CIO berichten über ihre Lessons learned

Warum die Krise klug macht

22.04.2010 von Thomas Pelkmann
Mal positiv betrachtet: In der Wirtschaftskrise lässt sich die IT besser auf die Zukunft ausrichten. Über ihre Erfahrungen berichten fünf CIOs aus unterschiedlichen Branchen.
Michael Busch, CIO bei der Hamburger Hafen Logistik AG.

Diese Stahlschachtel hat die Welt verändert. Sie misst genau 6,058 mal 2,483 mal 2,591 Meter und vermehrt sich seit 40 Jahren. Wie kaum ein anderes Produkt steht der "TEU" genannte Standardcontainer für die Globalisierung der Weltwirtschaft. Seit 1968 das erste Containerschiff der Welt im Hamburger Hafen anlegte, hat sich der Anteil der Containerfracht im Handel dramatisch erhöht: Heute transportieren Containerschiffe mehr als zwei Drittel des weltweiten und grenzüberschreitenden Warenverkehrs. So verwundert es nicht, dass für Leute wie Michael Busch, CIO bei der Hamburger Hafen Logistik AG (HHLA), "Krise" lange Zeit wie ein Fremdwort geklungen hat: "Bis zum Jahr 2008 hatten wir 40 Jahre lang Wachstum im Containermarkt."

Nun treffen die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise seine Branche umso härter: "Wir erleben einen Mengenrückgang von 20 bis 30 Prozent, weil die für die HHLA in den vergangenen Jahren bestimmenden Wachstumsmärkte jetzt besonders unter der schlechten Wirtschaftslage leiden", so der Leiter der Hafen-IT im Gespräch mit dem CIO-Magazin. "Unser Markt hat eine komplette Wandlung vom Anbieter- zum Käufermarkt durchmachen müssen." Bis Ende 2008 seien die Terminalkapazitäten der Nordwest-Range von Hamburg über Bremen, Rotterdam und Antwerpen bis Le Havre weitgehend ausgelastet gewesen. Das aber habe sich mangels Nachfrage drastisch geändert.

Unternehmen
Branche
CIO
Rückgang

Hamburger Hafen Logistik AG
Logistik
Michael Busch
minus 27 Prozent Umsatz (von 2008 auf 2009)

Lessons Learned
Business
IT


nicht mit chronischem Wachstum rechnen
Langfristig planen, agile SW-Entwickung mit Scrum, Standards nutzen, wo möglich

Zahl der IT-Mitarbeiter verdoppelt

Das Unternehmen der Hamburger Hafen Logistik AG.

"Vorher waren wir jahrelang auf Wachstum eingestellt", erinnert sich Busch, der seit 1999 in der HHLA-IT das Ruder in der Hand hält. "Zwischen 2000 und 2008 habe ich meine Mannschaft von 66 auf 150 Mitarbeiter mehr als verdoppelt. Zudem hatten wir noch ungefähr 75 externe Mitarbeiter an Bord", so der CIO. Genau bei den auf Wachstum ausgerichteten Projekten spürt Michael Busch nun auch die stärksten Einbrüche: "Wenn Sie feststellen, dass auf Mengenwachstum ausgerichtete Projekte nicht mehr gefragt sind, saufen auch die begleitenden IT-Projekte ab."

Eine besondere Krisenstrategie fährt seine HHLA-IT dennoch nicht. Das hängt mit den Fünfjahresplänen zusammen, die Busch mit der Geschäftsleitung zusammen aufsetzt "Wir gucken uns die Planung an und versuchen, den Bedarf, den wir für die kommenden Jahre sehen, mit eigenen Leuten abzudecken. Alles andere machen wir über externe Mitarbeiter. Das überprüfen wir jedes Jahr und passen unseren Personalbedarf entsprechend an."

Michael Gorriz, CIO bei der Daimler AG.

