"Houston wir haben ein Problem" - nach diesem bekannten Funkspruch von Apollo 13 war es mit der Routine im texanischen Mission Control Center der NASA vorbei. Jetzt galt es die Astronauten trotz havariertem Raumschiff wieder lebend zur Erde zurückzubringen.
Ganz so dramatisch geht es über 50 Jahre später im Mission Control Center von McLaren Racing im englischen Woking nicht zu. Zwar muss das dortige Team keine Leben retten, doch die Formel 1 hält für den Rennstall andere Herausforderungen bereit: Bei der Hatz um Zehntausendstel Sekunden auf der Piste, ist in der Kommunikation jede Millisekunde entscheidend.
Das Nervensystem der Formel 1
Dabei kann die Kommunikation zwischen dem McLaren Technology Center (MTC), wo sich das Control Center des Rennstalls befindet, und dem Team an der Strecke rennentscheidend sein. Schließlich fungiert das MTC an den Rennwochenenden als strategisches Mastermind im Backend.
Denn hinter den dröhnenden Motoren, die der Zuschauer an der Strecke hört, verbirgt sich ein komplexes technologisches Ökosystem. Das McLaren-Team ermöglichte uns einen faszinierenden Einblick in dieses Nervensystem, das aus Daten, Konnektivität und modernster IT-Technologie besteht.
Daten als Lebenselixier
Allerdings dürfen wir leider nicht über alles berichten oder zu sehr ins Detail gehen. Schließlich kennt die Sicherheits-Paranoia in der Formel 1 keine Grenzen. Da geht zum einen die Angst um, die Konkurrenz könnte einen mühsam erarbeiteten Wettbewerbsvorteil erfahren. Zum anderen wächst mit der steigenden Popularität der Formel 1 die Gefahr von Cyberangriffen.
Und die könnten fatale Folgen haben, wie Dan Keyworth, Director of Business Technology bei McLaren, erklärt, "denn Daten sind das Lebenselixier der Formel 1". So liefern über 300 Telemetrie-Sensoren an jedem Rennwagen in Echtzeit 100.000 Parameter und Telemetriedaten. Im Rennen reduziert der Rennstall die Zahl der Sensoren dann auf Hundert, um Gewicht zu sparen.
Das Gehirn der Garage
Direkt an der Strecke wird diese Datenflut im mobilen Rechenzentrum des Teams, das sich in einem klimatisierten Container befindet, verarbeitet. Für Keyworth ist es das "Gehirn der Garage".
Mit Hilfe dieser Daten, die von der Geschwindigkeit über die Reifentemperatur bis hin zum Benzindruck reichen, kann das 150-köpfige Team an der Strecke die Performance der Fahrzeuge analysieren und strategische Entscheidungen treffen. Aber das ist nur die halbe Miete, wie der Director einräumt.
Misson Control als Mastermind
Auch wenn in dem Container hochmoderne Server-Racks verbaut sind, reicht die Rechen-Power vor Ort nicht aus, um komplexere Simulationen ablaufen zu lassen. Diese sind etwa dann erforderlich, wenn es im Training und Qualifying trocken war, für das Rennen aber Regen angesagt ist. Nun gilt es, per Simulation herauszufinden wie sich die Boliden auf nasser Piste verhalten und welche Einstellungen zu ändern sind.
Deshalb müssen die an der Strecke anfallenden Daten parallel in Echtzeit ins MTC nach Woking übertragen werden. Dort ist die für solche Aufgaben erforderliche Rechenleistung installiert. Auf welche Art von Rechnern McLaren dabei genau setzt, wollte uns Keyworth mit Verweis auf die Betriebsgeheimnisse nicht verraten.
Wachsende Bedeutung der KI
Ihm war lediglich zu entlocken, dass man hierzu früher Machine-Learning-Technologien nutzte. Mittlerweile kommt KI als nächste Evolutionsstufe zu Einsatz. "Die Analyse von Telemetriedaten mit KI-Algorithmen ermöglicht es uns, Muster und Zusammenhänge zu erkennen, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben", skizziert Keyworth, "so sind wir in der Lage, fundiertere Entscheidungen über Strategie und Fahrzeugabstimmung zu treffen."
Und die KI offeriert neben der Optimierung der Fahrzeugleistung noch einen weiteren Vorteil: Es können an den Rennwochenenden mehr Simulationen in kürzerer Zeit gefahren werden. Angesichts der ganzen High-Tech wirkt ein anderes KI-Einsatzfeld fast schon old fashioned: Die Transkription von Sprachnachrichten mit KI entlastet die Ingenieure von mühsamen Aufgaben und schafft mehr Zeit für kreative Problemlösungen.
