IT-Strategien

Warum Intrum Justitia auf SOA verzichtet

09.10.2008 von Christoph Lixenfeld
Beim Inkassospezialisten Intrum Justitia verzichtet der Finanzchef gänzlich auf eine manuell programmierte SOA. Er plant sein zentrales System mit der Modellierungssprache "Executable UML".

Die besten Freunde sind Finanzvorstände und IT-Chefs in den meisten Unternehmen nicht. CFOs reden ständig von Ausgabendisziplin, knappen Budgets und schlanken Strukturen; die IT soll so wenig wie möglich kosten, dabei aber so viele und so detaillierte Auswertungen und Steuerungs-Tools wie möglich zur Verfügung stellen. Mit technischen Feinheiten brauchen CIOs ihren Finanzchefs gar nicht erst zu kommen: zu kompliziert, kein Interesse.

Dass diese Probleme keineswegs naturgesetzlich sind, beweist der Schweizer Kredit-Management-Dienstleister Intrum Iustitia AG, der zur international tätigen Intrum Justitia Gruppe aus Stockholm gehört. Bei Intrum war es der Finanzchef höchstselbst, der eine innovative, durchaus erklärungsbedürftige IT-Lösung gegen interne Widerstände durchboxte. Und das, obwohl sich dabei der ROI nicht exakt beziffern ließ.

"Recash" war in die Jahre gekommen

"Eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufzustellen ist bei dieser Sache schwierig. Außerdem sagen solche Kalkulationen oft wenig aus: "Jede Zahl ist auch Meinung, das heißt, es gibt keine Zahl, die sich nicht irgendwie verargumentieren ließe", sagt Daniel Seiler, der als Finanzvorstand für die Schweiz, Deutschland und Österreich zuständig ist.

Für einen CFO sind solche Sätze einerseits eher ungewöhnlich, andererseits passen sie gut zu dem gesamten Projekt. Seine Ausgangslage: "Recash", die zentrale Geschäftsanwendung des Inkassounternehmens, war in die Jahre gekommen und konnte die steigenden Anforderungen nicht mehr erfüllen. "Im Grunde schütteten wir alle Kundendaten in eine einzige Datenbank, die dadurch natürlich enorm anschwoll und irgendwann nicht mehr handhabbar war", erzählt Seiler. "Bei jeder Auswertung und jeder Analyse wurden gigantische Datenberge bewegt, entsprechend lange dauerten die Abfragen."

Zuerst stellten sich die Verantwortlichen natürlich die Frage, wie sich das Vorhandene verbessern ließe. "Doch eine Service-orientierte Architektur (SOA), wie sie uns vorschwebte, ließ sich nur mit einer neuen Technik aufbauen." SOA bedeutet hier, ein modulares ERP-System zu bauen, in dem jedes Business-Thema im eigenen Modul untergebracht ist, also die "Falleröffnung" getrennt ist von "Zahlungsvereinbarungen" und von "Kundenrechnungen". "Keine der fertigen Lösungen, die wir auf dem Markt fanden, gefiel uns", sagt CFO Seiler. "Zudem spielt die IT in unserer Branche eine zentrale Rolle, deshalb wollten wir uns durch eine innovative Eigenentwicklung von den Wettbewerbern abheben."

Auch dieses Vorgehen ist nicht CFO-typisch; umso konsequenter setzte der Finanzchef die Pläne durch. Wobei "innovativ" bei der gewählten Eigenentwicklung zurückhaltend formuliert und das Wort "revolutionär" nicht übertrieben ist. Denn die Art, wie das neue System entstand, unterscheidet sich stark von der sonst bei Softwareprojekten üblichen Methode.

Direkt ausführbare Modelle

Daniel Seiler, Finanzvorstand Intrum Justitia für Schweiz, Deutschland, Österreich "Es gibt keine Zahl, die sich nicht irgendwie verargumentieren ließe."

Normalerweise erarbeiten die Business-Verantwortlichen in endlosen Sitzungen und Diskussionen ein Pflichtenheft, das danach mühsam der IT-Abteilung verklickert und von dieser dann in Programm-Code gegossen wird. Anders bei Intrum Justitia: Das Unternehmen entwickelte die neue Lösung mithilfe direkt ausführbarer Modelle. Basis sind die Modellierungssprache "Executable UML" (Unified Modelling Language) und die "Aris Bridge Integration", eine Gemeinschaftsentwicklung von IDS Scheer und des Schweizer Softwarehauses E2E. Das Besondere: Mithilfe dieser Werkzeuge sind für die für verschiedene Business-Cases entwickelten Modelle keine aufwendigen Programmierungen nötig.

Diego Zanini, bei Intrum für das Prozess- und Projekt-Management zuständig, war "zu Beginn sehr skeptisch, ob dieser neue Ansatz in der Praxis funktionieren kann". Jedoch hatten die ersten Tests in der eigenen Anwendungsumgebung in 2006 seine Zweifel beseitigt. Auch CFO Seiler war frühzeitig "fest davon überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind". Er war es, der die IT-Manager der Unternehmensgruppe von der Sache überzeugte und nicht umgekehrt. Bisher arbeiten die Intrum-Ländergesellschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit dem System, und Seiler ist überzeugt, dass andere nachziehen werden.

Die wichtigsten Argumente für die neue Technik:

Der Trick: Die zu Beginn entwickelten Modelle dienen gleichzeitig als Dokumentation, denn aus ihnen entsteht direkt die Anwendung. Fragt sich noch, wer am Ende mehr profitiert: die Business- oder die IT-Seite. Daniel Seiler: "Das kommt auf den Blickwinkels an. Ich sage immer: Die Business-Leute können endlich programmieren, während Diego Zanini sagt, die IT-ler können jetzt auch den Business-Case erstellen."