Amazon, Bitcoin, Uber: Spektakuläre Geschäftsmodelle und Technologien wie Blockchain, Künstliche Intelligenz oder Plattformen für das Internet der Dinge prägen das öffentliche Bild der Digitalisierung. Doch hinter den Kulissen sieht es weniger fortschrittlich aus - jedenfalls in deutschen Unternehmen.
Dort planen die Strategen deutlich bodenständiger und halten respektvoll Abstand zu disruptiven Innovationen. Das ergab eine repräsentative Studie von Bitkom Research im Auftrag der Unternehmensberatung Tata Consultancy Services (TCS), für die 905 Entscheider befragt wurden.
"Safety First" lautet die Devise
Deutsche Unternehmen investierten 2017 durchschnittlich 4,6 Prozent ihres Umsatzes in ihre digitale Transformation. Damit ist ihre Investitionsbereitschaft gegenüber dem Vorjahr zwar spürbar gewachsen, ganz oben auf der Liste steht aber ganz bodenständig IT-Sicherheit. Sechs von zehn Unternehmen (61 Prozent) wollen hier investieren, sieben Prozentpunkte mehr als im Vorjahr.
Die Zunahme überrascht nicht angesichts der Schadsoftware-Attacken wie "Wannacry" und "Notpetya". Und auch Spezialisten für IT-Sicherheit sind derzeit die begehrtesten IT-Experten am Arbeitsmarkt.
Welche Bereiche sind den Unternehmen außerdem wichtig? Vor allem Collaboration-Tools (45 Prozent) und unternehmenseigene Online-Shops (44 Prozent). Das lässt darauf schließen, dass deutsche Firmen derzeit lediglich den Vorsprung des internationalen Wettbewerbs aufholen wollen, der Web-Tools und -Shops bereits seit Jahren flächendeckend einsetzt. Die Deutschen setzen also auf Best Practices - nicht auf Next Practices.
Chancen für neue Geschäftsmodelle unterschätzt
Angesichts dieser Zahlen überrascht es wenig, wo die Unternehmen die größten Potenziale durch die Digitalisierung sehen. Ganz oben stehen Kundenservice (80 Prozent) und Kundenakquise (76 Prozent), Internationalisierung (60 Prozent) und effizientere Prozesse (59 Prozent).
Große Sprünge wagt kaum jemand: Nur 39 Prozent sehen Potenzial für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Genau auf diese grundlegenden strategischen Weichenstellungen kommt es jetzt aber an, um dem Silicon Valley etwas entgegenzuhalten und im globalen Wettbewerb der Zukunft zu bestehen.
Was ist der Grund für diese abwartende Haltung? In den seltensten Fällen mangelndes Wissen. Die Firmen nehmen die Effekte der digitalen Revolution sehr wohl wahr, vor allem in Marketing und Vertrieb (52 Prozent) sowie den Kundenbeziehungen allgemein (49 Prozent).
Jedoch scheinen sich die Effekte bislang kaum auf die Bilanz durchzuschlagen. Mit der robusten Konjunktur im Rücken spüren die Firmen (noch) wenig Handlungsdruck.
Die zwei Gefahren der Digitalisierung
Wie sollen Unternehmen in dieser Situation handeln? Es gibt keine pauschalen Lösungen, der Weg in die digitale Zukunft sieht für jedes Unternehmen anders aus. Blinder Aktionismus ist natürlich zu vermeiden. Der Wandel kommt schließlich nicht über Nacht.
Noch fataler aber wäre es, abzuwarten und Mitbewerber oder gar branchenfremden Unternehmen das Feld zu überlassen. Die Digitalisierung verändert schließlich nicht nur Geschäftsprozesse, sondern auch die Geschäftsmodelle. So manche Branche hat das bereits zu spüren bekommen.
Der eingangs erwähnte Fahrdienst Uber wird ohne eigene Fabrik oder Fahrzeuge höher bewertet als mancher Autohersteller. Und der Zimmervermittler Airbnb ist ohne eine einzige Immobilie weltweit führend bei Übernachtungsangeboten.
Verschiedene US-Unternehmen dominieren bei digitalen Plattformen für Endkunden. Deutsche Unternehmen hingegen sind im Geschäftskundenmarkt gut aufgestellt. Auch wenn datenbasierte Geschäftsmodelle nicht notwendigerweise neue Umsatzpotentiale erschließen, werden digitale Leistungen rund um Produkte zwingend notwendig, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Dabei ist die Sicherheit vor Angriffen von außen oder Datenverlusten eine Vorraussetzung für digitale Geschäftsmodelle. Allerdings darf Sicherheit nicht Stillstand bedeuten, was unter den Vorzeichen der Digitalisierungriskant wäre. Wer zögert, riskiert ganz klar Marktanteile.
Es gilt jetzt, wichtige Handlungsfelder zu identifizieren, kreative Lösungen zu entwickeln und Pilotprojekte auf den Weg zu bringen. Unternehmen, die schon heute auf Technologien wie Blockchain oder Künstliche Intelligenz setzen, können sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz erarbeiten. Hilfreich kann es dabei sein, den Austausch mit Vorreitern in diesem Bereich, mit Branchen- und Interessenverbänden oder auch mit Start-ups zu suchen.