Brauchen wir überhaupt Manager?" Diese Frage trieb Google von Anfang an um. Viele Entwickler und kreative Tüftler lehnten Vorgesetzte, die sie kontrollierten und "von der Arbeit abhielten", rundheraus ab. Selbst die Gründer Larry Page und Sergey Brin dachten eine Zeit lang, sie kämen mit wenigen Führungskräften aus, und experimentierten 2002 mit ungewöhnlich flachen Hierarchien. Ihre Motive klangen einleuchtend. Sie wollten die kreative Arbeitsatmosphäre, die sie aus ihren Universitätstagen kannten, ins Unternehmen übertragen. Doch eine rasant wachsende Firma funktioniert nicht wie ein Forschungslabor. Page und Brin mussten schnell erkennen, dass Mitarbeiter keineswegs nur mit brillanten Ideen zu ihnen kamen, sondern auch mit lästigem Verwaltungskram. Auch in persönlichen Konflikten mit Kollegen suchten sie den Rat der Gründer.
Führungskräfte sind also doch für etwas zu gebrauchen - das wurde Page und Brin dann recht schnell klar. Sie übernehmen wichtige organisatorische Aufgaben, vereinbaren Ziele mit ihrem Team und steuern deren Umsetzung. Doch manche Manager arbeiten trotzdem besser als andere; auch bei Google gab es Stars und Nieten. Das zeigten die hausinternen Beurteilungen. Die Frage lautete also: Was zeichnet einen guten Chef aus, und worin unterscheidet er sich von einem schlechten? Mindestens genauso wichtig war eine andere Frage, die Google umtrieb: Wie lassen sich hochqualifizierte Informatiker und Ingenieure davon überzeugen, dass es ohne ein Management nicht geht?
Auf diese Fragen suchte der kalifornische Suchmaschinengigant Antworten. Das "Projekt Oxygen" sollte Lösungen liefern. Hinter dem kryptischen Titel verbarg sich ein groß angelegtes hausinternes Forschungsprojekt. Wie es dem Konzern dann schließlich gelang, seine Techies und Nerds von den Vorteilen guter Führungskräfte zu überzeugen, beschreibt David Garvin, Professor an der Harvard Business School, in einem Artikel für das Magazin "Harvard Business Review" ausführlich.
Daten - Googles Lebenselixier
Googles Geschäftsmodell und Lebenselixier sind die Daten seiner Nutzer. Damit verdient der Konzern viel Geld. Auch über die eigene Belegschaft sammelt Google in zahlreichen Befragungen regelmäßig viele Megabytes. Der 2006 neu ins Unternehmen gekommene Personalchef Laszlo Bock setzte für die Suche nach dem perfekten Manager ebenfalls auf Daten, beispielsweise die regelmäßige Befragung der Mitarbeiter, den "Google-Geist" oder 360-Grad-Feedbackrunden. Leistungsbeurteilungen sowie Zielvereinbarungen zählten bald zum Standard-Repertoire der Personalabteilung. Diese gesammelten Daten sollten Experten systematisch auswerten.
Zunächst sichtete das Team Gesprächsprotokolle von Mitarbeitern, die das Unternehmen verlassen hatten. Allerdings fanden sie keinen klaren Zusammenhang zwischen einer schlecht bewerteten Führungskraft und der Kündigung des Angestellten. Als Nächstes analysierten die Experten die Befragungen der Personaler. Außerdem ergänzten extra für das Projekt Oxygen geführte Interviews die Datenbasis.
Mit dieser aufwendigen und umfangreichen statistischen Maschinerie erreichte das Team zwei Ziele, nämlich Glaubwürdigkeit gegenüber den Googlern und stichhaltige Ergebnisse. Selbst eingefleischte Skeptiker bei Google konnten die Methode nicht anzweifeln, denn die Daten stammten aus dem eigenen Haus, und analysiert wurden sie von ausgewiesenen Experten.
Gute Chefs machen den Unterschied
Beruhigend für das Analyseteam und die Führungsriege von Google war, dass die Auswerter ihre eigene Hypothese widerlegen konnten: Gute Manager machen tatsächlich einen Unterschied und sind keineswegs überflüssig. Zwar erklärt David Garvin nicht den gewählten Projekttitel "Oxygen", doch das Ergebnis suggeriert, dass gute Führungskräfte eine ähnlich wichtige Funktion für Unternehmen erfüllen wie Sauerstoff für einen Organismus.
Sensationelles förderten die Ergebnisse nicht zutage, denn die acht Eigenschaften eines guten Managers klingen fast wie Binsenweisheiten aus einem mittelmäßigen Ratgeber für Personal-Manager. Gleichzeitig zeigen sie Allzumenschliches: Auch technikverliebte Informatiker wünschen sich Chefs, die ihnen zuhören, mit ihnen reden, ihre Karriere fördern, ihnen Unangenehmes abnehmen und sie in Ruhe arbeiten lassen.
