Mitarbeiterbindung gewinnt an Priorität

Warum auch Chefs gut geschult werden müssen

04.10.2023 von Jens  Gieseler
Führungskräfte spielen beim Thema Mitarbeiterbindung eine überdurchschnittliche Rolle. Allerdings wird ihnen für diese Aufgabe nicht genügend Zeit eingeräumt, und Schulung ist auch nicht selbstverständlich.
Die Schulung von Führungskräften ist sehr wichtig, um Mitarbeiter im Unternehmen zu halten.
Foto: fizkes - shutterstock.com

Seit Jahren werden in der IT-Branche zu wenig Fachkräfte ausgebildet, deshalb fehlen je nach Studie zigtausend kompetente Mitarbeiter. Entsprechend "wildern" die Unternehmen bei der Konkurrenz. Eine Personalberaterin spricht vom "großen Abwerben". So rückt das Thema Mitarbeiterbindung stärker in den Vordergrund.

Andreas Günzel sagt, dass das Gesamtpaket für einzelne Mitarbeiter stimmen muss. "Je nach Lebensphase kann das Gehalt eine wichtigere Rolle spielen, wenn etwa bei einem Alleinverdiener ein Hausbau ansteht", so der Director Human Ressources von itdesign. Bei anderen sind es flexible Arbeitszeit oder Teilzeit, aktuell arbeiten lediglich rund drei Viertel der 220 Mitarbeiter nahe an den 40 Regelstunden.

Führungskräfte können viel kaputt machen

Bei den Jüngeren spielen Sinn der Tätigkeit und deren Relevanz für die Gesellschaft eine zunehmende Rolle. Aber immer sind die Stimmung im Team und im Unternehmen entscheidend für die Mitarbeiterbindung. "Führungskräfte können viel Begeisterung wecken, aber auch kaputt machen", so Günzel, dessen Unternehmen mehrfach mit Arbeitgeberpreisen ausgezeichnet wurde.

Andreas Günzel, itdesign: "Führungskräfte können viel Begeisterung wecken, aber auch viel kaputt machen."
Foto: itdesign

Deswegen hat der IT-Dienstleister ein Programm für die Vorgesetzten entwickelt: Führung@itdesign. Viermal im Jahr werden sie von externen Trainern in klassischen Themen geschult. Etwa Kommunikation und Feedback, denn das Fördern und Fordern der Mitarbeiter bleibt ein zentraler Aspekt von Führung.

Gezielte Schulung für Chefs

Auch Mitarbeiterauswahl gehört ins Programm, weil die Führungskräfte mitentscheiden, wer in ihr Team kommt und deshalb einen Blick entwickeln sollten, ob jemand in die Arbeitsgruppe passt und ob er dort Aufgaben und Rollen ausfüllen kann, die bisher nicht oder weniger gut besetzt sind.

Aufgrund der Entwicklung der vergangenen drei Jahre ist hybride Führung ein zentraler Schulungsinhalt geworden. Als IT-Unternehmen hatten die Tübinger schon immer Mitarbeiter, die nicht am Standort gelebt haben, aber durch Corona, hat sich die Zahl der hybriden Teams und der Mitarbeiter im Home-Office deutlich erhöht. "Im unmittelbaren Kontakt im Büro oder am Kaffeeautomaten sehen und fühlen Führungskräfte eher, wie es ihren Kollegen geht und können sich kümmern", sagt Günzel, doch am Bildschirm ohne Gestik und körperlicher Bewegung sei das viel schwieriger rauszufinden.

Besondere Herausforderung: Teamspirit nach Corona fördern

Auch den Teamspirit und die Identifikation mit dem Unternehmen zu erhalten sei schwieriger, wenn Mitarbeiter von zu Hause arbeiten. Führungskräfte müssen aufmerksamer sein, gezielter nachfragen und auch Räume schaffen, in denen sich das Team ohne konkreten Arbeitsauftrag trifft.

"Führungskräfte sind die nächsten Vertreter des Unternehmens", so der HR-Director. Ihre Aufgabe ist es, individuell auf die unterschiedlichen Mitarbeitertypen einzugehen, sie auch stärkenorientiert im Team einzusetzen und ihnen die Wertschätzung und Feedback zu geben - positiv wie negativ. Das ist gerade bei flachen Hierarchien und sehr kollegialem und verbundenem Umgang nicht ganz einfach.

Externe Coaches helfen weiter

Deshalb können die Führungskräfte auch immer die Unterstützung von externen Coaches nutzen, um das eigene Verhalten zu reflektieren und sich Rückendeckung zu holen. Gerade für junge Führungskräfte ist der Rollenwechsel eine Herausforderung, denn natürlich stehen sie mehr im Focus und die neue Rolle benötigt andere Kompetenzen.

Deshalb schauen Geschäftsführung und HR sehr genau, wer eher fachliche Kompetenzen und wer eher soziale Kompetenzen besitzt, um letztere dann gezielt an ihre künftige Aufgabe heranzuführen. Zum sogenannten Führungskräfte-Onboarding gehört beispielsweise die schrittweise Teilnahme an Führung@itdesign. Zu dem Programm gehört als dritter Teil neben Schulung und Coaching ein vierteljährlicher Austausch zwischen den Führungskräften, so profitieren die Vorgesetzten gegenseitig von ihren Erfahrungen durch spezielle Herausforderungen.

