Servicerevolution steht bevor

Warum Versicherungen jetzt umbauen müssen

26.04.2018 von Heinrich Vaske
Wie die Management-Beratung Bain & Company feststellt, steht das Versicherungsgewerbe vor einer "Servicerevolution". In einer aktuellen Studie heißt es, dass die Unternehmen ihr Leistungsspektrum deutlich ausbauen und dank digitaler Technologien enger an ihre Kunden heranrücken müssen.
  • Versicherungen müssen mehr in die Pflege ihrer Kundenkontakte investieren
  • Ihr Geschäftsmodell ändert sich, Services rund um die Versicherungsagebote sind zunehmend gefragt
  • Schwächen haben die Versicherer im Kontakt mit mobilen Kunden und im Management von Omnichannel-Umgebungen.

Versicherungen haben traditionell keinen besonders engen Draht zu ihrer Klientel. Nicht einmal die Hälfte der Kunden nimmt mindestens einmal jährlich Kontakt zu ihrem Anbieter auf. Damit ist auch die Loyalität der Versicherten gering: Der Wettbewerb läuft über den Preis. Doch Vergleichsplattformen wie Verivox oder Check 24 sorgen für eine Transparenz, die den Anbietern nicht guttut. Die Konzerne geraten zunehmend unter Preisdruck und erleben nicht selten Gewinneinbrüche.

