Mit dem ersten Lockdown im Frühjahr verfiel auch der IT-Freiberuflermarkt in eine Art Schockstarre. Kunden hielten Investitionen zurück, manche Verträge wurden ausgesetzt und viele IT-Freiberufler mussten ins Homeoffice wechseln. Doch schnell war klar, dass die neue Situation auch viele Chancen bietet. "Oft haben Freiberufler in Projekten mitgeholfen, dass Unternehmen die Umstellung auf das Homeoffice schnell und problemlos schafften. Das war für sie eine Art Sonderkonjuktur", sagt Marcel Abel, Geschäftsführer der Modis Contracting Solutions GmbH in Stuttgart, einem Dienstleister mit den Schwerpunkten IT, Engineering und Life Science.
Schnell etablierten sich die neuen Arbeitsabläufe, die meisten Freiberufler freuten sich über mehr Homeoffice. "Für mich persönlich gab es keinen Unterschied, ich bin weiterhin im Projekt geblieben und habe von zu Hause aus gearbeitet", sagt Heinrich Tenz, IT-Freiberufler mit dem Schwerpunkt SAP-Beratung. Manchen seiner Kollegen, die sich wie Tenz im Verband DBITS organisieren, ging es schlechter, weil das ein oder andere Projekt abgesagt wurde. Heinrich Tenz beobachtet, dass Themen wie SAP und Security meistens weiterliefen und Konzerne mit festen Budgets wegen der Pandemie kaum Projekte einstellten. "Kleinere Firmen halten sich zurück, in größeren Unternehmen gibt es Projektdruck und weiterhin viel Bedarf", so das Resümee von Tenz.
Ähnlich sieht es auch Ertan Demirel, Geschäftsführer von GULP in München. Auch dort beeinflusste die Pandemie kaum die Laufzeit von Projekten. "Ich war positiv überrascht. Große Firmen haben eine Erwartungshaltung und Budgets, da gab es kaum Anpassungen", erinnert sich Demirel. Allerdings sei mehr Flexibilität und Kreativität seitens der Freiberufler notwendig, damit die Projekte auf Distanz gut laufen. Neue Aufträge akquirierte GULP in ähnlichem Umfang, auch wenn jetzt Firmen im Pharma- und Medizinumfeld mehr Freiberufler anfragten, während Tourismus- und Automotive-Unternehmen sich stärker zurückhielten. Dagegen laufen auch bei GULP Projekte für Themen wie Security, SAP und Standard-Software ähnlich gut weiter.
Kai Becker von Hays in München erlebte eine ähnliche Entwicklung. "Manche Projekte wurden hinterfragt, manche Budgets gestoppt", so Bereichsleiter Becker. Die Pandemie brachte aber auch neue Anfragen, denn Firmen suchten vermehrt Freiberufler für die App-Entwicklung, Cloud oder im Collaboration-Umfeld. "Durch die Umstellung auf Remote gab es für diese Themen einen Schub", sagt Becker. Und noch etwas beobachtet der Hays-Mann, nämlich, dass Kunden und Freiberufler näher zusammenrückten. Die flexible Arbeitsweise kam vielen IT-Freiberuflern entgegen.
Forderten viele Firmen in der Vergangenheit eine strikte Anwesenheitspflicht und sahen Homeoffice sehr skeptisch, mussten sie im Frühjahr 2020 schnell ihre Vorurteile über Bord werfen und auch die eigenen Mitarbeiter zum Arbeiten nach Hause schicken. "Freiberufler haben den Firmen geholfen, schnell auf eine virtuelle Arbeitsweise umzustellen", sagt Becker. Trotz Remote-Quoten von mehr als 90 Prozent lief die Umstellung überwiegend reibungslos.
Freiberufler und Kunden rücken näher zusammen
Seit einem Jahr verunsichert die Pandemie Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen. Das veränderte auch die Zusammenarbeit. "In den vergangenen Monaten rückten Freiberufler, Kunden und Agenturen enger zusammen und ziehen wieder stärker an einem Strang. Das tut der Branche gut", konstatiert Becker. Weil anfangs unklar war, wie sich die Auftragslage weiterentwickelt, strengten sich alle mehr an, beobachtet auch Florian Spelz, Leiter Geschäftsfeld Freelance von FERCHAU: "Mehr Freelancer kamen auf uns zu und auch die Rückmeldequoten auf digitale Projektausschreibungen haben sich stark erhöht.
