Faule Nerds, die in Kellern hausen, sich auf reiner Junk-Food-Basis ernähren und kein Interesse am Leben außerhalb virtueller Welten haben - Stereotypen über Gamer halten sich schon, seit Video- und Computerspiele in den 1970er Jahren erstmals populär wurden. Davon sollten sich Unternehmen allerdings nicht vereinnahmen lassen, denn die Soft Skills, die nicht erst durch moderne Games wie Call of Duty, Fortnite oder Fifa gefördert werden (PDF), machen Zocker zu einer begehrenswerten Zielgruppe für Personalverantwortliche und Headhunter. Elektronische Spiele - insbesondere, wenn sie im professionellen Umfeld betrieben werden (auch bekannt als eSports) - können in folgenden Kompetenzbereichen zuträglich sein:
Kreativität,
kritisches Denken,
Argumentation,
Problemlösung,
Leadership,
Collaboration und
Belastbarkeit.
"Die rund 2,5 Milliarden Gamer auf der Welt bringen eine breite Basis an gefragten Kompetenzen mit … Es sind genau die Talente, die Arbeitgeber brauchen, um Wettbewerbsvorteile zu erschließen", konstatieren die Experten der ManpowerGroup im Rahmen ihrer Studie "Game to Work".
Projektmanagement wie in World of Warcraft
Der Personaldienstleister hat rund 11.000 Games aus 13 verschiedenen Genres analysiert, um die Soft Skills zu identifizieren, die in der jeweiligen Spielekategorie am stärksten gefördert werden. Auf dieser Grundlage hat das Unternehmen auch ein kostenloses Online-Tool für Bewerber entwickelt: Der "Gaming Skills Translator" fragt Lieblings-Games und zugehörige Erfahrungswerte ab und übersetzt die mit den Unterhaltungswerken verknüpften Skills für die Arbeitswelt in Lebenslauf-fähige Sprache. Das Tool schlägt außerdem gleich passende Branchen und Jobrollen vor und gibt Tipps für Lebensläufe an die Hand.
Im Folgenden einige Beispiele für Spielegenres und die Skills, die sie laut der Analyse des Personaldienstleisters fördern:
Strategie- und Puzzlespiele (StarCraft, League of Legends) fördern kritisches Denken, Kreativität, Problemlösungskompetenz und soziale Wahrnehmung.
Action Adventures und Rollenspiele (World of Warcraft, Assassins Creed) fördern Collaboration- und Kommunikationsfähigkeiten, Problemlösungskompetenz sowie Entscheidungsfindung.
Open-World-Spiele (Minecraft, Legend of Zelda) sind Kreativität, Kollaboration, sozialer Wahrnehmung und Koordination zuträglich.
Team- und Multiplayer-Games (Call of Duty, Fifa, Mario Kart) fördern kritisches und strategisches Denken, Teamfähigkeit und Entscheidungsfindung.
"Diese Soft Skills sind schwer zu finden und noch schwerer zu trainieren", meint Tomas Chamorro-Premuzic, Chief Talent Scientist bei der ManpowerGroup. "Die Pandemie hat die Nachfrage nach Kompetenzen in den Bereichen Collaboration, Kommunikation und Lernfähigkeit angetrieben - und die Gaming-Welt kann dabei unterstützen, die Qualifikationslücken zu schließen."
Auch Lavonne Monroe, Vice President of Global Talent Acquisition and Onboarding bei Hewlett-Packard Enterprise (und selbst ein Gamer) ist davon überzeugt, dass Video- und Computerspiele dazu geeignet sind, Soft Skills zu vermitteln: "Man ist selbst vielleicht nicht in der Lage, eine direkte Korrelation zu sehen, aber es gibt sie - und es ist eine tolle Sache, dass das nun auch mit Hilfe eines Tools greifbar wird. Bislang haben wir bei HPE in Sachen Recruiting noch nicht gezielt Gamer angesprochen, aber das könnte sich in Zukunft ändern."