Die pfiffigen Geschäftsideen der Insurtechs
Element Insurance
Als rein digitale Versicherungsplattform - inzwischen mit BaFin-Lizenz ausgestattet - ist Element im März 2017 angetreten, um sich im Segment der Sach-, Unfall- und Haftpflichversicherungen auszubreiten. Das Unternehmen, das vom Berliner Fintech-Company-Builder Fin Leap gegründet wurde, will Unternehmen verschiedener Branchen - vom E-Commerce bis zur klassischen Versicherung - unterstützen, individuelle und passgenaue Versicherungsprodukte für ihre Kunden zu schaffen.
Optisure
Eine Haftpflichtversicherung ausschließlich für IT-Freelancer bietet der Versicherungsmakler Optisure ab 29 Euro monatlich an. Das Unternehmen argumentiert damit, dass Freiberufler ihre hohen Risiken im Zusammenhang mit Rahmen- und Projektverträgen gesondert absichern sollten.
SmartInsurtech
SmartInsurtech schiebt sich als Plattform zwischen Versicherungskonzerne und deren Vertriebsorganisationen. Letzteren will die Hypoport-Tochter mit Web-basierten zentralen Standardlösungen helfen, ihre Hardware- und Lizenzkosten zu senken. Auch Provisionsabrechnungen und die Geschäftspost übernimmt SmartInsurtech.
Ottonova
Als erste vollständig digitale private Krankenversicherung ist Ottonova im Juli 2017 angetreten, Marktanteile zu erwerben. Das Unternehmen, das sich an dem US-Startup Oscar Health orientiert, hat eine Zulassung bei der Bafin bekommen und kann damit Verträge mit Kunden abschließen. Ins Beuteschema passen jüngere Akademiker, die keine Berührungsängste mit digitalen Technologien haben und gut verdienen.
PicSure
PicSure offeriert Versicherungskonzernen KI-Lösungen, mit denen diese einfach Sachverhalte verifizieren können. Mit einem Smartphone-Photo können beispielsweise Gegenstände wie ein Fahrrad aufgenommen und binnen Sekunden bewertet werden. Ebenso werden Bilder von Schadensfällen automatisiert beurteilt.
Wefox
Wefox bezeichnet sich als unabhängige Serviceplattform, auf der Versicherte ihre Verträge verwalten, Tarife vergleichen und sich beraten lassen können. Das Startup agiert anbieterneutral und bietet kostenfreie Services an, darunter Vertragsimport und Serviceleistungen. Es finanziert sich, indem es den Versicherungsgesellschaften Teile der Services abnimmt und dafür von ihnen kassiert. Auch hier geben Kunden eine Vertretungsvollmacht, die Wefox ermöglicht, die Vertragsdaten bei den Versicherungen abzufragen und in der App anzuzeigen.
ControlExpert
Das Unternehmen überprüft mithilfe intelligenter Algorithmen Schadensgutachten und Werkstattrechnungen auf Fehler. Damit hilft es Versicherern, Kosten zu senken. ControlExpert greift dabei auf eine Datenbank zurück, die jeden Tag um Tausende von Aufträgen aufgefüllt wird. Mit EasyClaim hat ControlExpert eine App herausgebracht, mit der Autofahrer einen Schaden direkt am Unfallort melden können.Anhand hochgeladener Fotos bekommen die Fahrer nach rund zwei Stunden eine Info, wie teuer die Reparatur wird und wo sich die nächste Werkstatt befindet
Kasko
Als digitale Versicherungsplattform für On-demand-Versicherungsprodukte bezeichnet sich Kasko. Das Unternehmen wendet sich als Vermittler mit den Angeboten großer Versicherer an digitale Marktplätze oder Reiseportale, wo entsprechende Angebote via Plugin oder API eingebunden werden können. Die Kunden haben den Vorteil kurzer Wege, außerdem müssen sie sich nicht um regulatorische Details oder technische Integration kümmern.
AppSichern
Kurzzeit-Versicherungen für besondere Situationen bietet AppSichern. Der Reiz liegt im schnellen und unkomplizierten Abschluss, der auf der Website oder über eine App getätigt werden kann. Das Startup bietet beispielsweise einen „24-Stunden-Drittfahrschutz“ für den Fall, dass ein Kunde sein Auto an einen Freund verleihen möchte. Kündigung ist nicht nötig, soll sie verlängert werden, wird der Vertrag nochmal unterzeichnet. Einen ähnlichen Dienst bietet Cuvva an.
Virado
Auf kleinteilige Produktversicherungen etwa für Smartphones, Tablets, Brillen, Gadgets, Fahrräder oder Haushaltswaren hat sich Virado spezialisiert. Das Startup richtet sich an Versicherungsmakler, die solche Produkte an Betreiber entsprechender E-Commerce-Seiten verkaufen. Virado bindet diese Angebote in die Homepages, Apps und Facebook-Seiten der B2B-Kunden aus dem Handel ein.
Wert14
Wert14 von der Rostocker SkenData GmbH ist eine Plattform für die Immobilienbewertung, die sich neuester Big-Data- und Machine-Learning-Technologien bedient, um zu einem schnellen und genauen Urteil zu kommen. Das Unternehmen erhielt 2017 den Insurance IT-Innovation Award der Uni St. Gallen.
Feelix
Ein breites Angebot rund um die digitale Finanzplanung bietet Feelix. Das Unternehmen will das Papierchaos in den Finanz- und Versicherungsordnern der Kunden beseitigen und bietet dafür eine App an. Verbraucher können damit ihre bestehenden Versicherungs-, Geldanlage-, Kredit- und Altersvorsorgeverträge managen. Hinzu kommen Vertrags- und Kreditcheck, mit denen Anwender herausfinden können, ob ihre Verträge noch aktuell und kostengerecht sind.
Fairr
Auf die Nische der Altersvorsorge-Lösungen rund um Riester- und Rürup-Rente hat sich fairr.de spezialisiert. Das Startup hilft Kunden, Zulagen und Steuervorteile in Anspruch zu nehmen. Das Unternehmen verzichtet auf Anschlussprovisionen und hält die Gebühren niedrig. Mit (Fonds-)Sparplänen für Riester- und Rürup-Rente verdient fairr.de Geld.
Friendsurance
Friendsurance ist zum einen ein klassischer Versicherungsmakler, der von den zirka 70 vertretenen Versicherungen bei Erfolg einen marktüblichen Bonus erhält. Zum anderen betreibt das Unternehmen ein Peer-to-Peer-Versicherungsmodell, in dem sich Versicherte zu kleinen Gruppen bis zu zehn Personen zusammenschließen und gegenseitig finanziell unterstützen. Kleinere Schäden werden aus diesem Topf bezahlt, bei größeren springt das Versicherungsunternehmen ein. Tritt bei den Versicherten kein Schaden ein, sinken die Versicherungskosten.
Haftpflicht Helden
Wer in wenigen Minuten online eine private Haftpflichtversicherung für 72 Euro jährlich abschließen will, ist bei den Haftpflicht Helden richtig. Als BaFin-zugelassener Partner im Hintergrund agiert die NV-Versicherungen VVaG. Haftpflicht Helden beschreibt transparent, was mit den Gebühren der Versicherten passiert. Wer Freunde überzeugt, sich ebenfalls dort zu versichern, senkt je nach Anzahl der Mitversicherten seine Kosten und die der Freunde.
Community Life
Als Community rund um Versicherungen präsentiert sich Community Life. Das Unternehmen bietet eine Berufsunfähigkeits- und eine Lebensversicherung und stützt sich dabei auf Angebote der internationalen Versicherungsgruppe iptiQ. Größter Vorteil ist die Anbindung an eine Community, in der über Versicherungen diskutiert wird, die neue Produkte mitentwickelt und die durch den Zusammenschluss Versicherter Lobby-Vorteile schafft.