Auch die Daimler AG, wo der CIO des Jahres 2009, Michael Gorriz, als IT-Chef tätig ist, hat mit den Folgen der Krise zu kämpfen: Das Geschäftsjahr 2009 schloss Daimler mit einem negativen EBIT von -1513 Millionen Euro ab; auf eine Dividende, so der Vorschlag des Vorstands, solle man angesichts dieser Zahlen besser verzichten. Die Investoren pflichteten ihm bei.

Strategische Projekte schonen

"Wir begegnen den Umsatzeinbrüchen, indem wir auf der Kostenseite massiv auf die Bremse treten", verrät der IT-Leiter. "Unsere Ausgaben in der IT haben wir um rund 20 Prozent reduziert." Um auf diese Einsparungen zu kommen, habe man im Projektportfolio eine Priorisierung vorgenommen und damit viele Einspareffekte realisiert. Dabei, so der Daimler-CIO, habe man aber vor allem auf die langfristigen Pläne geachtet: "Gerade die strategisch wichtigsten Projekte haben wir nicht grundsätzlich angepasst." Gemeinsam mit Lieferanten habe man die Belastungen möglichst gering gehalten, manchmal auch Releases verschoben. "Außerdem haben wir - wo möglich - verstärkt eigene Kapazitäten genutzt und Fremdkapazitäten zurückgefahren", beschreibt Gorriz die Strategie seiner IT-Abteilung.

Unternehmen
Branche
CIO
Rückgang

Daimler AG
Automobil
Michael Gorriz
minus 20 Prozent Umsatz (von 2008 auf 2009)

Lessons Learned
Business
IT


Auch mal keine Dividende auszahlen
Mehr Industrialisierung, mehr Standardisierung, Projekte neu priorisieren

Wie 133 seiner Kollegen, die in einer Umfrage des Beratungsunternehmens Cap Gemini ihre Krisenbewältigungsstrategien beschrieben haben, sieht auch Michael Gorriz in der Industrialisierung und Standardisierung der IT einen wichtigen Beitrag, gestärkt aus der Krise zu kommen: "In der Tat hat uns die Krise in diesem Bereich echten Rückenwind verschafft", so Gorriz. "Wir konnten an der einen oder anderen Stelle eine Standardisierung durchsetzen, an der es uns vorher wesentlich schwerer gefallen wäre." Anders gesagt: Wenn alle den Gürtel enger schnallen müssen, wächst die Bereitschaft, unkonventionelle Dinge auszuprobieren.

"Im Epizentrum der Krise"

Obwohl Daimler seine Teile auch beim Automobilzulieferer Keiper einkauft, befindet sich das Unternehmen aus dem pfälzischen Kaiserslautern "im Epizentrum der Krise", wie CIO Michael Tschoepke die dramatische Situation seiner Branche zusammenfasst. "Wir haben mit 25 bis 30 Prozent Umsatzverlust zu kämpfen. Wenn wir Glück haben, stabilisiert sich das in diesem Jahr. Auf das hohe Niveau der Vorjahre werden wir aber vorerst nicht zurückkommen."

Immerhin, so der Keiper-CIO, sei man ohne Entlassungen durch die Krise gekommen: "Wir sind ein altes Familienunternehmen mit einer intakten Sozialpartnerschaft. Die Bindungskräfte zwischen Unternehmen und Gesellschaftern funktionieren." Dennoch ist natürlich auch seine IT von den Umsatzeinbrüchen betroffen. "Wir werden alle an Kennzahlen gemessen, und wenn das IT-Budget zwischen zwei und zweieinhalb Prozent des Umsatzes liegt, dann kann man sich ausrechnen, was das bedeutet."

Michael Tschoepke, CIO bei Keiper.

Auf der Strecke blieben dabei vor allem einzelne Projekte. Seine Verantwortung innerhalb des Unternehmens ist dagegen eher noch gewachsen: "Mir wurde die Verantwortung für das gesamte Prozess-Management bei Keiper übertragen." Da, so der CIO, habe ein Paradigmenwechsel stattgefunden, der die Enabler-Funktion der IT deutlich stärke. Was das mit der Krise zu tun hat? "Ohne die Krise", so Tschoepke, "wäre dieser Umgestaltungsprozess sicher nicht so schnell gekommen."

