In den vergangenen 30 Jahren haben neue Informations- und Kommunikationstechnologien die Steuerung und das Controlling von Unternehmen fundamental verändert. Die Einführung von Standardsoftware, beispielsweise von SAP oder anderen ERP-Systemen, hat nicht nur das Berufsbild des Controllers nachhaltig geprägt, sondern auch die Zusammenarbeit und die Arbeitsteilung zwischen der internen IT und dem Controlling grundlegend determiniert.
Ein neuer, sich aktuell bereits in voller Fahrt befindender Technologieschub wird - so unsere Einschätzung - in ähnlicher Weise zu einem Paradigmenwechsel in der Unternehmenssteuerung führen. Diese digitale Transformation des Controllings wird heute schon unter den Schlagwörtern Big Data, Cloud-Lösungen oder Mobile-Device-Management diskutiert. Künftig werden neue Lösungen helfen, das Potenzial dieser Technologien systematisch zu heben und für die Business-Entscheider umfassend nutzbar zu machen. In der Konsequenz muss gleichzeitig auch das bisherige Zusammenspiel zwischen Controlling und IT neu überdacht und strukturiert werden.
Die sich ergebenden Fragestellungen sind vielfältig - sowohl für den CFO beziehungsweise den Controlling-Leiter als auch für den CIO:
Braucht man künftig überhaupt noch Controller, oder erledigt das Business das Controlling über Apps selbst?
Wird der CIO als Implementierer und Gestalter von IT-Trends wie Big Data zum eigentlichen Chefcontroller und degradiert den Controller wieder mehr zum Zahlenknecht?
Oder ist die IT umgekehrt zunehmend der Erfüllungsgehilfe des Controllings, das nunmehr Datenintegration, Standardisierung und Cloud-Lösungen vorantreibt?
Wie relevant sind diese Trends überhaupt? Über welchen Zeithorizont muss mit entsprechenden Veränderungen gerechnet werden?
Zur Beantwortung dieser Fragen wurden neben theoretisch-konzeptionellen Überlegungen durch die Autoren Interviews mit elf Konzern-Controlling-Leitern großer Unternehmen geführt sowie mehr als 400 Mitglieder des WHU-Controller-Panels befragt. Die Ergebnisse unterstreichen, dass
neue Technologietrends weitreichenden Einfluss auf die Art und Weise haben, wie Unternehmen in der Zukunft gesteuert werden;
Controller den IT-bezogenen Themen für ihre Rolle und die Unternehmenssteuerung eine hohe Bedeutung beimessen;
eine Anpassung der bestehenden Systeme notwendig und bei vielen Unternehmen bereits in der mittelfristigen Planung angedacht ist;
ein enger Schulterschluss zwischen IT und Controlling notwendig ist, um den sich abzeichnenden Paradigmenwechsel erfolgreich zu bewältigen.
Insbesondere dem letzten Punkt kommt unseres Erachtens große Bedeutung zu. Um die vielfältigen Potenziale zu nutzen, bedarf es der gemeinsamen Planung und Implementierung innovativer Lösungen durch Konzern-Controlling und interne IT. Dies bedeutet häufig aber das Aufbrechen bestehender Silos und das "Aufeinander-Zugehen".
In vielen Unternehmen mag dies bereits der Fall sein. Uns sind jedoch auch Fälle bekannt, in denen sich ein breiter Graben zwischen IT und Controlling zieht und jeder in seiner eigenen Welt arbeitet, ohne einen Blick auf die andere Seite zu wagen. Insofern zielt dieser Artikel darauf ab, primär die Controlling-Perspektive einzunehmen und damit interessierten CIO-Magazin-Lesern einige Aspekte aus der Sichtweise der "anderen Seite der Mauer" zu erläutern. Dies soll auch die Basis für gemeinsames Handeln von IT und Controlling schaffen.
Themen aus der Controlling-Perspektive
Mit dem Feld der Mobilität umschreiben wir die Entwicklung, dass über mobile Endgeräte (wie Smartphones oder Tablet-PCs) überall der Zugriff auf Controlling-Daten und Steuerungsinformationen ermöglicht wird. Dies mag auf den ersten Blick allgemein bekannt beziehungsweise trivial erscheinen, zumal wir bereits aus dem privaten Bereich gewohnt sind, dass mobile Endgeräte eine ständige Verfügbarkeit der Informationen erlauben.
Weitet man jedoch die Frage aus, wie Aufnahme und Bearbeitung von Controlling- und Steuerungsinformationen auf diesen Devices in der unternehmerischen Realität erfolgen, zeigt sich, dass nicht einfach der Schreibtisch aus dem Büro auf die Straße oder in den Flieger verlagert wird.
Um auf mobilen Devices sicher und produktiv arbeiten zu können, sind eine andere Aufbereitung der Daten und neue Bedienmodi notwendig. Innovative Applikationen für mobile Devices zur Unternehmenssteuerung erfordern ein weitaus stärkeres Maß an Visualisierung von Fakten und mehrstufige Analyse-Level.
Gleichzeitig werden eine anders gestaltete Granularität von Informationen und einfachere Verarbeitungs- und Analysemöglichkeiten auch die Art und Weise verändern, wie künftig täglich mit Informationen bei Planung, bei Kundeninteraktion und Performance-Management umgegangen wird. Damit wird auch die Kommunikation in eine Richtung verändert, die wir bisher nur aus sozialen Medien kannten.
Diesen Anforderungen nur mit kosmetischen Änderungen im Sinne eines "Aufhübschens" des Status quo zu begegnen würde zu kurz greifen. Sie müssen systemisch adressiert werden, was eine grundlegende Überarbeitung über alle Organisations-Level hinweg bedeutet.
