Wenn Sie sich von der aktuellen Generative-AI-Nachrichtenflut erschlagen fühlen: Damit sind Sie nicht allein. Davon abgesehen, nimmt der KI-Wahn inzwischen teils auch beängstigende Auswüchse an.
Doch inmitten des scheinbar endlosen Hypes hat es ein Unternehmen vor kurzem fertiggebracht, eine globale Keynote von über zwei Stunden abzuhalten, ohne dabei ein einziges Mal "Generative AI" zu erwähnen - nämlich Apple auf der WWDC 2023. Damit hat der Konzern seinen Konkurrenten auf aller Welt etwas voraus, wenn es um den verantwortungsvollen Einsatz von KI geht.
Reden ist silber …
Wie Mark Raskino, Distinguished VP Analyst bei Gartner, in einem Blogbeitrag feststellt, ist der KI-Hype im Grunde nichts Neues: "Die KI-Diskussion ist in den frühen 1980er Jahren aufgekommen und hat seitdem nicht an Geschwindigkeit eingebüßt. Was sich allerdings geändert hat, ist die Tatsache, dass KI inzwischen sowohl in- als auch außerhalb der Tech-Branche allgegenwärtig geworden ist. Für so manchen ist ChatGPT ein virales Hype-Vehikel, das immer noch an Geschwindigkeit zulegt."
Das bleibt nicht ohne Konsequenzen: Jedes Large Language Model (LLM) braucht Daten. Umfangreiche Datenquellen wie das Internet Archive, Stack Overflow oder Reddit haben in der Folge massive Traffic-Anstiege verzeichnet - was bislang unter anderem zu Ausfällen (Internet Archive) und größeren Konflikten (Reddit) geführt hat. Ein weiterer, problembehafteter Bereich in diesem Zusammenhang sind mögliche Verstöße gegen das Urheberrecht bei den Trainingsdaten, mit denen Anwendungen wie GitHub Copilot gefüttert werden.
James Penny, Chief Investment Officer bei TAM Asset Management, sieht sich angesichts dieser Entwicklungen an vergangene Zeiten erinnert: "Unternehmen, die KI auch nur erwähnen, erleben einen Anstieg ihrer Aktienkurse - das stinkt nach Dotcom-Ära." Auch wenn es komisch klingt: Trotzdem KI-Systeme längst nicht ausgereift sind, haben sie doch wesentlichen Anteil am aktuell wieder boomenden Aktienmarkt. Ein weiteres Dotcom-Déjà-Vu?
… Apple ist Gold?
Apple hingegen beschäftigt sich seit Jahren mit künstlicher Intelligenz, sieht aber davon ab, sich am Generative-AI-Hype zu beteiligen. Trotzdem hat man nicht das Gefühl, dass der iPhone-Konzern in diesem Bereich untätig ist - im Gegenteil: Apples Zurückhaltung weist auf einen verantwortungsvolleren und produktiveren KI-Einsatz hin, als das in den meisten anderen Unternehmen der Fall ist.
Apple hat KI mit Siri und anderen weniger sicht- und hörbaren Methoden in seine Produkte integriert. Darüber hinaus sucht Apple weiterhin verstärkt nach KI-Spezialisten und hat unter anderem eine eigene Karriereseite für diesen Bereich ins Leben gerufen. Dabei legt der Konzern allerdings nicht den Fokus auf die Technologie selbst, sondern darauf, wie seine Kunden KI erleben. Die Technologie nahezu unsichtbar in das Kundenerlebnis zu integrieren, ohne sie zum Mittelpunkt der Experience zu machen ist seit langem der Ansatz von Apple.
Das zeigte sich auch auf der WWDC-Bühne: Statt von Generative AI sprach Apple etwa in Zusammenhang mit Vision Pro von "Magie", an anderer Stelle betonte man Machine Learning Features. Auf die technologischen Details einzugehen, konnte man sich dabei weitestgehend sparen - schließlich stand die Experience im Mittelpunkt. Das ist in Sachen Generative AI eine Lektion für jedes Unternehmen - und zwar in zweifacher Hinsicht:
Generative KI ist zwar aktuell die "It"-Technologie, aber nicht immer der richtige Ansatz für jeden Anwendungsfall. Je nach Use Case können Reinforcement Learning, Regressionsanalyse oder andere Methoden eine bessere Alternative darstellen.
Unabhängig davon, für welchen Ansatz sich ein Unternehmen entscheidet: KI ist ein Mittel, nicht der Zweck. Apple hat bewiesen, dass es möglich ist, KI-infusionierte Visionen zu verkaufen, ohne dabei die Technologie in den Mittelpunkt zu stellen. Letztlich geht es um die Experience, die geschaffen wird - das sollten Unternehmen folgerichtig auch verkaufen, nicht die Technologie selbst.
(fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.