Auch wenn die Berichte über eine herannahende Rezession und die Kündigungswellen bei großen Hightech-Firmen etwas anderes vermuten lassen: Zwei Drittel der Bewerber sind aktuell auf dem Arbeitsmarkt aktiv, weil sie sich beruflich verbessern möchten, nicht weil sie müssen. Der Anteil derer, denen gekündigt wurde und sich nun einen neuen Job suchen, ist dagegen von Mitte 2022 bis zur Jahreswende 2022/2023 nur um 1,4 Prozent auf 8,6 Prozent gestiegen, wie eine Umfrage des HR-Dienstleisters Softgarden unter mehr als 3.500 Bewerbern ergab.
Bei dem restlichen Viertel der Bewerber sind so unterschiedliche Dinge wie privat motivierte Umzüge, die Umstellung von einer freiberuflichen Tätigkeit auf eine Festanstellung oder gesundheitliche Gründe Anlass für einen Berufswechsel.
Kunden oder Bittsteller?
Entsprechend sehen sich auch mehr als sechs von zehn Bewerbern in einer Kundenrolle und die Arbeitgeber müssten sich um sie bemühen - nicht umgekehrt. Das gilt insbesondere für Akademikerinnen und Akademiker, weniger für Menschen mit Haupt- oder Realschulabschluss, wie Softgarden herausfand.
Auf der anderen Seite nehmen sich 45 Prozent der Bewerber aber trotzdem eher als eine Art Bittsteller wahr und glauben, dass Unternehmen nach wie vor am längeren Hebel sitzen: "Man ist noch mit der bescheidenen Haltung 'von früher' vertraut, hat aber zugleich die mit dem generalisierten 'Fachkräftemangel' verbundene Botschaft verinnerlicht, als Sehnsuchtsobjekt der Arbeitgeber stark umworben zu werden", interpretiert Softgarden diese Ambivalenz.
Bewerber werden ausgewählt, nicht überzeugt
Dies spiegelt sich auch im Bewerbungsprozess wider: "Statt einer Begegnung auf Augenhöhe, den über 80 Prozent im Bewerbungsprozess erwarten, erlebt die knappe Mehrheit Jobinterviews nach wie vor als Auswahlgespräche, bei denen Unternehmen vor allem die Eignung von Kandidaten abklopfen", berichtet Softgarden. Die meisten Unternehmen hätten im Jobinterview offensichtlich noch nicht von Auswahl auf Überzeugung umgeschaltet - nur 37 Prozent machten die Erfahrung, dass Bewerbungsgespräche tatsächlich so geführt werden.
Dabei ist die Angst der Arbeitgeber vor Fehlbesetzungen und Übervorteilungen überwiegend unbegründet. Knapp zwei Drittel der Befragten finden sich in dem Satz wieder: "Ich bin Arbeitgebern gegenüber eher vorsichtig und bescheiden." Für das deutlich selbstbewusste Statement "Bei der Bewerbung sitze ich am längeren Hebel und versuche möglichst viel für mich herauszuholen" votieren dagegen nur 22 Prozent.
Trotz oder gerade wegen des überholten Bewerbungsprozess stimmen etwas über 70 Prozent dem Statement zu, dass man heute dankbar sein muss, einen passenden neuen Job zu finden. Knapp die Hälfte findet zwar, es sei heute "überhaupt kein Problem", einen Job zu finden, 40 Prozent bezeichneten es in der Studie aber nach wie vor als "mühsam", sich um einen Job zu bewerben.
Exit-Gespräch? Reisende soll man nicht aufhalten
Haben sich angesichts des zunehmenden Mangels an Arbeitskräften die Bemühungen der Unternehmen intensiviert, Mitarbeiter an Bord zu halten? Die Umfrage lässt Zweifel daran aufkommen. So stellen Exit-Gespräche anscheinend immer noch die Ausnahme in deutschen Unternehmen dar. Laut Umfrage geht die große Mehrheit (60 Prozent) der scheidenden Mitarbeiter stumm und spricht vorher weder mit der Führungskraft noch mit der Personalabteilung über das Vorhaben, den Arbeitgeber zu verlassen.
Zwar hatten etwas mehr als die Hälfte der Befragten den Eindruck, ihrem Arbeitgeber sei es wichtig, gute Mitarbeiter lange an Bord zu halten und ihren Fortgang zu verhindern. Aber selbst hier herrschten zum Teil Zweifel an der Ernsthaftigkeit der dazu unternommenen Versuche, interpretiert Softgarden die Ergebnisse.
Purpose ist eher nachrangig
Die Studie rückt auch die Bedeutung des in den vergangenen Jahren hochgejubelten Purpose, also der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit, zurecht, So erklärten zwar 85 Prozent der Befragten, dass sie trotz Lottogewinn weiterhin arbeiten gehen würden. "Purpose" spielt dabei jedoch bei weitem nicht die stärkste Rolle, sondern ragniert auf Platz Vier. Wesentlich für das Sinnempfinden im Job ist vielmehr das "Erleben der eigenen Leistungsfähigkeit" - für 70 Prozent ist dies der Grund, warum sie trotz üppiger finanzieller Versorgung weiterarbeiten würden.
Ein "positiver Unternehmenszweck" wird dagegen nur von 52 Prozent genannt und liegt damit noch hinter dem Einsatz des Gelernten im Job (65 Prozent) und dem Gefühl, Teil einer Kollegengemeinschaft zu sein.