Da ist es wieder, eins von diesen Buzzwords, von denen alle sprechen, aber die wenigsten wissen, wofür es konkret steht. Dem Autor dieser Zeilen, das sei gleich freimütig eingeräumt, ging vor dem Start der Recherche nicht anders. Design Thinking …, Design Thinking, das war doch … das ist doch …
Nun ja. Also erstmal googeln, danach ist man meistens ja schon schlauer. In diesem Fall stimmt das allerdings nicht wirklich. Denn statt Erläuterungen wirft die Suchmaschine oben eine ganze Liste mit Anzeigen von Design Service Workshops und ihren Anbietern aus. Motto (Zitat): "Wir zeigen, wie es geht."
Das ist zwar nett von den Werbenden, aber vorher wüssten wir trotzdem gerne, was das ist, Design Thinking. Wie sonst können wir entscheiden, ob wir es brauchen?
Erklärvideos
Also weiter zu Youtube, da gibt es doch immer so hübsche Erklärvideos, Vorträge etc. pp. Das ist auch beim Thema Design Thinking so, es gibt Mitschnitte von Seminaren, graphisch aufwändig produzierte Zeichentrickfilme in zum Teil - für dieses Format - epischer Länge von bis zu zwölf Minuten. Das Problem: Einer dieser Clips ist langatmiger beziehungsweise unverständlicher als der nächste … Rühmliche Ausnahme: Das mit einer Minute und 50 Sekunden deutlich kürzeste Video von allen:
Warum guter Code nicht alles ist
Entscheidender Satz darin: "Design Thinking ist erfolgreich, weil es sich um die Bedürfnisse des Users kümmert."
Wer diese User sind, hängt natürlich davon ab, von welchem Produkt die Rede ist, was man designen möchte. Am häufigsten angewandt wird Design Thinkingbisher in der Software-Entwicklung, weil hier nach Ansicht von Experten in punkto Designqualität die meiste Luft nach oben ist.
Einer dieser Experten ist Daniel Jackson, Professor für Informatik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, der sich seit über 25 Jahren mit Software beschäftigt und CIO.de in einem ausführlichen Gespräch spannende Einblicke gegeben hat in die Chancen, die mit Design Thinking verbunden sind.
Und warum es so wichtig ist: "Wenn wir über Software Design diskutieren - und wir tun dies seit 50 Jahren - dann geht es dabei bisher immer um die Qualität des Codes. Die ist natürlich wichtig, weil schlechter Code Software schwergängig macht und unzuverlässig. Das Problem ist nur, dass guter Code sie auf der anderen Seite nicht notwendigerweise nutzerfreundlich macht. Dazu gehört mehr."
Grenzen zwischen Nutzbarkeit und Schönheit weichen auf
In der Tat: Bis vor wenigen Jahren genügte es, wenn Software einigermaßen funktionsfähig und ausreichend schnell war, heute erwarten wir vor allem: Usability sprich Nutzerfreundlichkeit. Ein Programm muss nicht nur funktionsfähig, sondern auch schnell zu verstehen, leicht zu bedienen und idealerweise in (zumindest optisch) gleicher Form über unterschiedliche Plattformen nutzbar sein.
Erreichbar ist all das am besten, wenn diese Anforderungen Teil des Entwicklungsprozesses sind, eingepflanzt in die DNA des Programms. Womit wir wieder bei Design Thinking sind. Vereinfacht gesagt geht es dabei darum, die Herangehensweise klassischen Produktdesigns auf die Entwicklung von Software zu übertragen.
Daniel Jackson: "Alltägliche Produkte wie Stühle müssen natürlich praktisch, aber immer auch schön sein. Und das gilt für Software heute in gewissem Sinne auch, vor allem weil die Grenzen zwischen Nutzbarkeit und Schönheit immer mehr aufweichen."
Apple erfolgreich wegen Design
Bestes Beispiel ist vielleicht Apple: Der Erfolg des Unternehmens rührte von Beginn an auch daher, dass sich die Produkte im Design und vor allem an jenen Stellen von anderen unterschieden, an denen Look und Feel (im Sinne von Funktion) verschwimmen: Jahrelang tanzten Fotos und Webseiten auf dem iPhone deutlich schneller und geschmeidiger über den Bildschirm als auf allen anderen Smartphones.
Viele passionierte iPhone-Nutzer preisen bis heute bestimmte Funktionen ihres Telefons als herausragend und einzigartig und wissen nicht, dass die Geräte anderer Hersteller mittlerweile bei so ziemlich allen Qualitäten nachgezogen haben. Gutes Design führt eben zu hoher Produktzufriedenheit.
Ansprüche der Anwender an Software steigen
Dabei stehen Entwickler vor dem Problem, dass die Ansprüche an Software weiter steigen: Anwendungen sollen eine elegante, leicht zu bedienende und schnell zu verstehende Oberfläche haben und zugleich unzählige, immer komplexere Aufgaben bewältigen.
Bis vor einigen Jahren haben sich um diese Aufgaben ausschließlich Profis gekümmert, Flug- und Hotelbuchungsplattformen zum Beispiel bedienten nur Angestellte von Reisebüros. Heute suchen wir uns selbst im Internet den günstigsten Flug oder das beste Hotel.
