Soziale Netzwerke

Was Google+ besser macht als Facebook

13.09.2011 von Stefan von Gagern
Mit Google Plus bläst der Suchmaschinengigant zum finalen Angriff auf Facebook. Wir lassen den neuen Rivalen gegen den Social-Media-König und andere antreten.

Bisher hat Google in Sachen soziale Netze eigentlich nur Pleiten erlebt. Die hauseigene Twitter-Kopie Buzz gibt es zwar noch, dümpelt aber vor sich hin. Dem als Revolution angepriesenen Allround-Netzwerk Wave hat seine Undurchsichtigkeit den schnellen Tod beschert.

Dem Social-Boom kann Google trotzdem nicht tatenlos zusehen. Immer mehr Mitglieder und Inhalte wandern vom offenen Web zu Facebook und Twitter - und damit viel Information über die Mitglieder und ihre Interessen, für die sich dann gezielt Werbung verkaufen lässt. Also muss eine eigene Plattform her, bevor der Zug in Richtung Facebook endgültig abgefahren ist.

So wurde mit Google Plus (oder kurz Google+) vor wenigen Wochen der Angriff gestartet. Aus dem Fehler mit Buzz hat Google gelernt. Nur ein erfolgreiches Konzept zu kopieren bewegt keinen Nutzer zum Wechsel oder gewinnt keine Neumitglieder. Der neue Rivale muss auch einiges besser machen als Platzhirsch Facebook.

So wurde Andy Hertzfeld, ein prominenter Interface-Designer und Ex-Mitglied von Apples Macintosh-Team, für die Gestaltung der neuen Oberfläche verpflichtet. Google Plus sieht deutlich aufgeräumter und moderner als die über die Jahre mit immer mehr Erweiterungen vollgepfropfte Facebook-Oberfläche aus. Zudem setzte das Entwicklerteam den Hebel beim Datenschutz an, für dessen Mängel Facebook oft zu Recht Kritik kassiert.

Auf Google Plus soll der User nur das teilen, was er teilen möchte und dabei genau steuern können, mit wem die Inhalte teilt. Facebook verlangt dafür seinen Nutzern nicht nur häufiges Eingreifen in die Privatsphäre-Einstellungen ab, sondern auch Wachsamkeit, da Facebook oft die Regeln ändert oder neue Funktionen wie eine Gesichtserkennungssoftware für Fotos einführt. Wer nicht ständig auf der Hut ist, weiß also nie genau, was Facebook mit seinen Daten alles treibt - ein Zustand, der bei vielen nicht nur leichte Paranoia auslöst, sondern sie oft nur noch passiv agieren lässt.

Viele sind so abgeschreckt, dass sie Facebook komplett verweigern oder aussteigen. Aber sogar das endgültige und vollständige Löschen eines Accounts und aller Daten bei Facebook ist nicht leicht. Auch Kenner kommen nicht drum herum, gewisse Daten für alle sichtbar zu machen.

Google macht sich diese Schwächen zunutze und bemüht sich von Anfang an darum, einen transparenten und vertrauenswürdigen Eindruck zu erwecken. Die Sichtbarkeit von Profildaten lässt sich zum Beispiel exakt steuern. Es ist sogar möglich, bei Google Plus seine gespeicherten Daten, zum Beispiel alle Kontakte oder Picasa-Webalben, komplett herunterzuladen.

Traumstart von Google+

Nur zwei Wochen nach dem Launch hat Google Plus schon die 20-Millionen-Mitglieder-Marke geknackt - das haben weder Facebook noch Twitter geschafft, und das, obwohl sich die neue Plattform noch in einem exklusiven öffentlichen Betastatus befindet. Auch jetzt ist noch eine Einladung eines anderen Mitglieds notwendig, um sich anmelden zu können. Zwischendurch hatte Google schon einmal die Schleusen für die Allgemeinheit geöffnet, der Ansturm zwang aber die Google-Server in die Knie, woraufhin das Einladungsmodell wieder reaktiviert wurde. Es dürfte aber nur eine Frage von Wochen oder Monaten sein, bis alle mitmachen können.

