Der Wunsch nach Anpassung und Optimierung von Geschäftsprozessen ist meist der Ausgangspunkt für Prozessmodellierung. Dabei geht es zunächst um eine Bestandsaufnahme, also die Frage nach dem Was, Wer und Wie. Je nach Bedarf werden unterschiedliche Modelle genutzt, mit denen die Prozesse in unterschiedlichen Komplexitätsgraden visualisiert werden.
Der Aufgabenstellung entsprechend schließt sich daran die eigentliche Modellierung der Prozesse an. Bei der Prozessmodellierung kommt nicht nur der Struktur der Prozesse selbst, sondern auch den Schnittstellen, an denen Daten von einem Prozess-Schritt an den folgenden Schritt übergeben werden, große Bedeutung zu.
Prozessmodellierung - Definition
Eine Folge von logisch zusammenhängenden Tätigkeiten, die einen klaren Anfang und ein klares Ende haben und einen Beitrag zur Wertschöpfung im Unternehmen liefern - so lässt sich ein Prozess im Unternehmen knapp und sehr allgemein beschreiben. Dabei kann es sich um verschiedene Abläufe handeln. Im Folgenden einige Beispiele:
Produktfertigung
Informationsbearbeitung (z.B. eine Bestellung) oder Dokumentenerstellung (z.B. eine Lohnabrechnung)
Dienstleistung (z.B. Abfallentsorgung oder Maschinenwartung)
Zusammenspiel verschiedener Maschinen in einer Fabrik
Ineinandergreifen von Logistik-Dienstleistungen, wie beim internationalen Versand von Industriegütern mittels LKW, Bahn, Schiff und Flugzeug
Bei der Prozessmodellierung geht es folglich um die Veränderung der Struktur oder Abfolge einzelner Schritte oder gesamter Abläufe. Das Ziel ist entweder die Reorganisation und damit Anpassung an neue Voraussetzungen (z.B. Digitalisierung) oder dier Optimierung mit Blick auf Zeit, Qualität, Kosten (z.B. Durchlaufzeiten, Fehlerreduzierung) und/oder Sicherheit. Meist lassen sich Prozessmodellierungen mindestens einem der folgenden Themenbereiche zuordnen:
Steuerung
Organisation
Information
Kontrolle
Sicherheit
In der Vergangenheit hat man bei der Prozessmodellierung vor allem der Abfolge der Prozessschritte Aufmerksamkeit geschenkt. Mit der immer mehr in den Fokus rückenden Digitalisierung komplexer Prozessketten spielt heute auch die Datenintegration zum Aufbau komplett digitaler Ökosysteme eine wesentliche Rolle. Dabei werden Prozesse nicht mehr klassisch innerhalb eines einzelnen Unternehmens betrachtet, sondern als eine Struktur, an der verschiedene Unternehmen, Menschen und IT-Systeme mit unterschiedlichen Funktionen teilhaben können. Dazu gehören auch digitale Plattformen, die Prozesse als eine Abfolge von Interaktionen in einem Netzwerk begreifen.
Prozessmodellierung - der Plan
Bei der Prozessmodellierung geht es im ersten Schritt darum, den Prozessablauf transparent zu machen. Um dies zu erreichen, wird i.d.R. die Struktur des Prozesses beschrieben. Wo möglich, arbeitet man einzelne Prozessschritte und Abhängigkeiten heraus. Gemeinhin werden die einzelnen Teile eines Prozesses und die Bezüge dabei in eine formalisierte Sprache übersetzt oder in ein standardisiertes grafisches Modell übertragen, bei dem man auf definierte Symbole zur Beschreibung zurückgreift.
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So lassen sich die wesentlichen Informationen abbilden und analysierbar machen. Das bedeutet, dass Abhängigkeiten ebenso sichtbar werden wie doppelt ausgeführte Prozesse, unnötige Schritte und fehlende Bezüge - wichtige Grundlagen für die Optimierung oder die gewünschte Veränderung der Prozesse, etwa um Ressourcen zu sparen, die Prozessgeschwindigkeit zu erhöhen oder geänderte Verfahren zu etablieren.
Mit dem so zusammengetragenen und gespeicherten Prozesswissen entstehen oft schon durch die grafische Aufbereitung erste Ansätze für eine Prozessmodellierung. Weitere Produktivitätsvorteile lassen sich ableiten, da sich durch die entstehende Transparenz aus dem Know-how weniger Experten allgemein verfügbares Wissen entwickelt. Dies führt unter anderem zu reduzierten Abhängigkeiten und höherer Flexibilität.