Das bestätigt auch Peter Meyerhans, CIO beim auf Bau- und Immobilienprojekte spezialisierten Beratungsunternehmen Drees & Sommer. Sein Unternehmen spüre die Krise noch wenig, denn man arbeite vorwiegend in Langläuferprojekten über Jahre und Jahrzehnte. "Dadurch wirkt sich das zeitverzögert aus, wenn es eine gesamtwirtschaftliche Krise gibt".

Unternehmen
Branche
CIO
Rückgang

Keiper
Automobil
Michael Tschoepke
minus 20 bis 30 Prozent Umsatz (von 2008 auf 2009)

Lessons Learned
Business
IT


Im Familienunternehmen funktioniert die Sozialpartnerschaft
Mehr Verantwortung für Prozesse übernehmen

In Dubai steht nicht nur Burj Khalifa

Allerdings gibt es auch bei den Projektplanern von Drees & Sommer Anzeichen für schwere Zeiten: "Der Auftragseingang ist durchaus zurückhaltend. Und es gibt gestoppte Projekte", so Meyerhans. Direkt betroffen ist zum Beispiel der in der Vergangenheit profitable Standort Dubai. Wo seit ein paar Wochen mit dem Burj Khalifa das höchste Gebäude der Welt steht, gibt es auch die meisten Baustellen: Gut die Hälfte aller Bauvorhaben wurden gestoppt, der Markt dort ist komplett zusammengebrochen. "Wir holen unsere Kräfte von dort zurück und beschäftigen sie in anderen Ländern. Durch unsere globale Ausrichtung können wir diese Ausfälle kompensieren."

Die drohende oder tatsächliche Rezession wirkt sich bei Peter Meyerhans eher psychologisch aus: "Ich habe die Krise stärker erwartet und hatte daher nicht den Mut, die Leute einzustellen, die ich vom budgetierten Arbeitsvolumen her gebraucht hätte", schildert Meyerhans seine Krisenprophylaxe. "Stattdessen habe ich mit Freelancern gearbeitet, was ich eigentlich nicht so gerne mache, weil das Know-how der Leute mit ihrem Ausscheiden verschwindet." Das ist auch der Grund, warum Meyerhans weder in noch außerhalb von Krisen auf verstärktes Outsourcing setzt: "Der Vorstand erwartet das schon, aber ich werde damit nur Spitzen abdecken oder spezielle Themen, für die wir zusätzliches Know-how brauchen."

Auch die direkten Folgen der Krise sind bei Drees & Sommer alles andere als negativ: "Für mich ist es sogar einfacher geworden, Innovationen durchzubringen", verblüfft Meyerhans. "Früher musste ich länger mit dem Vorstand reden, um ihn von einem neuen Projekt zu überzeugen. Heute kriege ich das viel schneller durch, wenn ich den ROI aufzeichnen kann." So gesehen ist die Krise für ihn eine echte Chance für Innovationen. "An uns sind die Anforderungen gestiegen, noch schneller auf veränderte Bedingungen zu reagieren." Das habe die IT dynamischer gemacht.

Monier: Shared Service Center für IT

Peter Meyerhans, CIO bei Drees & Sommer.

Weniger Diskussionen um Projekte führt auch Christoph Heiss, Director Group IS/IT beim Baustoffhersteller Monier aus Oberursel. "Es gibt mittlerweile auf allen Seiten ein größeres Verständnis dafür, dass alle im Unternehmen an einem Strang ziehen sollten." Die Krise erlebt der weltweit für die IT zuständige Monier-Manager sehr unterschiedlich: "Wir sind ein Unternehmen mit rund 10 000 Mitarbeitern und Aktivitäten in mehr als 40 Ländern", so Heiss. "Manche dieser Länder prosperieren, andere haben 2009 stagniert."