Entsprechend nutzerfreundlich muss alles sein, besonders weil solche Plattformen Monat für Monat mit zusätzlichen Funktionen fertig werden müssen: Wer fliegt, braucht eine Versicherung, nach der Landung einen Mietwagen und am Ende soll er natürlich alles detailliert bewerten.
Aus Perspektive der Nutzers entwickeln
Wirklich nutzerfreundlich wird eine solche Anwendung nur dann, wenn sie von Beginn an aus der Perspektive des Nutzers entwickelt wurde, wenn sich der Hersteller konsequent in den Anwender hineinversetzt und weiß, welche Erwartungen er hat, wenn er die Anwendung beispielsweise auf seinem Smartphone in Händen hält. Es geht darum, einen Service zu designen und kein Produkt.
Denn die Software muss intuitiv und unkompliziert ohne das Lesen einer Bedienungsanleitung funktionieren, so viel ist klar. Aber zu wissen, wie sich der User en Detail beim ersten Kontakt mit einer Anwendung verhält, was er wie versucht, ist im Vorfeld kaum möglich, weil dies der Nutzer ja zunächst selbst nicht weiß.
Desing Thinking widerspricht traditionellem Ansatz
Und deshalb können die Programmierer auch nicht genau wissen, wie sich ihre Software in der Hand des Users verhält. Dennoch müssen sie ein Produkt kreieren, mit dem der Kunde am Ende glücklich ist.
Um das zu erreichen, bedient sich Design Thinking eines Ansatzes, der der traditionellen Herangehensweise diametral widerspricht. MIT-Professor Daniel Jackson: "Beim klassischen Ansatz ging es im Wesentlichen um Feasibility, um die Realisierbarkeit bestimmter Funktionen. Die Entwickler waren glücklich, wenn eine Software die gewünschten Fähigkeiten hatte. Die Frage, ob der Anwender damit dann auch umgehen kann, war zunächst zweitrangig."
Warum das Uber-Taxi nicht kam
Was dabei herauskommt, dazu fallen jedem schnell Beispiele ein. Daniel Jackson nennt den Taxidienst Uber: "Vor einiger Zeit wollte ich ein Uber Cab buchen. Ich habe nicht gewundert, dass das Auto nicht kam, bis ich feststellte, dass ich bei der Eingabe Start und Ziel verwechselt hatte. Das eine ist grün und das andere rot. Die Farben sind verwirrend, weil keine nachvollziehbarere Logik dahinter steckt. Warum ist das Ziel rot und der Start grün? Oder war es umgekehrt?"
Mit Design Thinking ließe sich eine solche Schwäche vermutlich vermeiden, weil man als erstes eine Persona kreieren würde, einen Benutzer, und sich dann fragen, was er braucht, wie er mit der Anwendung umgeht, welche Kenntnisse und Fähigkeiten er vielleicht hat.
Dem User ist die Technologie egal
Daniel Jackson: "Es ist ganz wichtig, die Programmierung bestimmter Funktionen von der des Verhaltens der Software zu trennen. Denn dem User ist die Technologie hinter der Anwendung völlig egal."
Manche Konzepte kommen bei Anwendern gut an, manche schlecht. Wir brauchen einen theoretischen Unterbau und nicht bloß Anwendertest, um genau zu verstehen, warum ein Konzept funktioniert und ein anderes nicht.
Zu diesem Verständnis trägt zum Beispiel der Bau von Prototypen bei - auch aus Papier - um mit ihrer Hilfe unterschiedliche Verhaltensweisen beim Bedienen der Software zu modellieren und anschließend das Design so zu gestalten, das die fertige Anwendung auch mit unerwarteten Herangehensweisen von Usern klarkommt.
Design Thinking ist kein Allheilmittel
Daniel Jackson vom MIT ist allerdings die Feststellung wichtig, dass Design Thinking kein Allheilmittel ist und sich auch nicht für jede Art von Entwicklung eignet.
Bei der Unternehmensberatung Accenture, die Design Thinking-Prozess in viertägigen Seminaren lehrt und dabei auch von Daniel Jackson unterstützt wird, hat man außerdem die Erfahrung gemacht, dass sie Mitarbeiter mit der Idee unterschiedlich leicht tun. Jüngere, die zum Beispiel von Kindesbeinen an Smartphones umgegangen sind, sind mit der Logik sehr schnell vertraut, Ältere dagegen weniger.
Accenture bildet seit mehreren Jahren Berater und Entwickler in Design Thinking aus. Im deutschsprachigen Raum hat das Unternehmen eigenen Angaben zufolge in den vergangenen Jahren mehrere hundert Mitarbeiter in Design Thinking-Methoden geschult.
CIOs müssen die Perspektive wechseln
Und welche Bedeutung hat Design Thinking für CIOs und IT-Abteilungen? Frank Mang, Managing Director bei Accenture: "Viele CIOs müssen mit ansehen, dass Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, weil ihnen die Anwendungen, mit denen sie arbeiten müssen, zu sperrig und zu altmodisch sind. Vieles, was diese Mitarbeiter privat nutzen, ist eben praktischer und eleganter, und aus diesen Erfahrungen leiten sie zurecht ihre Erwartungen auch an den Arbeitsplatz ab."
Deshalb müssen sich nach Ansicht von Frank Mang auch CIOs in die Situation und in das Verhalten ihrer Mitarbeiter hineinversetzen, anstatt nur bestimmte Funktionalitäten zur Verfügung zu stellen.