Donald Trump war Vorbild und Inspiration für die Rechtspopulisten Europas. Italiens Lega-Chef Matteo Salvini träumte von einer "internationalen Front" mit Trump, dem Briten Boris Johnson und anderen. AfD-Chef Jörg Meuthen bejubelte Trump, ebenso die Französin Marine Le Pen und der Ungar Viktor Orban. Trumps ehemaliger Berater Steve Bannon umwarb sie alle für eine Bewegung, die das vermeintliche "Elitenprojekt" EU bei der Europawahl 2019 stürzen sollte.
Aus der mächtigen Allianz ist nichts geworden. Und die Galionsfigur Trump erlitt bei der US-Wahl eine Niederlage. Geht nun auch den europäischen Populisten die Luft aus? Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier pochte am Montag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" auf eine Rückkehr der Vernunft und des Vertrauens in die Demokratie. Der ehemalige EU-Ratschef Donald Tusk twitterte: "Trumps Niederlage kann der Anfang vom Ende des Triumphs des Rechts-Außen-Populismus auch in Europa sein."
Tatsächlich schwächeln Salvini, Meuthen und Co. seit Monaten. Die italienische Lega ist nicht mehr in der Regierung und sackte in Umfragen von 40 auf bis zu 23 Prozent ab, in Österreich flog die FPÖ aus der Koalition mit Kanzler Sebastian Kurz und erlitt in Wien im Oktober ein Wahldebakel. Die AfD ist beschäftigt mit Grabenkämpfen.
Für einen Abgesang auf die europäische Rechte sei es dennoch zu früh, meint Christoph Trebesch vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. "Die schwächeln auf sehr hohem Niveau", sagt der Wissenschaftler, der gerade gemeinsam mit Manuel Funke und Moritz Schularick eine Studie zum historischen Auf und Ab populistischer Regierungen und deren Wirtschaftspolitik vorgelegt hat. "Es ist kein Phänomen, das schnell wieder verschwinden wird."
Populisten leiden unter Corona
Vorerst scheinen Europas populistische Parteien vor allem unter Corona zu leiden. Bei einer weltweiten YouGov-Umfrage in diesem Sommer zeigte sich in vielen Ländern ein eindeutiger Rückgang populistischer Tendenzen. Dazu zählten Deutschland, Großbritannien, Dänemark, Frankreich und Italien. Die Experten erklären den Trend mit der Pandemie, die alle Aufmerksamkeit auf sich ziehe.
Die Krise war ja die Stunde der Exekutive - der Staat ordnete an, der Staat verteilte Milliarden. Die Herrschenden und ihre Institutionen erlebten mancherorts eine wundersame Renaissance. Bundeskanzlerin Angela Merkel sah mit der CDU/CSU in Umfragen einen Aufschwung von 26 Prozent im Februar auf 35 Prozent Wähleranteil und mehr.
Zwar wuchs die Kritik an den staatlichen Eingriffen und dem Regieren per Verordnung. Nur profitierten populistische Parteien in Umfragen kaum. Ihre Themen Migration, Islamismus, Staatsskepsis standen im Schatten. Der Ansatz Kleine-Leute-Kümmerer gegen korrupte Machtelite zog wenig bei einem Virus, das alle treffen kann.
Durch die Krise im Schlingerkurs
Wo Populisten an der Macht waren, fuhren sie oft im Schlingerkurs durch die Pandemie. Nicht nur Trump lieferte eine durchwachsene Bilanz mit hohen Todeszahlen und konfuser Politik, auch sein britischer Verbündeter Johnson wirkte wie ein Getriebener. "Die Reaktion der Populisten in Indien, England, USA, Polen oder Ungarn war nicht besonders überzeugend", sagt IfW-Experte Trebesch.
Trump schnitt bei der Wahl trotzdem überraschend gut ab - aber es hat eben nicht gereicht. Damit fehlt seinen europäischen Kollegen künftig ein wichtiger Bündnispartner. Vor allem Johnson trifft das hart. Der amerikanische Noch-Präsident hat den Brexit stets gefeiert und mit einem "riesigen Handelsabkommen" zwischen USA und Großbritannien gelockt - besser als jeder Deal mit der EU. Der EU-freundliche Demokrat Joe Biden sieht Johnsons Politik weitaus skeptischer.
Trumps Niederlage werde auch die Debatte in den Medien neu ordnen, erwartet der niederländische Populismusexperte Cas Mudde, der in den USA lehrt. "Alle werden über "das Ende des Populismus" schreiben, was Themen und Parteien der Rechtsaußen aus den Nachrichten verdrängen dürfte."
Die europäische Rechte hat also eine Symbolfigur verloren, einen politischen Verbündeten im Weißen Haus, ihre Themen werden überlagert und sie verlieren womöglich die Deutungshoheit. Und trotzdem erwarten Experten, dass mit Salvini, Le Pen und Co. weiter zu rechnen ist. Warum?
Zum einen sind ihre Ur-Themen nicht verschwunden. Le Pen etwa verweist nach den Anschlägen der letzten Wochen in Frankreich wieder auf radikalen Islamismus und Einwanderung. Im Ton gibt sie sich zurückhaltender als früher, was ihr zu nützen scheint. Umfragen sehen die Rechtspopulistin in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl 2022 Kopf an Kopf mit Präsident Emmanuel Macron. Salvinis Lega ist übrigens auch mit 23 bis 25 Prozent noch stärkste Partei in Italiens Umfragen. Orban sitzt in Ungarn ohnehin fest im Sattel.
"Das Virus ist wie ein Vulkan"
Zum anderen könnte die Corona-Wirtschaftskrise den Zorn auf die traditonellen Parteien neu anfachen. "Das Virus ist wie ein Vulkan", warnt der Soziologe Matthijs Rooduijn von der Universität Amsterdam im "Guardian". "Es hat den Populismus hart getroffen, aber es wird fruchtbaren Nährboden für die Zukunft hinterlassen."
Der Kieler Forscher Trebesch sieht das genauso. Sollte die Pandemie zur sozialen und wirtschaftlichen Krise werden, "könnten die Populisten wieder Aufwind bekommen": Dann zünde die Erzählung Volk gegen Elite wieder und auch der Vorwurf, das Establishment habe versagt. "Populismus braucht einen Nährboden. Und der ist immer noch da", sagt Trebesch. Populisten böten ein Freund-Feind-Schema, ein Zugehörigkeitsgefühl, Emotionen - nicht nur politische Inhalte.
Wirtschaftspolitisch waren die 50 in seiner Studie untersuchten populistischen Präsidenten und Ministerpräsidenten seit 1900 erstaunlich erfolglos - die Wirtschaftskraft pro Kopf lag nach 15 Jahren um mehr als 10 Prozent niedriger als in Vergleichsszenarien.
Und doch zeigte sich, dass Länder, die einmal populistische Politiker an die Macht gebracht haben, dies durchaus wieder tun. Siehe zum Beispiel Italien, wo nach Silvio Berlusconi auch Salvini groß wurde. Diese "serielle Natur des Populismus" sieht Trebesch als das überraschendste Ergebnis der Studie. "Insgesamt sind Populisten Überlebenskünstler." (dpa/rs)