Beruhigend für technisch weniger geschulte Führungskräfte dürfte auch sein, dass es besonders auf die sogenannten Soft Skills wie Kommunikationsstärke ankommt und weniger auf überdurchschnittliches technisches Wissen. Dieses Kriterium landete ziemlich abgeschlagen auf dem letzten Platz.
Das HR-Team präsentierte die Ergebnisse den Google-Mitarbeitern und entwickelte daraus Programme, Coachings und Leitfäden für seine Manager. Schließlich sollten auch weniger gut beurteilte Chefs die Chance erhalten, sich weiterzuentwickeln. Einige stark technisch orientierte Führungskräfte erlebten ein Aha-Erlebnis, denn dass Kommunikation eine so wichtige Rolle spielt, überraschte sie.
Im Jahr 2012 waren die Personalentwicklungs- und Management-Programme im Unternehmen verankert. Mit hohem Aufwand und vermutlich viel Geld gelang es Google, seine Mitarbeiter davon zu überzeugen, dass es gute Manager braucht, um noch erfolgreicher zu sein, und dass sich Manager entsprechendes Wissen aneignen können.
Was ein Google-Chef kann
Die Statistiker destillierten aus einer großen Datenflut acht Verhaltensweisen heraus, die einen guten Google-Manager auszeichnen.
Ein guter Manager ist ...
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... wie ein guter Coach;
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... bestärkt und unterstützt sein Team, ohne es auf Schritt und Tritt zu kontrollieren;
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... interessiert sich für und kümmert sich um den Erfolg seiner Teammitglieder und deren Wohlergehen;
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... arbeitet fleißig und ergebnisorientiert;
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... tauscht sich regelmäßig mit seinen Mitarbeitern aus, informiert sie und gibt Wissen und Informationen weiter;
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... unterstützt die Mitarbeiter in ihrer Karriereplanung;
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... hat klare Ziele und eine Strategie für sein Team und
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... herausragendes technisches Wissen, das ihm hilft, das Team zu unterstützen und zu beraten.
Mitarbeiter-Feedback à la Google
Frank Kohl-Boas verantwortet seit September 2010 die Personalarbeit von Google in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Nordeuropa und den Beneluxländern. Das "Projekt Oxygen" war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen, doch die Umsetzung veränderte auch den Arbeitsalltag des Personalchefs.
Wie interpretieren Sie die Ergebnisse des "Projekts Oxygen"?
KOHL-BOAS: Die Untersuchung hat keine überraschenden Ergebnisse zutage gefördert, sie hat uns aber mit belastbaren Daten und Fakten versorgt, die allen darauf aufbauenden Maßnahmen große Glaubwürdigkeit gegeben haben. Die Kriterien guter Führungskräfte bei Google sind intern anerkannt, auch die Bewertung der Vorgesetzten durch die Mitarbeiter orientiert sich an diesen Ergebnissen.
Google sammelt viele Daten über seine Mitarbeiter. Wie häufig und zu welchen Themen finden Mitarbeiterbeurteilungen und Feedback-Runden statt?
KOHL-BOAS: Zunächst haben wir die jährliche Mitarbeiterumfrage "Google-Geist", die sich mit allen Aspekten des Arbeitens bei Google befasst. Wir haben dabei eine hohe Beteiligungsquote, weil wir einerseits eine Feedback-Kultur fordern und fördern und andererseits zeigen, dass wir die Ergebnisse akribisch auswerten und auf sie reagieren. Zusätzlich gibt es einen jährlichen "Upward Feedback Survey", bei dem Mitarbeiter ihrem direkten Vorgesetzten Feedback geben. Daneben arbeiten wir in unserem "Mitarbeiter-Performance-System" mit Feedback-Möglichkeiten und einer institutionalisierten Runde, bei der Mitarbeiter aufgefordert werden, sich auch von anderen Kolleginnen und Kollegen Feedback einzuholen.
Das klingt nach Kontrolle. Informatiker wünschen sich aber Freiräume. Wie kommen Sie diesem Wunsch entgegen?
KOHL-BOAS: Mitarbeitern zu vertrauen ist unsere Unternehmensphilosophie, weswegen es uns leicht fällt, Freiräume zu geben. Mit Freiheit geht Verantwortung einher, dass heißt, Mitarbeiter sorgen selbst dafür, dass und wie sie ihre Ziele erreichen. Dabei müssen Chefs ihren Führungsstil der Situation entsprechend anpassen. Auch wenn viele gerne delegieren, muss eine Führungskraft hin und wieder das Warum ihres Handelns erklären, um Akzeptanz zu gewinnen.
Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München