Gutes Klima bindet Mitarbeiter

Mit dem starken Focus auf Führungskräfte und ihre kommunikativen Aufgaben liegt das Unternehmen voll im Trend wie der HR-Report 2023 des Mannheimer Personaldienstleisters Hays zeigt. Unter den rund 1000 Befragten gilt ein gutes Betriebsklima (84 Prozent) als wichtigstes Instrument der Mitarbeiterbindung, danach folgen marktgerechte Entlohnung (70 Prozent) und flexible Arbeitszeiten (58 Prozent).

Dirk Hahn, Hays: "Führungskräften muss genügend Zeit eingeräumt werden, damit sie ihre Führungsaufgaben wahrnehmen können."
Foto: Hays

Während bei den ersten beiden Aspekten Nachholbedarf besteht, sehen sich die Unternehmen aus der DACH-Region bei der Flexibilität auf der Höhe der Zeit. Hays-Chef Dirk Hahn kommentiert: "Es hat uns nicht überrascht, dass eine markt- und leistungsgerechte Entlohnung wie auch das so schwer greifbare Betriebsklima als die beiden wichtigsten Instrumente angesehen werden, um Mitarbeitende zu binden."

Immer wieder das Thema Work-Life-Balance

Das sei bereits vor elf Jahren so gewesen, als der HR-Report das Thema schon einmal aufgegriffen habe, so der Hays-Vorstandsvorsitzende. Weit oben stehe nun zudem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die 2012 noch unter "ferner liefen" lag. "Das zeigt das große Bedürfnis der jüngeren Generationen nach einer Work-Life-Balance", so Hahn, außerdem auch ein Beleg dafür, wie sehr sich die Arbeitswelt in den letzten Jahren verändert habe.

Die emotionale Bindung an das Unternehmen spielt eine wichtige Rolle, ob Mitarbeiter bleiben. Da sind Unternehmenskultur und vor allem das Verhalten der Führungskräfte gefragt, die in ihren Teams für den gegenseitigen Umgang entscheidend sind. Vor allem Wertschätzung (73 Prozent) wünschen sich die Mitarbeiter sowie fairen Umgang (61 Prozent) und ausreichend Zeit (54 Prozent).

Führung geht nicht so nebenbei

"Das setzt voraus, dass Führungskräften Zeit für ihre Führungsaufgaben eingeräumt wird", so Hahn. Ein Knackpunkt in der Praxis, zu viel operative Arbeit liegt noch auf den Schultern von Vorgesetzten, die sich noch zu oft durch fachliche Kompetenz auszeichnen. Dazu der Hays-Chef: "Führung lässt sich nicht nebenbei erledigen, sondern ist Kern der Arbeit von Führungskräften. Für Führungsrollen entscheidend sind hohe emotionale und kommunikative Kompetenzen, nicht fachliche Fähigkeiten."

Andreas Günzel schätzt, dass er etwa ein Drittel seiner Arbeitszeit für Führungsaufgaben seines siebenköpfigen Teams einsetzt - Tendenz steigend. Das bestätigt auch Verena Remppis HR-und Administration-Direktorin von Yamaichi Electronics Deutschland. Sie bekommt von den Führungskräften die Rückmeldung, dass deren Aufwand für Abstimmung und Austausch im Team steigt, besonders in den letzten Jahren.

Arbeitgeber muss für das Thema Führung werben

Vor allem jüngere Mitarbeiter benötigen viel Bestätigung und Lob, sagt sie, und führt dies unter anderem auf die verschulten Studiengänge zurück, die kaum Eigenverantwortung fördern. Das Münchener Unternehmen hat eigens eine Plattform entwickelt, auf der sich die Führungskräfte untereinander austauschen können. Dazu kommt das Angebot von externer Supervision und Coaching, um mit den wachsenden Anforderungen umzugehen.

Verena Remppis ,Yamaichi Electronics: "Vor allem jüngere Mitarbeiter benötigen viel Lob und Bestätigung."
Foto: Yamaichi Electronics

Die Personalerin beobachtet allerdings, dass einige potenzielle Führungskräfte diesen Karriereweg nicht mehr einschlagen wollen, sondern sich lieber fachlich weiterentwickeln. Entsprechend intensiver wird der Führungsnachwuchs betreut und entwickelt. "Seminare, in denen Standardtools erlernt werden, sind wenig sinnvoll", so Verena Remppis, dagegen sei ein intensiv begleitetes learning by doing erfolgsversprechender. Dabei werden die kommunikativen und emotionalen Fähigkeiten sowie konkrete Herausforderungen in der Führung gezielt und individuell mit externen Coaches weiterentwickelt.

Lesen Sie auch

Führung: Was einen zum guten Chef macht

Mitarbeiterbindung: Warum sich nachhaltige Benefits lohnen

7 Thesen zur Zukunft der Arbeit