Starthilfe für Google+

Den Unterschied zwischen Facebook und Google und die Grundfunktionen erklärt sehr anschaulich der Google Plus Guide, die der Webdesigner Saidur Hossain aus Los Angeles, eigentlich nur für seine Freunde, die von Facebook kommen, zusammengestellt hat. Die 49 Folien haben sich rasend im Web verbreitet. Jetzt gibt es sie auch auf Deutsch und als bequem ablaufendes Video.

Google+ fürs iPhone.

Trotz des Traumstarts: Google Plus ist noch Lichtjahre von den über 700 Millionen Facebook-Mitgliedern entfernt. Und die Leute zum Reinschauen zu bewegen ist eine Sache, sie zu regelmäßigen und aktiven Nutzern zu machen eine andere. Aber Facebook hat auch Jahre gebraucht, um das zu werden, was es heute ist. Google Plus zeigt im Moment sicher noch nicht alles, was es drauf hat und bald können wird. Dennoch: Für viele stellt sich schon zum Start die Frage, ob Google Plus genug bietet, um ein- oder umzusteigen, daher ein Vergleich des Ist-Zustands zwischen den beiden Plattformen.

Im Google-Universum

Schon die Anmeldung klappt schnell und einfach. Der Besucher nutzt auf plus.google.com entweder sein bestehendes Google-Konto oder legt sich in wenigen Minuten ein neues an. Das eigentliche soziale Netz ist in Googles schon bekannte Dienste geschickt eingebettet - ein Vorteil, den Facebook nicht zu bieten hat und auch nicht einfach kopieren kann. Die bewährten Services Google Mail, Kalender, Dokumente, Picasa-Fotos, Reader und natürlich die Websuchdienste sind bei Google Plus dank der Werkzeugleiste am oberen Rand lediglich einen Klick entfernt und nicht nur stets griffbereit: Mit der Google-Plattform ist das Hin- und Herspringen zwischen sozialem Netz, E-Mail und Kalender Vergangenheit. Alle Neuigkeiten sind für Google-Nutzer unter einem Hut und in jedem Webbrowser bereit.

Nur eine Facebook-Kopie?

Auf den ersten Blick sieht Google Plus wie eine 1?:?1-Kopie von Facebook aus. Das hat den Vorteil, dass sich alte Facebook-Hasen schnell zurechtfinden. Bekannte Elemente, wie Facebooks "Neueste Meldungen" oder "Hauptmeldungen", werden in einem Feed angezeigt, der bei Google Plus "Stream" heißt. Dort sind die neuesten Statusmeldungen, Fotos, Links oder Videos von den Kontakten untereinander aufgelistet.

Erste gravierende Unterschiede zeigen sich beim Aufbau der Kontakte: Facebook-Mitglieder verschicken Freundschaftsanfragen, die der Empfänger erst bestätigen muss, bevor es zur virtuellen Freundschaft kommt. Dadurch entsteht ungewollt Druck: Was tun, wenn der ungeliebte Chef, der Kunde, der Kollege oder ein Verwandter mein Freund sein möchte? Viele trauen sich nicht, die Anfrage zu ignorieren, und wissen auch nicht, dass es möglich ist, solche falschen Freunde später unauffällig wieder loszuwerden. Somit entstehen Facebook-Profile, deren Besitzer gehemmt sind, noch etwas Privates von sich preiszugeben.

Kreise in Google+: Freund oder nur Bekannter?

Google Plus orientiert sich an der Realität und sieht Freunde weniger allgemein. Auch im richtigen Leben gibt es enge Freunde, Familie, Bekannte, Kollegen, alte Schulfreunde, Geschäftspartner und vieles mehr. Dazu kommt noch, dass ein Bekannter oder Kollege mit der Zeit auch zu einem engen Freund werden kann. Freundeskreise sind also nichts Unveränderliches, sondern ständig im Wandel. Die "Circles"- oder, seit Kurzem eingedeutscht, "Kreise"-Funktion in Google Plus bildet dies simpel ab.