Der Trend zu stärkerer Mobilität geht mit dem Wunsch vieler Business-Nutzer nach einem höheren Maß an Self-Service-Angeboten einher. Der eine oder andere CIO oder Controlling-Leiter dürfte schon die Erfahrung gemacht haben, dass plötzlich Konzernvorstände im Boardroom sitzen, die nicht nur die aktuellen Unternehmensdaten auf ihrem Tablet haben, sondern auf diesem auch direkt Analysen und Auswertungen fahren wollen, die bisher primär durch das Controlling erfolgt sind.
Auch hieraus ergibt sich struktureller Änderungsbedarf - sei es nun für Experten oder normale Endanwender. Erstere sind Personen, die aufgrund ihres Jobprofils gewohnt sind, auf komplexe Datenbestände zuzugreifen, diese zu analysieren und aufzubereiten. Innovative flexible IT-Lösungen erlauben nunmehr die Ad-hoc-Erstellung von Berichten, die selbstständige Festlegung von Kennzahlen oder direkte Abfragen aus entsprechenden Datenbanken. Während in der Vergangenheit die Endanwender lediglich Konsumenten der Daten waren, die das Controlling bereitgestellt hatte, entwickeln sich diese Endanwender immer stärker in den Expertenmodus hinein. Sie führen die Analysen selbst durch.
Neben der rein technischen Bereitstellung der Daten und Schaffung einer bedienungsfreundlichen Verarbeitungslogik muss in dieser neuen Welt strukturiert mit der Fragestellung umgegangen werden, wer künftig mit welchen Zugriffsrechten wie flexibel auf welche Daten zugreifen darf. Es bedarf auch der Festlegung, wer welche Daten auf jeden Fall bearbeiten und gesehen haben muss, um Blindspots für kritische Kenngrößen zu vermeiden.
Wie unsere Gespräche gezeigt haben, werden die beiden Faktoren "stärkere Mobilität" und "höheres Maß an Self-Service-Angeboten" nicht um ihrer selbst willen oder aus Interesse an der technischen Spielerei gefordert. Ein wichtiger Treiber ist der Bedarf der Business-Seite, sich schneller an die sich dynamisch verändernden Anforderungen des Geschäfts anzupassen und in Zeiten größerer Unsicherheit noch stärker fokussierte, fundierte Analysen zur Entscheidungsunterstützung heranzuziehen zu können.
Das vollständige Potenzial der ersten beiden Aspekte lässt sich insbesondere dann ausnutzen, wenn eine Echtzeitverarbeitung ("Information at the speed of thought") der Daten erfolgt. Wir verstehen darunter die Bereitstellung großer Informationsmengen ohne spürbare Verzögerung. Die Beschleunigung früher langwieriger Rechenprozesse, beispielsweise für Szenarioberechnungen, wird zum einen durch die permanente Sammlung immer größerer Datenmengen (Big Data) und zum anderen durch neue Technologien wie die In-Memory-Verarbeitung ermöglicht. Letztere nutzen den Arbeitsspeicher als Datenspeicher, wodurch sich Zugriffs- und Rechengeschwindigkeiten um Größenordnungen erhöhen. Bei Big Data geht es nicht nur um große Datenvolumen, sondern auch um eine außergewöhnliche Datenvielfalt.
Trends wie Industrie 4.0, in dessen Zuge beispielsweise vielfältige neue Sensordaten bereitgestellt werden, oder das Screening von Social-Media-Kanälen nach qualitativen Kunden-Feedbacks schaffen einen nie dagewesenen Informationsstand, der gerade bei einer Auswertung in Echtzeit vielfältige Handlungs- und Steuerungsempfehlungen geben kann. So tragen auch Advanced Analytics wie Predictive Analytics, Data Mining oder semantische Analysen dazu bei, Zusammenhänge und Muster mit dem Ziel zu entdecken, wirtschaftlichen Nutzen für das Unternehmen zu erzeugen.
Fazit: Ein enger Schulterschluss zwischen IT und Controlling ist erfolgskritisch und kann für beide Bereiche die Position als Business Partner stärken.
RESILIENCE|Call for Participation
Haben Sie als CIO, IT-Verantwortlicher oder Business Executive Ihre eigene Sicht auf das Thema Steuerung und Controlling von Unternehmen durch neue IT-Technologien? Haben Sie bereits Erfahrungen mit den neuen IT-Technologien gesammelt oder Lessons-learned, die Sie gerne mit der IT- und Controlling-Community teilen wollen? Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Weber und Leona Wiegmann (WHU - Otto Beisheim School of Management) planen zu diesem Thema ein Forschungsprojekt ("Advances in information technology: How new technologies are changing management control and the collaboration of IT and Controlling"), in dem Führungskräfte aus IT und Controlling in Interviews und einer Umfrage befragt werden.
Tragen auch Sie zum Erfolg dieses Forschungsprojektes und zum Schulterschluss von interner IT und Controlling bei, indem Sie Ihre Erfahrungen und Visionen mit uns teilen!
Weitere Informationen und den Call for Participation erhalten Sie per Mail bei: leona.wiegmann@whu.edu
wipro|Center for Business Resilience
Dipl.-Kffr. Leona Wiegmannist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Wipro-Fellow am "Wipro Center for Business Resilience" der WHU - Otto Beisheim School of Management. Als Thinktank und offene Plattform fokussiert sich das Wipro Center for Business Resilience auf Forschungsfragen zur Sicherung des langfristigen Unternehmenserfolges und des Einflusses neuer Technologien auf die Industriestrukturen sowie Unternehmensstrategien.