Nach dem jahrelangen Siegeszug der Cloud-Migration werden CIOs zunehmend umsichtiger, was das Mantra "Cloud-first" angeht. Viele erkennen die Notwendigkeit, Arbeitslasten von der Public Cloud dorthin zu verlagern, wo sie sie produktiver, effizienter und kostengünstiger laufen.
Dieser so genannte "Cloud-Exit" entwickelte sich 2023 zu einem Thema und die Chancen stehen gut, dass er sich 2024 zu einem echten Trend mausert. "Die potenziellen Einsparungen sind für viele Unternehmen einfach zu groß, um sie zu ignorieren", sagt etwa David Heinemeier Hansson, der dänische Entwickler von Ruby on Rails und Mitgesellschafter sowie CTO von 37signals.
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Das Unternehmen hat im vergangenen Juni einen Totalausstieg aus der Cloud über sechs Monate vollzogen. "Genügend Leute erkennen, dass das Cloud-Marketing-Gedöns nicht unbedingt mit ihrer Realität übereinstimmt," so der Manager.
Workloads sorgen für Cloud-Mischung
Die Realität der gesammelten Cloud-Erfahrungen veranlasst inzwischen viele CIOs dazu, ihren plattformzentrierten Ansatz zugunsten einer Workload-spezifischen Perspektive zu überdenken. Die daraus resultierende Infrastruktur der Wahl - eine Kombination aus lokalen und hybriden Cloud-Plattformen - soll Kostenüberschreitungen reduzieren, das Cloud-Chaos ordnen und eine angemessene Finanzierung für Projekte der generativen KI sicherstellen.
Diese Entwicklung unterstreicht auch David Linthicum, ehemaliger Chief Cloud Strategy Officer bei Deloitte. Seiner Einschätzung nach würden viele CIOs, die das Rennen in die Cloud mitgelaufen sind, jetzt ihre "Missgriffe" korrigieren, indem sie die idealen Plattformen für verschiedene Anwendungen suchen.
Dies umfasst private Clouds, Branchen-Clouds, eigene Rechenzentren, Managed-Service-Provider, die Edge sowie Multi-Cloud-Architekturen. "Der häufigste Grund für die Rückführung sind die Kosten", schreibt Linthicum in der InfoWorld. Er vermutet, dass "die meisten Unternehmens-Workloads nicht gerade modern" sind und sich daher nicht für die Cloud eignen.
Magisches Dreieck: Leistung, Kosten, Sicherheit
Nach Angaben von Srinivasan CR, Manager für Cloud und Cybersecurity Services sowie Chief Digital Officer bei Tata Communications, gestalten viele Unternehmen ihre Cloud-Nutzung und -Strategien "nuancierter". Ziel sei es, ein Gleichgewicht zwischen Leistung, Kosten und Sicherheit herzustellen.
"Da Unternehmen KI immer stärker nutzen wollen, werden sie ihre Workloads überdenken und sie auf der richtigen Infrastruktur platzieren. Das können die Public Cloud oder die Edge, ihre eigene Private Cloud und selbst ihre eigenen Server sein", sagt Srinivasan. Solche Entscheidungen würden größtenteils von der Notwendigkeit getrieben, die Leistung und den geschäftlichen Nutzen zu maximieren, ohne dabei die Kosten aus den Augen zu verlieren.
John Musser, Senior Director of Engineering für Ford Pro bei Ford Motor Co. stimmt dem zu: "Es handelt sich eine Form von Rightsizing, bei dem wir versuchen, ein Gleichgewicht zwischen Kosteneffizienz, Leistungsfähigkeit, Regulierung und Datenschutz zu finden." Mussers Team stellte fest, dass es kosteneffizienter ist, einige Arbeitslasten auf einem HPC-Cluster (High Performance Computing) im Rechenzentrum des Unternehmens auszuführen als in der Cloud. Er ergänzt: "Auch wenn wir es häufig in der Cloud betreiben, heißt das nicht, dass wir es automatisch immer dort machen sollten."
Von der Public Cloud zum differenzierten Ansatz
Diese Denkweise setzt sich immer mehr durch, da CIOs versuchen, die Lehren aus ihrem ersten Vorstoß in die Cloud zu ziehen. "Jedes Unternehmen einer gewissen Größe, das mit unterschiedlichen Technologien arbeitet, erweist sich einen Bärendienst, wenn die reine Public-Cloud-Strategie sein Endziel ist", sagt Brian Shields, SVP und CTO der Boston Red Sox und Fenway Sports Management. Wie viele komplexe Unternehmen nutze sein Unternehmen ein sich entwickelndes Hybridmodell, das Rechen- und Speicherkapazitäten in der Public Cloud, vor Ort, bei Co-Location-Partnern sowie bei Industry-Cloud-Partnern unterhält.