Google+: Personen in den Kreisen.

Beziehungen können in Kreisen organisiert und abgebildet werden. Im Gegensatz zu den zwar Ähnliches leistenden Freundeslisten auf Facebook gelingt das Anlegen und Verwalten ganz leicht: Der User legt beliebig benannte Kreise an und ordnet per Drag-and-drop die Kontakte den Kreisen zu. Auch das Verschieben eines Freundes von einem Kreis in den anderen klappt einfach und intuitiv. Beim Veröffentlichen von Inhalten sind die Kreise so prominent platziert, dass man sie kaum übersehen kann. So bleibt auf Google Plus deutlich besser unter Kontrolle, was für wen sichtbar wird. Facebook macht eigentlich fast das Gleiche mit Freundeslisten möglich. Aber nicht nur weniger elegant - wer die Funktion nicht findet und sie mit Privatsphäre-Einstellungen kombiniert, veröffentlicht erst mal alles für alle.

Auch das Lesen unterteilt sich in Google Plus nach Freundeskreisen. Neben dem Stream, der alles vereinigt, lassen sich Inhalte mit der Hauptnavigation nur aus einzelnen Kreisen verfolgen. So bekommt man die Inhalte von privaten Kreisen, Sportfans, Geschäftliches oder den Familientratsch getrennt serviert. Eine ähnliche Funktion gibt es zwar mit Gruppen auf Facebook. Jedoch sind Gruppen eher ein auf Facebook später aufgepropfter Foren-Ersatz, während Kreise einen Grundstein der ganzen Idee hinter Google Plus darstellt.

Der große Vorteil bei Google Plus ist aber das einfache Vernetzen: Hier hat man sich bei Twitter bedient. Statt die User zu Freundschaftsanfragen und -bestätigungen zu zwingen, ist der Plus-Anwender ruck, zuck gut vernetzt. Zum Verfolgen der Inhalte reicht es, Freunde in Kreise aufzunehmen. Der Aufgenommene erfährt auch, von wem er hinzugefügt wurde, aber nicht, ob der Kreis, in dem er steckt, jetzt "Beste Kumpels" oder "Kollegen" heißt. So behält man die Kontrolle über die Vernetzung, die Details bleiben aber anonym.

Tipp zu Kreisen

Bei manchen Personen fällt das Zuordnen zu Kreisen schwer. Passen Sie besser in "Enge Freunde", "Familie", "Job" oder "Sportverein"? Einige gehören eigentlich in mehrere Kreise. Sie müssen sich auch nicht mit schweren Entscheidungen abmühen: Eine Person kann in Google Plus mehreren Kreisen zugeordnet werden.

Google Plus schlägt schon zielsicher Personen vor, die man kennen könnte. Der Rest findet sich schnell per Suche. Nichtmitglieder lassen sich per E-Mail einladen. So ist das virtuelle Freundesnetz in wenigen Tagen aufgebaut, und es dauert nicht so lange, bis richtig etwas im Netzwerk los ist.

News, Fotos, Chats

Mit Sparks integriert Google seinen erfolgreichen Suchalgorithmus direkt in sein soziales Netz. Mitglieder können Suchbegriffe eingeben oder sich mit Vorschlägen schnell ein Interessenprofil anlegen. Sparks fischt bei jedem Besuch passende Artikel zu dem Thema und präsentiert sie als Ausschnitte, die sich mit einem Klick auf "Teilen" weiterempfehlen lassen.

Auch Videos werden passend zu den Interessen gefunden. Facebook-User müssen ständig zwischen Web und dem sozialen Netz hin- und herwechseln, außer sie teilen Inhalte direkt aus Facebook. Bei Fotos setzt Google Plus auf seine schon bewährten Dienst Picasa. Die Fotoalben sind übersichtlich, leicht kommentier- und navigierbar, und in Fotos markierte Personen werden automatisch benachrichtigt. Aus dem Aufschrei über die Gesichtserkennungssoftware, mit der Facebook automatisch Fotos von Mitgliedern markiert, hat Google gelernt und davon die Finger gelassen.