Unternehmen innerhalb der Games-Branche wissen Spieleenthusiasten dagegen schon länger auch als Bewerber zu schätzen. So wie Activision Blizzard: Das Unternehmen spricht mögliche Bewerber (unter anderem) direkt über seine Game-Plattformen - etwa Call of Duty, Overwatch und World of Warcraft - an. Max Levasseur, Talent Sourcer beim Spielekonzern, erklärt: "Wir bemühen uns seit jeher die Gaming-Community zu erreichen, um potenzielle Kandidaten für unsere offenen Stellen zu identifizieren.
Es ist wichtig, die Leidenschaft und den Enthusiasmus der Gaming-Community anzuerkennen und zu verstehen, dass Spieler über wertvolle Kenntnisse und Skills verfügen, weil sie meist mit diesen Games aufgewachsen sind. Zu zocken, kann außerdem auch andere Skills fördern, etwa kreatives Schreiben, Multitasking oder sogar Projektmanagement - etwa als Raid Leader in World of Warcraft."
Die zockenden GenAI-Spezialisten
Brandon Tschacher ist als Gründer der Milwaukee Esports Alliance ebenfalls davon überzeugt, dass Video- und Computerspiele diverse Soft Skills fördern können. Er sieht in Spielebegeisterten sogar prinzipiell potenziell hervorragendes IT- und Tech-Personal: "Das Tolle an Games ist, dass man sich mit dem gesamten Ökosystem auskennen muss, um richtig spielen zu können - dazu gehören Hard-, Software, Builds und Applikationen. Hardcore- beziehungsweise professionelle Gamer verfügen deshalb oft bereits über eine Vielzahl von Hard und Soft Skills für diverse Einsatzzwecke."
Das könnte sich insbesondere im gerade angebrochenen Zeitalter der (generativen) künstlichen Intelligenz (KI) als nützlich erweisen. Die Technologie auf Grundlage großer Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) dürfte den Bedarf an Kompetenzen wie kritisches Denken, Empathie, Kreativität oder Storytelling weiter in die Höhe treiben - auch weil banale oder repetitive Tasks zunehmend automatisiert würden, wie Anant Agarwal, Gründer der Online-Lernplattform EdX konstatiert. "Die heutigen Gamer, insbesondere diejenigen, die teamorientierte Spiele spielen, haben sicherlich eine Teilmenge dieser Fähigkeiten, wie schnelle Problemlösung und Teamfähigkeit, erworben. In vielen Fällen ist es wahrscheinlich einfacher, einem Gamer, der Germanistik studiert hat, Programmier- und KI-Knowhow zu vermitteln, als dem Absolventen eines technischen Studiengangs Soft Skills", ist der Manager überzeugt.
Activision-Blizzard-Recruiter Levasseur legt bei seinen Bewerber-Screening-Sessions naturgemäß gesteigerten Wert auf Gaming-Erfahrung, beziehungsweise -Skills: "Die Fähigkeit, effektiv zu kommunizieren und gut mit anderen zusammenzuarbeiten, ist in der Games-Branche essenziell - hier geht es viel um Teamwork in einem besonders schnelllebigen Umfeld. Dabei ist es wichtig, dass jedes Team harmonisch zusammenarbeitet, um ein überzeugendes Endprodukt für die Spieler zu liefern. Mehr Menschen als je zuvor spielen - und um Games zu entwickeln, die ein möglichst breites Publikum erreichen und zum Erfolg werden, braucht man ein Team, das sowohl über die dafür nötigen Hard- als auch Soft Skills verfügt."
Julie Loucks ist Head of bei Experis Games Solutions, einer Tochtergesellschaft der ManpowerGroup, die Video Game Testing Software vertreibt - und dazu vor allem in den Reihen von Gaming-Enthusiasten rekrutiert. Sie hat nach eigener Aussage viele ihrer Mitarbeiter im Laufe der Jahre aufgrund ihrer Soft Skills an Tech-Unternehmen wie HPE oder Amazon "verloren". Inzwischen habe sich auch bereits herumgesprochen, dass die Gaming-Community einen guten Talentpool darstelle: "Recruiter treiben sich mittlerweile oft auch auf bei Gamern beliebten Messaging- und Social-Plattformen wie Discord herum, um nach möglichen Bewerbern Ausschau zu halten - oder sie stellen Stände auf Spielemessen auf." (fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.