Nahtlose Connectivity als Erfolgsfaktor
Doch das war nicht immer so. In der Vergangenheit haperte es durchaus mit der Datenübertragung und die Latenzzeiten ließen zu wünschen übrig. Eine Datenanalyse in Echtzeit blieb so nur ein frommer Wunsch.
Für McLaren war es also an der Zeit, in die technologische Infrastruktur zu investieren. Technische Schützenhilfe in Sachen Netzwerk, Security und Collaboration gab es dabei von Cisco. Der Konzern ist seit 2022 Official Technology Partner des Rennstalls.
130 Millisekunden Latenzzeit
Dabei wurde nicht nur die Netzwerkinfrastruktur im MTC am Stammsitz auf Vordermann gebracht, sondern auch gemeinsam eine Netzstrategie für das Team an der Rennstrecke vor Ort entwickelt. So sollen etwa Wi-Fi-6E-Access-Point in der Box nicht nur Speed und geringe Latenzzeiten bieten, sondern auch eine größtmögliche Flexibilität beim Arbeiten erlauben.
Die Connectivity von der Box und dem mobilen Rechenzentrum an der Strecke ins heimische MTC in England stellt dabei eine dedizierte 100-Mbit/s-Verbindung sicher. In Kombination mit dem umfassenden Technologie-Upgrade konnte so die End-to-End-Latenzzeit auf unter 130 Millisekunden reduziert werden - selbst auf entfernten Rennstrecken wie in Mexiko.
Kommunikation in Echtzeit
"Damit haben Sie im MTC in Woking das Gefühl, als würden Sie direkt an der Boxenmauer in Mexiko sitzen und sich dort mit den Ingenieuren unterhalten", schwärmt Keyworth über die stark verbesserte Latenz. Und die ist auch notwendig, nicht nur für die Datenübertragung, sondern auch für die Sprachkommunikation zwischen Woking und dem Team an der Strecke.
Schließlich sitzt im MTC ein 30-köpfiges Team an Ingenieuren, Technikern, Datenanalysten und Strategen mit Kopfhörern, die jederzeit in die Kommunikation der Boxencrew vor Ort eingreifen können. Die Kopfhörer sollen dabei eine möglichst störungsfreie Unterhaltung ermöglichen - also Störgeräusche wie anlaufende Motoren etc. ausblenden. Gleichzeitig stellen sie sicher, dass die anderen Teammitglieder durch die Gespräche in ihrer Konzentration nicht gestört werden.
Die Stimme der Vernunft
Dabei unterstützt das MTC-Team die Kollegen an der Rennstrecke mit Analysen, Simulationen und strategischen Empfehlungen. In dieser Rolle fungiert die MTC-Mannschaft für Keyworth als "Stimme der Vernunft".
Auf unseren fragenden Blick hin, löst der Technik-Direktor das Rätsel auf: Aufgrund der Hektik und dem Stress in der Box während eines Rennens benötige man noch ein Team, das aus der Distanz wie ein Ruhepol wirke. Und noch ein weiterer Aspekt spricht für diese Strategie: Die Mitarbeiter in Woking sind physisch und psychisch fitter als ihre Kollegen vor Ort an der Rennstrecke.
Stress für die Boxen-Crew
Sie können nämlich in ihrer gewohnten sozialen Umgebung leben und kommen ausgeruht zur Arbeit. Die Boxen-Crew hat dagegen nur allzu oft mit Zeitverschiebung, Reisestress, stark wechselnden klimatischen Bedingungen etc. zu kämpfen. "Haben Sie dann noch einen Triple, wie im Herbst, wo wir im Wochenrhythmus von Austin nach Mexiko-Stadt und schließlich Sao Paulo wechselten, dann geht das an die Substanz", schildert Keyworth die Belastung der Mitarbeiter.
Damit steigt die Gefahr von Fehlern, dass womöglich kritische Daten übersehen oder falsch bewertet werden. Dem will man mit der zweiten Mannschaft im englischen Control Center vorbeugen.
Logistik: Meisterleistung der Koordination
Doch der globale Wanderzirkus der Formel 1 ist nicht nur für die Mitarbeiter eine Herausforderung. Er setzt auch logistische Meisterleistungen voraus. Im Falle des angesprochen Triples muss etwa nach dem Rennen am Sonntag bereits vier Tage später die komplette Team-Infrastruktur an der nächsten Rennstrecke einsatzbereit sein.