Diese Differenzierung der Cloud-Strategie wird auch von hohen KI-Kosten getragen, die sich am Horizont abzeichnen. Für CIOs, die etwa in der Fertigung oder bei industriellen Steuerungen in Echtzeit auf Daten zugreifen müssen, ist die Edge oft eine bessere Lösung als die Public Cloud.
"Edge erleichtert die Verarbeitung von Echtzeitberechnungen für Computer Vision und von Algorithmen für die Entscheidungsfindung", argumentiert etwa Gavin Laybourne, CIO bei Maersk, und fügt hinzu: "Ich schicke Daten zurück in die Cloud, bei denen ich mir eine Verzögerung von fünf bis zehn Millisekunden bei der Verarbeitung leisten kann."
Nicht alles auf einen Karte setzen
Mojgan Lefebvre, Chief Technology and Operations Officer bei Travelers, wies auf dem CDO Summit im Dezember in Boston darauf hin, dass die Cloud zwar über eine skalierbare und anpassungsfähige Infrastruktur für unterschiedliche Anforderungen verfügt und Zugang zu fortschrittlicheren KI-Tools wie großen Sprachmodellen bietet. "Wichtig ist jedoch, dass diese Abhängigkeit von der Cloud-Technologie keine vollständige Migration aller Assets in eine Cloud-basierte Umgebung erfordert", so Lefebvre.
Der Lohnbuchhaltungskonzern ADP beispielsweise nutzt AWS für die meisten seiner neuen Anwendungen sowie Microsoft Azure und Cisco Cloud, aber "wir haben immer noch eine Menge Last in unseren Rechenzentren laufen", berichtet Vipul Nagrath, Leiter der Produktentwicklung bei ADP und ehemaliger CIO des Unternehmens.
Einige CIOs entscheiden sich dafür, Workloads in privaten Clouds wie "Greenlake" von HP Enterprise oder der "APEX"-Plattform von Dell zu hosten, um mehr Sicherheit und niedrigere Kosten als in der öffentlichen Cloud zu erzielen. Richard Semple, CIO von Williamson County, Texas, hat eigenen Angaben zufolge alle Public Clouds für die wachsende digitale Infrastruktur der Verwaltung in Betracht gezogen. Am Ende entschied er sich für die Sicherheit der Daten vor Ort, aber in einer von Dell entwickelten privaten Cloud.
Ein Workload nach dem anderen
Für CIOs, die sich bereits intensiv mit der Cloud beschäftigt haben, wird es immer mehr zur Norm, alle Aspekte einer Anwendung genau zu prüfen, bevor sie eine weitere in die Cloud aufnehmen. "Wir gehen nicht in die Cloud, wenn wir nicht wissen, dass es Einsparungen gibt, und wir messen ständig, um das auch sicherzustellen", erläutert Jamie Holcombe, CIO des US Patent & Trademark Office. Er habe die Erfahrung gemacht, dass "geschwätzige" Anwendungen in der Cloud oft am teuersten sind, daher nehme er entweder eine Umstrukturierung vor oder lasse sie vor Ort.
Repatriation ist keine Musterlösung
Allerdings verlagern nicht alle CIOs ihre Arbeitslasten in die Cloud oder sehen die Notwendigkeit einer Rückführung. "Ich bin zu 100 Prozent in der Cloud und würde es nicht anders haben wollen", sagt beispielsweise Gerald Caron, CIO der International Trade Administration. Obwohl Cloud Repatriation zwar ein Trend ist, ist er keineswegs universell.
"Es zeigt nur, dass CIOs tatsächlich darüber nachdenken, wo sie ihre Anwendungsportfolios platzieren wollen", ergänzt Steve Randich, CIO der Finanzaufsichtsbehörde (FINRA). Denn "die Cloud macht in einigen, aber nicht in allen Fällen Sinn".
Für Randich bleibt die Cloud in jedem Fall zentral: "Im Fall von FINRA würde es das Doppelte kosten, die Infrastruktur, die wir täglich nutzen, intern auf AWS aufzubauen", berichtet der CIO. "Außerdem würden wir die Flexibilität verlieren, unsere Infrastruktur je nach Wachstum und Rückgang des Transaktionsvolumens schnell hoch- und runterzufahren." (ajf/jd)