Eine Chatfunktion gibt es schon lange bei Facebook, um mit anderen Mitglieder sofort loszuplaudern, Google Plus legt hier noch einen drauf und macht das Zusammenstellen von Gruppenchats mit mehreren Mitgliedern einfach und schnell möglich. Auch unterwegs: Zunächst nur für Android verfügbar, doch mit der iPhone-App wird der Gruppenchat auch auf iOS-Geräten möglich.

Google will seinen Mitgliedern das Verabreden per SMS mit Freunden einfacher machen. Die Hangouts-Funktion macht spontane Gruppentreffen per Videokonferenz möglich - jedoch momentan nur auf dem Desktop, denn für den Start eines Hangouts muss der User auf Flash basierende Plug-ins in seinen Browser installieren.

Es hat nicht lange gedauert, bis Facebook mit einem Videochat nachzog. Facebook wird sich auch kaum genieren, andere Verbesserungen in Google Plus wie die Kreise einfach zu kopieren, wie es zum Beispiel schon mit Facebook Places Ortsdienste wie Gowalla oder Foursquare einfach abgekupfert und integriert hat. Aber warum auch nicht? Schließlich hat sich Google Plus auch kräftig bei den Ideen von Facebook und anderen Diensten bedient.

Was fehlt noch bei Google+?

Firmenauftritte und Produktseiten fehlen noch komplett auf Google Plus. Es bleibt offen, wann und wie auch Marken, Produkte und Firmen Präsenzen starten und mit ihren Kunden kommunizieren können. Ebenso fehlt die praktische und sehr beliebte Fragenfunktion, mit der sich Blitzumfragen unter Freunden oder in der ganzen Gemeinde starten lassen.

Facebook ist zudem eine Plattform, die Entwickler mit eigenen Apps um Funktionen erweitern können. Seit dem Start der Apps vor einigen Jahren gibt es massig Exemplare, die viele lieben, zum Beispiel Spiele mit Suchtpotenzial à la Farmville. Für viele sind die Apps - die man auch nicht ganz leicht wieder loswird - zum Ärgernis geworden, wenn die tausendste Meldung über eine geschenkte Pflanze vom Farmville-Nachbarn als Nachricht eintrifft.

Die Apps-Plattform hat aber auch offene Schnittstellen beschert, die sehr praktisch sein können: So kann man sich auf vielen anderen Webservices inzwischen mit seinen Facebook-Zugangsdaten einloggen und die Dienste verbinden. Aus iPad-Apps lassen sich Rekorde auf Facebook veröffentlichen, aus iPhoto auf dem Mac Fotos direkt in Facebook-Alben laden. Sehr praktisch. Auch in Sachen Apps ist bei Google Plus derzeit noch nichts Konkretes in Sicht, auch wenn schon erste Gerüchte auftauchen, dass man hier bald nachlegen wird. Auf der Habenseite hat Google allerdings nicht nur seine Suchmaschine, sondern auch eine ganze Plattform aus Webdiensten wie Google Docs, die es nicht umsonst eng integriert hat.

Google Plus mixt geschickt die Stärken von Facebook, Twitter und Skype und verpackt sie in eine elegante, aufgeräumte Oberfläche, die Facebook im Vergleich ganz schön alt aussehen lässt. Aber reicht das? Inzwischen ist Facebook längst nicht mehr nur ein soziales Netzwerk, sondern ein riesiges Ökosystem aus Apps, Firmenangeboten und verknüpften Diensten. Da wird es schwer für Google Plus aufzuholen.

Aber egal, wie das Rennen ausgehen wird: Es ist gut, dass der Marktführer Konkurrenz bekommt, denn die macht auch Facebook besser. Und Google Plus zu testen lohnt sich für jeden: Social-Media-Muffel fühlen sich mit ihren Daten hier besser aufgehoben, Faceook-Nutzer sollten Google Plus als Ergänzung oder Alternative antesten. (Macwelt)