Dies ist mit Sicherheit auf die niedrigere Auslastung und vermehrte Verfügbarkeit der Freelancer zurückzuführen. Der generelle Austausch mit unseren Freelancern hat sich in der Zeit noch einmal intensiviert und verbessert." Auch wenn es in den Projekten knirscht und sich Konflikte andeuten, suchten alle schneller das Gespräch, so Spelz. Kurzfristig anberaumte Videocalls mit allen Parteien hülfen, eine potenzielle Eskalation zu vermeiden. "Diese ersetzen nun häufig die Gespräche vor Ort und beschleunigen eine Lösungsfindung", sagt Spelz.
Ganz so euphorisch wie die Dienstleister und Projekt-Vermittler sieht Freiberufler Heinrich Tenz die neue, virtuelle Arbeitswelt nicht. Zwar weiß es der SAP-Spezialist zu schätzen, dass er in seinem aktuellen Projekt nicht die ganze Zeit beim Kunden in Darmstadt sein muss, sondern die meiste Zeit in seinem eigenen Büro in der Nähe von Berlin arbeiten kann. Doch den Kuschelkurs zwischen Kunden und Freiberuflern kann Tenz nicht bestätigen. "Wir sind die Engagierten, wir bemühen uns schon immer um Nähe und Austausch.
Ich habe es nicht erlebt, dass wir Freiberufler jetzt näher mit unseren Kunden zusammengewachsen wären", sagt Tenz. Im Gegenteil. Wenn Freiberufler ganz von zu Hause aus arbeiten, fehle ihnen der informelle Austausch in der Kaffeeküche, das Gespräch mit den Projektkollegen in der Kantine und auch Gerüchte erreichen sie seltener.
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Videocall kann Smalltalk nicht ersetzen
Die neue, flexible Arbeitswelt erlaubt es zwar, schneller Besprechungen per Video anzusetzen, doch viele mussten erst lernen, sich zu Hause eine Umgebung für das konzentrierte Arbeiten zu schaffen. Auch Selbstverständliches wird schwieriger, etwa schnell etwas telefonisch abzusprechen. "Es ist einfacher, Gesprächstermine mit Kunden per Video zu vereinbaren", sagt Marcel Abel von Modis, doch der Familienvater kämpft wie viele Eltern im Homeoffice damit, gleichzeitig den Nachwuchs zu betreuen. "Zu Hause gibt es mehr Unterbrechungen. Für viele war es ein Lernprozess, remote zu arbeiten, auch für mich", erinnert sich Abel.
Startet ein Projekt komplett virtuell, gestalte sich die Zusammenarbeit oft schwieriger, so Tenz. "Ich habe beim Kunden angefangen und musste eine Woche später ganz ins Homeoffice wechseln. Da ist das Onboarding schwierig. Vieles lässt sich nicht wie sonst ganz nebenbei mit den Kollegen im Unternehmen klären. Jetzt muss ich die Leute direkt ansprechen und ein Video-Meeting vereinbaren. Ähnliche Erfahrungen haben auch andere Freiberufler-Kollegen gemacht", sagt Tenz. Während sonst Absprachen ganz nebenbei laufen, müssten Besprechungen im Homeoffice aufwendiger geplant werden.
Grundsätzlich funktionierte im Frühjahr 2020 die Umstellung auf Homeoffice gut, so die Beobachtung von Ertan Demirel. Auch GULP-Mann Demirel beobachtet, dass Kunden per Telefon schlechter erreichbar sind. "Aber es gibt viele andere Kanäle, die wir für die Zusammenarbeit nutzen, etwa Business-Netzwerke, Videokonferenzen oder virtuelle Kaffeeküchen. Das funktioniert ganz gut."
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Bewegung bei den Freelancer-Honoraren
Verändert haben sich auch die Honorare. Ziemlich schnell fragten Kunden nach neuen Tarifen, denn wenn Freiberufler seltener reisen oder im Hotel übernachten, fallen auch weniger Spesen an, so deren Kalkül. Unterschiedliche Honorare gab es zwar schon vor Corona, doch jetzt ist der Druck gestiegen. Freiberufler Heinrich Tenz gibt aber zu bedenken, dass die Vergütung immer Verhandlungssache sei und IT-Freelancer als selbstständige Unternehmer keine unterschiedlichen Honorarsätze akzeptieren müssten. "Ich selbst habe solche Sätze auch schon abgelehnt.
