Autokonzerne und die Partnersuche

Was ist erlaubt?

01.08.2017
Wenn nicht jeder eigene Scheibenwischer und Sitze bauen würde, könnte die Autobranche viel Geld sparen. Auch zum Vorteil der Kunden, meinen Experten. Nach dem "Kartellgate" jedoch dürften viele mit Allianzen erstmal vorsichtig sein.

Deutsche Autokonzerne kaufen gemeinsam ein, bauen zusammen Motoren, entwickeln neue Techniken. Von solchen Allianzen könnten noch viel mehr Beteiligte profitieren, sagen Branchenexperten. Doch die neuen Kartellvorwürfe gegen VW, Daimler, BMW, Audi und Porsche bremsen Kooperationen aus und werfen ein schlechtes Licht auf Projekte, die den Kunden eigentlich Vorteile bringen sollen.

Kooperationen könnten deutschen Autobauern viel Geld sparen und den Kunden nutzen. Die Angst vor neuen Kartellvorwürfen lähmt jedoch die Branche.
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Ohne Zusammenarbeit auf Zukunftsfeldern seien die deutschen Autobauer "auf gutem Weg, die Technologieführerschaft in Europa zu verlieren", sagt Stefan Randak vom Beratungsunternehmen Atreus. Auch der Autoexperte und Aufsichtsratschef der Unternehmensberatung Roland Berger, Marcus Berret, meint: "Die Autoindustrie bräuchte viel mehr Kooperation". Ein einzelner Hersteller allein könne die heutigen Herausforderungen kaum stemmen.

Doch was ist erlaubt, was ist kartellrechtlich verboten? "Es kommt immer auf den Einzelfall an", sagt Bundeskartellamts-Sprecher Michael Detering. In Paragraf 1 des Kartellgesetzes heißt es: Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die den Wettbewerb verfälschen, sind verboten. In Paragraf 2: Sie sind doch erlaubt, wenn sie dem Verbraucher nützen oder dem wirtschaftlichen oder technischen Fortschritt dienen.

"Natürlich können Wettbewerber miteinander reden", erläutert Detering. "Auch Kooperationen zweier Konkurrenten können okay sein." Als Daimler, BMW und Audi zusammen den Kartendienst Here kauften, lobte Kartellamts-Präsident Andreas Mundt ausdrücklich, dass sich die deutschen Autohersteller zusammentun, "um bei der Entwicklung selbstfahrender Autos vorne zu liegen und dieses Feld nicht US-Konzernen wie Google überlassen". Gemeinsame Entwicklungen bei Batterien und Ladestationen könnten dem Elektroauto zum Durchbruch verhelfen.

BMW darf auch mit Toyota an der Entwicklung des Brennstoffzellen- Autos arbeiten. Daimler darf Motoren an Aston Martin und an Renault-Nissan liefern. BMW und Daimler dürfen sich beim Einkauf zusammentun. "Solche Kooperationen sind Alltagsgeschäft", sagt Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hilft sogar bei der Partnerwahl: Auf seinem "Kooperationsportal" werden Wünsche und Angebote abgeglichen und zusammengeführt.

"Wenn nicht jeder seinen eigenen Scheibenwischer oder seinen spezifischen Fahrzeugsitz entwickeln und bauen lassen würde, könnte die Industrie viel Geld sparen", sagt Berret. Bei doppeltem Volumen können die Kosten eines Bauteilen 10 bis 15 Prozent sinken. Und mit deutlich mehr Standardisierung "ließen sich locker 20, wenn nicht sogar 25 Prozent der Fahrzeugkosten sparen." Beim heutigen Preiskampf im Autohandel würde vor allem der Kunde profitieren.

Bei Preisabsprachen oder der Aufteilung von Märkten ist die rote Linie überschritten. Die Grauzone aber ist groß, die Beweisführung bei Verstößen kompliziert. Bei Verdachtsfällen kann das Kartellamt mit einem Beschluss des Amtsgerichts Bonn Unternehmen selbst durchsuchen. Ein gewöhnliches Ermittlungsverfahren dauert zwei Jahre. "Wenn wir dicke Bretter bohren müssen und auf eine Mauer des Schweigens treffen, kann es auch fünf Jahre dauern", sagt Detering. Die Kartellwächter müssen wasserdicht nachweisen, wer bei welchem Treffen was gemauschelt hat, manchmal über Jahrzehnte zurück.

Jetzt prüfen die EU-Kartellbehörden, ob deutsche Autokonzerne die rote Linie seit den 90er Jahren überschritten haben. "Eigentlich müssten die Hersteller noch mehr zusammenarbeiten. Das wird jetzt deutlich eingebremst durch die aktuellen Vorwürfe", sagt Berret.

Um gegen neue Wettbewerber im Silicon Valley oder in China mithalten zu können, müssen die Hersteller immer mehr Geld investieren. Aber Elektroautos bringen deutlich weniger Gewinn, die Renditen sinken.

Eine eigenständige Entwicklung von Elektromotoren könnten sich viele Konzerne jedoch sparen, sagt Berret. Der markentypische Unterschied entstehe durch Software und Steuerungselektronik. Auch beim Carsharing solle nicht jeder Hersteller versuchen, seinen eigenen Dienst zu betreiben: "Der Kunde in der Großstadt will auf seine App klicken und schnell ein Auto haben - völlig egal, ob das ein Opel oder ein Ford ist."

Gegenseitige Vorwürfe im "Kartellgate" brächten BMW und Daimler derzeit aber eher weiter auseinander, sagt Randak. Der Kartellrechtler Andreas Pyrcek von Ernst & Young sagt voraus, die Autohersteller dürften auch "vorsichtiger sein in Zukunft. Sie werden die Mitarbeiter stärker sensibilisieren, wo die Risiken sind", und häufiger Juristen und das Kartellamt fragen. Der Kartellverdacht schade dem Image der deutschen Autoindustrie, "und er bremst sinnvolle Kooperationen zwischen Herstellern ein", befürchtet Berret. (dpa/ad)