"Die Crew-Mitglieder erwarten, dass sie in die Box kommen, ihren Kopfhörer nehmen, einstöpseln und sofort mit ihrer Arbeit loslegen können und dabei an jedem Rennort eine identische Arbeitsumgebung vorfinden - egal ob Ingenieur am Fahrzeug oder Datenspezialist am Rechner", veranschaulicht der Director die Herausforderung. Was die beiden Rennwagen und das mobile Rechenzentrum betrifft ist die Lösung zwar einfach und schnell, aber auch kostspielig: Sie reisen per Frachtflugzeug zum nächsten Veranstaltungsort.
Militärische Präzision
Das restliche Equipment wie Computer, Monitore, Server oder Netzkomponenten, reist per Seefracht um die Welt. Damit gewährleistet ist, dass die Ausrüstung immer pünktlich vor Ort ist, hält McLaren sechs identische Sets vor. "Diese komplexe Logistik", so Keyworth, "erfordert ein Team von Spezialisten, die mit militärischer Präzision arbeiten und jeden Schritt der Reise minutiös planen."
Auf die Frage, ob er angesichts dieser komplexen Aufgabe noch ruhig schlafen könne, antwortet Keyworth lachend: "Die Sicherheitsfrage ist das Einzige, was mich nachts wachhält." Wozu eigentlich kein Grund besteht, denn bislang gelang es McLaren, seine Infrastruktur vor Eindringlingen zu schützen.
Schutz der digitalen Assets
Zumal der Rennstall bezüglich Cybersecurity ebenfalls Schützenhilfe vom Technologiepartner Cisco erhält. Um die Infrastruktur zu schützen, kommt fast das gesamte Cisco-Portfolio zum Einsatz - vom VPN über Firewalls bis hin zu den dedizierten Sicherheitssuiten.
In Sachen Performance-Management vertraut Keyworth auf die Network-Intelligence-Lösung der Cisco-Company ThousandEyes. So hat er jederzeit seine Infrastruktur im Blick und kann mögliche Schwach- oder Engstellen bereits im Vorfeld erkennen, bevor sie sich zu einem katastrophalen Ausfall entwickeln.
Was CIOs von der Formel 1 lernen können
Und was können CIOs anderer Branchen von der IT-Strategie McLarens lernen? Ein Punkt liegt für Keyworth auf der Hand: Fokussieren. "Ich habe ein klares Ziel vor Augen, zwei Autos auf die Strecke zu schicken und möglichst Erster zu werden", erklärt er, "darauf konzentrieren sich die IT, die Mitarbeiter und die Unternehmensstrategie."
Im Gespräch mit anderen Technologieentscheidern gewinnt er dagegen häufig den Eindruck, dass viele Unternehmen kein klares Ziel haben, dafür aber vielleicht zehn verschiedene Visionen. "Die Konsequenz ist dann, dass es nicht die eine Sache gibt, von der man besessen ist. In der Folge verzetteln sich alle - egal ob in der IT oder bei der Strategie und es geht nichts voran", mahnt Keyworth.
Datengestützte Entscheidungen
Ein weiterer Punkt ist für den Technology-Director die datengestützte Entscheidungsfindung. "Dabei ist es egal, ob es sich um Telemetriedaten wie bei uns handelt, oder um eine Produktionslinie oder ein Produkt im Markt, das ständig Informationen liefert; nutzen Sie diese Daten in Echtzeit und Sie können schnellere und präzisere Entscheidungen treffen", unterstreicht Keyworth.
Ein anderer Aspekt, den viele CIOs in seinen Augen unterschätzen, ist der Wert historischer Daten. Selbst wenn McLaren in der nächsten Saison mit einem neuen Auto zu einem Rennkurs kommt, sind die alten Daten nützlich. "Anhand dieser können wir beispielsweise errechnen, mit welchem Abtriebsniveau unser neues Auto durch eine bestimmte Kurve fahren wird, obwohl das Fahrzeug noch nie dort war", geht der Manager ins Detail. Mit Blick auf die KI rät er, alte Informationen wieder auszugraben und neu analysieren zu lassen.
Last but not least sollten CIOs noch ein Konzept in Betracht ziehen: Die Daten näher an den Ort zu bringen, an dem sie verarbeitet werden.