Die Management-Beratung Bain & Co. hat sich das Gewerbe genauer angesehen. Weltweit wurden 172.000 Versicherungskunden befragt, 15.000 davon in Deutschland. Die daraus resultierende Studie (pdf) zeigt, dass die Kunden zunehmend an Servicenetzwerken - auch Ökosysteme genannt - interessiert sind. Rund um Pkw, Eigenheim, Altersvorsorge oder Gesundheit hätten sie gerne nutzwertige Services.

Chancen durch zusätzliche Produkte und Services

Im Kfz-Bereich könnten das beispielsweise Prämien für sicheres Fahren, Reparatur- und Notfalldienste oder Werkstattrabatte sein. Die Krankenversicherungen könnten einen digitalen Zugang zu den Patientendaten ermöglichen, einen Expertenrat für Behandlungen und Reha einrichten oder Vorsorgemaßnahmen - auch online - anbieten. Wer ein Gebäude versichert, möchte vielleicht gleich eine Videoüberwachung oder ein automatisches Abschaltsystem bei Brand- und Wasserschäden mit erwerben. Und wer eine Lebensversicherung abschließt, hätte möglicherweise auch gerne eine Finanzplanung oder -beratung in Anspruch genommen oder einen Notfallservice für ältere Menschen.

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Der Schlüssel zu mehr Kundeninteraktion und damit auch einer höheren Loyalität der Kunden ist der digitale Kanal. Er muss allerdings in ein Omnichannel-Konzept eingebunden sein, damit Kunden sich ganzheitlich und durchgängige betreut fühlen. Bei null anfangen müssen die Versicherer dabei nicht: Rund 60 Prozent der Deutschen treten heute bereits über digitale Kanäle mit ihren Versicherungen in Kontakt. Dabei spielen aber Smartphones und Tablets noch keine Rolle. Lediglich drei Prozent der Sach- und sechs Prozent der Lebensversicherungskunden nutzen hierzulande den mobilen Kanal. Laut Bain ist dieser Anteil in Ländern wie China, Indonesien oder anderen asiatischen Regionen fünf- bis zehnmal so hoch.

Versicherungen müssen Vertriebskanäle synchronisieren

Die Berater weisen aber darauf hin, dass es nicht ausreiche, nur auf dem mobilen Kanal zu überzeugen. Vielmehr müsse es darum gehen, die digitalen mit den herkömmlichen Vertriebswegen zu kombinieren. So zeigt die Befragung von Bain klar, dass reine Digitalkunden von Versicherungen heute weniger loyal sind als Versicherte, die über verschiedene Vertriebswege in Kontakt mit dem Anbieter stehen. Kunden, die digitale Zugangswege nutzen, bewerten ihre Interaktion mit der Versicherung schlechter als andere. Sie sind weniger zufrieden mit der Geschwindigkeit, in der auf sie eingegangen wird, sie fühlen sich in ihren Bedürfnissen schlechter verstanden und vor allem: Beim Thema Personalisierung klafft eine gewaltige Lücke.

Versicherungen können ihren Kunden laut Bain & Co. in allen Bereichen zusätzliche Services anbieten. Die Kunden sind dafür in der Regel dankbar und auch zahlungsbereit.
Foto: Bain & Co.

Individualisierte Empfehlungen, eine persönliche Ansprache und maßgeschneiderte Kundenportale sind Fehlanzeige. Immerhin beobachtet Bain hier Bewegung: Internationale Konzerne wie Axa und HDI hätten in einigen Ländern personalisierte Videos zur Aktivierung von Bestandskunden eingeführt, und in den USA gebe es mit Progressive einen Versicherer, der die Personalisierung von Produkten vorantreibe. Dort werden Kunden aufgefordert, selbst ihre Preisvorstellungen zu nennen, um dann ein maßgeschneidertes Angebot zu erhalten.

Andere drängen ins Versicherungsgeschäft

Bain mahnt die Versicherungskonzerne, den Umbau zum Dienstleister zügig anzugehen. Banken, Autobauer, Telekommunikationskonzerne - diese und andere branchenfremden Unternehmen integrierten immer häufiger selbst Versicherungspolicen in ihr Leistungsspektrum und machten Versicherer damit zu Lieferanten austauschbarer Produkte. Deshalb müssten die Versicherungsunternehmen selbst Ökosysteme rund um die Bedürfnisse ihrer Kunden aufbauen. Damit würden auch regelmäßige Interaktionen mit den Kunden über digitale Kanäle möglich, was die Loyalität erhöhe.