Negatives Denken

Wann Pessimismus im Beruf nützt

16.10.2023 von Christoph Lixenfeld
Die Selbsthilfe-Industrie redet uns ständig ein, wir bräuchten nur positiv zu denken, schon werde alles besser. Wissenschaftliche Studien sagen etwas völlig anderes.
Der Glaube an das Gute hat nicht nur positive Effekte.
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Es ist das wichtigste Credo in mindestens der Hälfte jener Ratgeber- und Selbstoptimierungs-Bücher, die Jahr für Jahr sattelschlepperweise in die Buchläden gekippt werden: Positive Thinking! Denke wie ein Millionär und du wirst eines Tages reich! Glaube nur fest daran, dass du demnächst Abteilungsleiter wirst, dann wird es auch geschehen! Und schließlich steht ja schon in der Bibel, dass der Glaube Berge versetzen kann.

Sicher: Optimismus sorgt für gute Laune, und wer ein Unternehmen gründet, sollte schon vom Erfolg des Ladens überzeugt sein - sonst kann es nicht klappen. Dass aber Positive Thinking in jedem Fall und in jeder Situation das richtige Mittel ist, dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil: Gleich mehrere Studien aus jüngster Zeit legen eher das Gegenteil nahe.

Schlechtere Noten nach positiven Gedanken

Im Rahmen einer Untersuchung der Universität von Kalifornien in Los Angeles zum Beispiel wurden Studenten dazu aufgefordert, jeden Tag einige Minuten lang davon zu träumen, ihre nächste Prüfung mit einer hervorragenden Note zu bestehen.

Obwohl sie sich täglich nur für kurze Zeit mit dieser Form des positiven Denkens beschäftigt hatten, führte dies dazu, dass sie weniger lernten vor der Prüfung und auch eine relativ schlechte Note bekamen.

Zu viel Optimismus schadet

Bei einem anderen Experiment an der New-York-Universität mussten Studenten aufschreiben, wie oft sie davon träumten, nach dem Examen ihren Traumjob zu bekommen. Ergebnis: Diejenigen, die sich ständig den idealen Posten vorstellten, erhielten weniger Jobangebote als andere und verdienten am Ende auch weniger.

Auf den ersten Blick sind diese Ergebnisse ähnlich schwer zu erklären wie die behaupteten Segnungen des positiven Denkens. Aber vielleicht nur auf den ersten Blick: Der renommierte britische Psychologe Richard Wiseman glaubt, dass vermutlich diejenigen, die ständig von einem wundervollen Leben fantasieren, eher schlecht auf Rückschläge und Krisen vorbereitet sind beziehungsweise sich nicht so gut auf Teilziele konzentrieren können. Und diese dann auch nicht erreichen.

Gerade alte Menschen sollten es mit dem Optimismus nicht übertreiben, wenn sie noch ein paar Jahre leben wollen.
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Und es kommt noch schlimmer für die Gesundbeter: Eine Studie der Universität Erlangen-Nürnberg gemeinsam mit dem DIW Berlin, der Humboldt-Universität und der Universität Zürich fand ganz aktuell sogar heraus, das Pessimismus das Leben verlängert.

Demnach leben ältere Menschen, die ihre zukünftige Zufriedenheit gering einschätzen, länger und gesünder als ältere Menschen, die die eigene Zukunft rosig sehen.

Im Rahmen der Untersuchung waren Menschen über 65 (und auch jüngere) zehn Jahre lang jedes Jahr dazu befragt worden, wie zufrieden sie sich aktuell fühlen und wie zufrieden sie in fünf Jahren zu sein glauben. Im Ergebnis unterschätzten 43 Prozent ihre zukünftige Zufriedenheit, 32 Prozent überschätzten sie.

Gesunde sind pessimistischer

Das Überraschende: Teilnehmer, die ihre zukünftige Zufriedenheit überdurchschnittlich hoch einschätzten, erhöhten damit statistisch ihr Risiko, krank zu werden oder zu sterben um etwa zehn Prozent.

"Vermutlich ermuntern pessimistische Zukunftserwartungen ältere Menschen dazu, besser auf die eigene Gesundheit zu achten und sich vor Gefahren zu schützen," so Frieder R. Lang, Leiter des Instituts für Psychogerontologie an der Uni Erlangen-Nürnberg.

Wer sich für allzu glücklich und gesund hält, achtet weniger darauf, dass das auch so bleibt, fanden Forscher heraus.
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Junge Menschen malten sich im Rahmen der selben Untersuchung übrigens die eigene Zukunft allzu rosig aus, mittelalte urteilten dagegen ziemlich realistisch. Diese Ergebnisse dürften in etwa dem entsprechen, was die meisten Menschen in ihrem persönlichen Umfeld selbst beobachten.

Unerwartet dagegen eine andere Erkenntnis. Psychogerontologe Lang: "Überrascht hat uns, dass die Befragten umso pessimistischer in die Zukunft sahen, je stabiler ihre Gesundheit und je höher ihr Einkommen war."

Lang sieht darin einen Indikator dafür, dass solche Menschen sich verstärkt Gedanken über die Begrenztheit ihrer Zeit machen. Man könnte auch sagen: Je mehr der Mensch zu verlieren hat, desto ängstlicher wird er.