Allerdings sei auch seine IT gezwungen, die Strukturen dem schrumpfenden Markt anzupassen. Um das zu stemmen, lagert Monier aus. Die strategischen Themen wickle man weiter innerhalb des Unternehmens ab, während der IT-Betrieb ausgelagert wurde. "Wir haben die Organisation insgesamt gestrafft und zum Beispiel in Deutschland die IT-Aktivitäten in einem Shared Service Center zusammengefasst. Das bedeutet mehr Verantwortung für die Mitarbeiter dieses Bereichs."

Unternehmen
Branche
CIO
Rückgang

Drees & Sommer
Bau
Peter Meyerhans
+- 0, Tendenz leicht steigend (von 2008 auf 2009)

Lessons Learned
Business
IT


Nicht nur in Dubai bauen, Geschäft weltweit ausrichten
Innovationen jetzt anschieben, nicht alles mit Freiberuflern erledigen

Im Gegensatz zu Heiss und vielen anderen Kollegen seiner Zunft setzt HHLA-CIO Michael Busch nur begrenzt darauf, interne Kapazitäten auszulagern: "Wir planen unsere Projekte so, dass wir nicht mehr als 50 Prozent externe Mitarbeiter dabeihaben. So bleibt das wichtigste Know-how bei uns, und wir machen uns nicht übermäßig von Dienstleistern abhängig."

Trotz aller Einschränkungen im Budget hat Busch im ersten Halbjahr 2009 - also mitten in der Krise - mit seinen Leuten die höchste IT-Leistung in der Geschichte der HHLA erbracht. Statt Arbeit abzubauen, schoben Busch und seine Mitarbeiter Überstunden, um die begonnenen Projekte fertigzustellen. "Ohne IT steht der Hafen still", fasst Busch kurz und bündig die Bedeutung seiner Abteilung zusammen. Und zum Betrieb der IT gehört längst nicht nur die Infrastruktur, sondern in besonderem Maße auch die Anwendungsentwicklung. Es gebe zwar "zwei, drei Standardlösungen" für die Arbeit. "Aber wir haben uns entschieden, diese Anwendungen selber zu entwickeln, um die Performance unserer Geschäftsprozesse in der Hand zu behalten." Die Agilität der Anwendungsentwicklung, bei der die HHLA verstärkt auf Scrum setzt, sei ein wesentlicher Erfolgsfaktor, "und da werden wir weiter investieren."

Zudem setzt CIO Busch auch auf Standardisierung und stärkere Industrialisierung seiner IT. "Bei den Anwendungssystemen achten wir vor allem auf ‚´Best-of-Breed’, aber im IT-Betrieb und in der Infrastruktur legen wir durchaus Wert auf Standards." Das sei in Krisenzeiten, in denen der Druck auf die IT-Budgets noch stärker ist als sonst, sogar einfacher geworden: "Über Standardisierung kann man weiter Kosten senken", so Busch, der als Beispiel anführt, dass er in seinem Unternehmen Anfang des Jahres einen ersten Standard-PC-Arbeitsplatz eingeführt hat. "Den nutzen und verrechnen wir als Komplettpaket. Der ganze interne Aufwand fällt damit weitgehend weg."

Die Mannschaft muss mit

Michael Busch, CIO bei der Hamburger Hafen Logistik AG (HHLA).

Und noch etwas hat Michael Busch aus der Krise gelernt: "Ich wusste ja, dass das Wachstum nicht unendlich weitergehen kann und dass es eine besondere Herausforderung sein würde, wenn dieser Moment kommt." Es sei aber klar, dass man eine Krise mit ebenso flexiblen wie konsequenten Maßnahmen überstehen kann. Dafür müsse man aber vieles neu denken und obendrein die ganze Mannschaft mitnehmen. "Jetzt", so Busch, "jetzt sehe ich, dass das geht."