MIT „BASIS 3000“ wollte Berlins Sozialsenatorin Beate Hübner ab 1999 binnen zwei Jahren sämtliche Berliner Sozialämter vernetzen. Später sollte das Programm dann zum „bundesweit einsetzbaren Standard“ werden. Doch das Projekt, an dem ein Konsortium aus Oracle und der Berliner Firma PSI werkelte, kam nicht in Gang. „Objektiv bei Beauftragung nicht vorhersehbare Komplexität“ und „mangelnde Akzeptanz der potenziellen Nutzer“ hätten das Vorhaben gekippt, hieß es.
Ein Problem lag darin, „dass die Technik noch nicht komplett beherrschbar war“, sagt Ortwin Wohlrab, Geschäftsbereichsleiter Public Management bei PSI. Er gibt aber auch dem Amtsschimmel eins mit: „Die Senatsverwaltung glaubte zu wissen, was die Bezirksämter brauchen“, so Wohlrab; „de facto wusste sie es nicht.“
Diesem ersten Desaster bei den amtlichen Anwendungen folgten unzählige weitere. Das polizeiliche Informationssystem Inpol-neu etwa verschlang in zehn Jahren rund fünfzig Millionen Euro. Für die so genannte integrierte Sachbearbeitung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder wurde derselbe Betrag aufgewendet, ohne dass die Software nach 14 Jahren Entwicklng zu einer „angemessenen informationstechnischen Unterstützung“ in der Lage gewesen wäre, wie der Bundesrechnungshof kritisierte.
Jedes zweite öffentliche IT-Projekt scheitert
Die Marktforscher der Unternehmensberatung Kienbaum schätzen, dass die Hälfte aller IT-Projekte in der öffentlichen Verwaltung scheitert – deutlich mehr als in der Wirtschaft. E-Government-Anwendungen verfehlen aus speziellen Gründen immer wieder ihr Ziel, sagt Wohlrab: „Wenn bei öffentlichen Projekten etwas schief geht, wird das sofort publik gemacht.“ Konsequenzen für die oft beamteten Verantwortlichen seien aber selten. Projektleiter bei Privatfirmen dagegen könnten sich keine öffentlichen Flops leisten, ohne ihren Job zu riskieren.
„Bei Großprojekten in diesem Bereich hat man es stets auch mit politischen Erwägungen und Ansprüchen zu tun“, sagt Holger Bill, Partner bei Accenture und Mitautor einer Studie über E-Government in Deutschland. „Bei Investitionen von fünfzig Millionen Euro und mehr müssen rasch Ergebnisse präsentiert werden.“ Häufig werde einfach gezählt, wie viele Anwendungen im Netz sind, und „an der Zahl entzündet sich dann Kritik“, sagt Uwe Schmalfeld, Geschäftsführer von Curiavant Internet, einem Jointventure der fränkischen Städte Bayreuth, Erlangen, Fürth, Nürnberg und Schwabach.
Bei IT-Projekten mit der Verwaltung könne man nicht einfach „eine CD einlegen und ein Programm installieren“, sagt Ralf Ott, Business Development Manager bei der Nürnberger Firma 100 World. „Da es sich immer um die Einführung von Software in bestehende Systeme handelt, macht der Integrationsaufwand die Sache kompliziert.“ Fast immer müsse man zuerst „so was wie ein Betriebssystem schaffen, das die Software und Fachanwendungen der Behörden Web-fähig macht“. Auch aus diesem Grund hält Ott Anbieter „die behaupten, ihre Anwendungen würden innerhalb von zwei Wochen laufen, für unseriös“.
In Deutschlands Behörden existieren noch die unterschiedlichsten Systeme und teils recht krude Eigenentwicklungen. Diese zu integrieren kostet viel Zeit, die die Politik den Projektverantwortlichen indes nur selten zugesteht. Man müsse viel Überzeugungsarbeit dafür leisten, dass hinter dem öffentlichkeitswirksamen Frontend auch eine leistungsfähige Architektur stehen muss, weiß auch Accenture-Mann Bill.
Projektkoordination oft mangelhaft
Ein weiterer Hemmschuh seien Ressort-Egoismen: Im Unterschied zur Privatwirtschaft fehle Behörden der CIO als Moderator. Wegen mangelhafter Projektkoordination sei es für IT-Projektleiter lebenswichtig, „alle mit ins Boot zu holen“, sagt Ott von 100 World. Das gelte vor allem für die Rechenzentren und Datenzentralen. „Wenn die sich quer stellen, dann geht nichts mehr.“
Mittlerweile beschäftigen Firmen wie 100 World neben Software-Entwicklern und Projekt-Managern auch Politologen und Verwaltungswissenschaftler. Die könnten besser mit den Behördenmitarbeitern umgehen. Richtungsentscheidungen in der Verwaltung würden allerdings meistens nicht von Abteilungsleitern, sondern von den vorgesetzten Politikern getroffen, sagt Wohlrab. Dann komme es zum „Moving Target“-Phänomen: „Die Politik ändert im Laufe eines Projekts die Ziele.“
Das wird sich zwar nicht vermeiden lassen, aber dennoch könnten die Verwaltungen in Zukunft mehr Projekte zum Erfolg führen: durch die richtige Personalpolitik. Wohlrab: „Was die Länder brauchen, sind fähige CIOs. Stattdessen gibt es eine ganze Reihe von DV-Leitern – aber keiner hat die Gesamtverantwortung.“