachabteilungen ab. Das bedeutet, die Einführung von APO zunächst ruhen zu lassen und alle Werke erst mal auf SAP PP umzustellen. Das Team passt das bislang eingesetzte Planungsystem an und nutzt es weiter.
„Vier Wochen müssen die Anwendungen problemlos laufen“
Mit dem Umbau der Produktionstechnik lassen sich die Fertigungsabschnitte schon einzeln steuern. Erst jetzt erfolgt eine teilweise Anbindung dieser Steuerung an das PMS. Damit fehlen zwar einzelne Funktionen wie ein Kapazitätenabgleich mit SAP, doch die Betriebsorgansiation bekam Luft, dem Projekt zu folgen. „Vier Wochen müssen die Anwendungen problemlos laufen“, lautet die Bedingung für das weitere Vorgehen. Im Big-Bang-Verfahren stellt die IT schließlich den gesamten Betrieb auf eine integrierte Fertigungssteuerung um.
Seit gut einem Jahr laufen die Systeme nun rund. Die Erinnerung an die „Blut-, Schweiß- und Tränen-Phase“ verblasst. Hier und da gibt es noch kleine Probleme, doch die Ergebnisse können sich sehen lassen. Die Werke lassen sich zentral steuern, die Produktion kann effektiv geplant, der Bedarf flexibel angepasst werden. Gleichzeitig haben sich die Lagerkapazität verringert und der Ausstoß der Fabriken erhöht.
Die IT hat ihre Lektion gelernt
Sicher, Zeit ging verloren, aber die IT hat viel gelernt:
- Zu viel Konzentration auf die Technik. „Die Software gaukelt einem vor, sie könne auch mit Ausnahmen umgehen“, sagt Ochs. Doch SCM steuert lediglich vorgedachte Routineprozesse. Unvorhergesehenes überfordert die Technik, dann entscheiden immer noch Menschen.
- Fertigungsprozesse und -planung lassen sich nicht zur gleichen Zeit optimieren. Lieber geht man einen Schritt nach dem anderen.
- Die IT muss die Mitarbeiter, die mit dem System arbeiten, früh genug ins Boot holen. „Erst beim zweiten Anlauf wurde das Change-Management für die Mitarbeiter ernsthaft angegangen“, berichtet Ochs.
Wie wichtig die Mitarbeiter sind, bekommt Timothy Dodd in der Fabrik zu spüren. Die Automatisierung verändert nicht nur die Arbeitsweise. Es geht auch darum, dass Maschinen die Menschen verdrängen. In den besten Zeiten arbeiteten in der Halle mehr als 500 Menschen, heute sind es noch gut 300. Doch es gab auch positive Überraschungen, erzählt Dodd und zeigt auf einen Mitarbeiter, der gerade einträgt, wie viel Erste- und Zweite-Wahl-Geschirr hergestellt wurde: „Er hat nie etwas mit Computern zu tun gehabt. Und heute gibt er die Daten direkt in SAP ein.“