Es kommt immer auf die Situation an", sagt Tenz. Auch mit GULP verhandelten einige Auftraggeber Honorare neu. "Einige Kunden fragten nach Remote-Stundensätzen, die wir in Absprache mit den Freelancern auch meistens gewähren konnten, denn es profitieren beide Seiten davon", sagt Ertan Demirel und fügt hinzu: "Zum Glück gab es aber seitens der Kunden keinen 'Überfall' auf die Freiberufler, um Preise zu verhandeln, sondern wir haben das je nach Situation pragmatisch gelöst."
Auch Alexander Raschke, Vorstand bei Etengo, beobachtet, dass sich Stundensätze unterschiedlich entwickeln. "Wir unterscheiden zwischen einer kurzfristigen und langfristigen Perspektive. In den vergangenen Monaten haben wir festgestellt, dass sich die Stundensätze aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie tendenziell reduzieren. Langfristig betrachtet bestimmen aber Verfügbarkeit und Nachfrage den Verrechnungssatz. Entscheidend ist deshalb nicht, ob ein Freiberufler vor Ort oder remote für den Kunden arbeitet, sondern seine Skills."
Leben auf dem Land – bald die Regel?
Für Kai Becker von Hays bringt ein hybrides Arbeitsmodell noch einen anderen Vorteil: "Gerade wer als Freiberufler für Kunden in einer Metropolregion wie München, Frankfurt, Hamburg oder Berlin arbeitet, dort eine teure Unterkunft braucht und viel für die Lebenshaltungskosten ausgeben muss, freut sich über mehr Homeoffice", sagt Becker. In den USA entwickelt sich das bereits zum Trend. Dort verlassen Freelancer scharenweise Kalifornien und das Silicon Valley und ziehen in die Provinz. Für gelegentliche Projekttreffen fliegen sie dann zum Auftraggeber. "Ob bei uns auch viele aus den Großstädten aufs Land ziehen, lässt sich noch nicht sagen." Becker hofft, dass in Zukunft mehr Mittelständler Projekte an Freiberufler vergeben, wenn auch dort flexibles Arbeiten beliebter geworden ist.
Florian Spelz von Ferchau weiß, dass mittelständischen Firmen Freiberufler noch aus einem anderen Grund gerne vor Ort beschäftigen. "Nicht weil sie sie kontrollieren, sondern weil sie wieder stärker vom Austausch mit den Beratern profitieren wollen." Das hybride Arbeitsmodell mit Homeoffice-Anteilen bleibe aber erhalten, davon ist Spelz überzeugt. Denn gerade für Väter und Mütter bietet es Vorteile: "Jeder, der Kinder hat und mit der Betreuung kämpft, schätzt familienfreundliche und flexible Arbeitsmodelle." Auch aus einem anderen Grund möchte Spelz nicht ganz auf Remote umsteigen. In einem Projekt komme es auch auf die persönliche Bindung an. Wenn das komplett wegfalle, werde es auch leichter, den Dienstleister zu wechseln, so sein Eindruck.
Scheinselbständigkeit bleibt heikles Thema
Immer wieder beschäftigt Freiberufler und Dienstleister auch das Thema Scheinselbständigkeit. "Bei Konzernen und großen Unternehmen ist das immer ein Thema und sie haben schon länger ein Auge darauf", sagt Spelz und fügt hinzu: "Viele große Firmen bevorzugen das Schweizer Modell der temporären Arbeitnehmerüberlassung." In diesem Fall sind die Freiberufler befristet oder auch unbefristet beim Dienstleister angestellt und werden nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in den Firmen eingesetzt. Damit minimiert sich das Risiko der Scheinselbstständigkeit für Auftraggeber und sie vermeiden Probleme mit den Sozial- und Rentenversicherungsträgern.
Marcel Abel von Modis sieht in den neuen Arbeitsmodellen und mehr Homeoffice auch eine Chance, die Diskussionen über Scheinselbständigkeit zu beenden. "Wenn Zeit und Ort der Arbeit wählbar sind und Freiberufler flexibler in die Unternehmen eingebunden werden, dann verändert das auch die Diskussion in Politik und auf Kundenseite", so hofft er. Wer bisher wegen drohender Sanktionen nicht mit Freiberuflern zusammenarbeiten wollte, fasse jetzt neuen Mut, hofft Abel.
Auch wenn Lockdown und Pandemie den Freiberuflermarkt ordentlich durcheinandergewirbelt haben, brachten die Veränderungen auch neuen Schwung und lösten verkrustete Strukturen auf. Flexible Arbeitsformen schafften in den vergangenen Monaten mehr Freiraum, den die wenigsten wieder ganz aufgeben möchten.
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