Prozessmodellierung Methoden
Das konkrete Vorgehen bei der Prozessmodellierung hängt zum einen von der Art der Prozesse und zum anderen von der als adäquat betrachteten Vorgehensweise ab. Bei der Modellierung kompletter Geschäftsstrukturen (Business Process Reengineering) oder einzelner Geschäftsprozesse (Geschäftsprozessoptimierung) sind die Fragen nach Kunden, Organisationsstruktur, Kernkompetenzen und verfügbaren Technologien zur Informationsunterstützung relevant. Organisatorisch zusammengehörende Teilaufgaben werden zu Prozessen zusammengefasst und auf das formulierte Ziel hin überarbeitet. Kritisch sind dabei besonders jene Schnittstellen, an denen wesentliche Informationen von einem Prozess an den nächsten übergeben werden - z.B. von der Bestellung zur Auftragsbearbeitung und von dort zur Auslieferung.
Spezielle Software für Prozessmodellierung unterstützt heute in vielen Fällen die Visualisierung von bestehenden Prozessen. Damit entsteht die Grundlage für eine umfassende Analyse nach betriebswirtschaftlichen oder technischen Kriterien, die wiederum die Basis für die Restrukturierung von Prozessen bildet. Auch beim Customizing, bei der Optimierung des Qualitätsmanagements oder der Strukturierung des Wissensmanagements funktioniert das Vorgehen entsprechend.
Im Normalfall werden zunächst die Hauptprozessschritte dargestellt, die dann in Teilprozesse zerlegt und in das Modell integriert werden. Je nachdem, was konkret gezeigt werden soll, greift man auf unterschiedliche Prozessmodelle zur Beschreibung zurück.
Prozessmodelle: Landkarten, Flussmodelle, BPMN und EPK
Es gibt eine ganze Reihe etablierter Möglichkeiten, Prozesse abzubilden. Aufgrund der Komplexität sind aber meist nicht alle zu betrachtenden Abläufe in einem Prozessmodell darstellbar. Daher werden unterschiedliche Prozessmodelle über verschiedene Hierarchie- oder Beschreibungsebenen (Level) hinweg abgebildet.
Prozesslandkarten (Prozessarchitekturmodelle) etwa bilden die oberste Ebene der Prozesse eines Unternehmens ab. Durch sie werden vor allem die übergeordneten Zusammenhänge sichtbar. Sie bieten damit eine gute strategische Übersicht. Für die eigentliche Prozessmodellierung sind sie, da der Detaillierungsgrad zu gering ist, normalerweise ungeeignet.
Flussdiagramme dagegen veranschaulichen einzelne Prozesse, etwa Arbeits- und Geschäftsabläufe, schematisch. Zur Visualisierung dienen klar definierte Standardsymbole, etwa für Verfahren, Dokumente, Daten oder Entscheidungen, so dass der Prozessverlauf und die am Prozess Beteiligten gut analysiert werden können.
Auch ereignisgesteuerte Prozessketten (EPK) dienen zur Visualisierung von Geschäftsprozessen. Prozesse werden hier chronologisch und ebenfalls mit klar definierten Symbolen dargestellt. Im Zentrum stehen allerdings die beschriebenen Arbeitsabläufe als eine Folge von Ereignissen. Dabei versteht man unter einem Ereignis einen eingetretenen Zustand. Jedem Ereignis folgt eine Funktion und jeder Funktion folgt wiederum ein Ereignis.
Ein Beispiel: Dem Eingang einer Bestellung folgt als Ereignis die Lagerabfrage als Funktion, der wiederum als Ereignis die Information 'vorhanden'/'nicht vorhanden' folgt.
Diese Art der Darstellung eignet sich besonders, wenn unterschiedliche Sichtweisen auf den Prozess, etwa Organisations- und Datensicht, deutlich gemacht und analysiert werden sollen.
Das Business Process Model and Notation (BPMN) hat ebenfalls die Modellierung auf Basis einer grafischen Darstellung zum Ziel. BPMN ermöglicht eine detaillierte Darstellung der Abfolge von Geschäftsaktivitäten inklusive der erforderlichen Informationsflüsse. Am Prozess Beteiligte und ihre Abhängigkeiten werden sichtbar, ebenso Aktivitäten (z.B. eine konkrete Aufgabe), Entscheidungspunkte (Gateways) oder Nachrichten (Events). Mit über 150 definierten Symbolen besteht hier ein umfassendes Zeichensystem, mit dem sich auch komplexe Prozesse und Datenflüsse allgemeinverständlich darstellen lassen. Damit liefert BPMN nicht nur die Daten für die Ist- oder Planungssituation, sondern auch einen angemessenen Detaillierungsgrad für die Umsetzung.
Neben diesen Methoden kommen je nach Aufgabenstellung auch Wertschöpfungskettendiagramme (WKD; Darstellung von Geschäftsprozessen), erweiterte Ereignisgesteuerte Prozessketten (eEPK) oder Prozesstabellen (Dokumentation von zusätzlichen, das grafische Modell ergänzenden Informationen) zum Einsatz.
Am Anfang einer Prozessmodellierung stehen i.d.R. Prozessworkshops mit den am Prozess beteiligten Mitarbeitenden. Hier werden Prozesse mit einer zuvor gewählten Darstellungsmethode in möglichst großer Detailtiefe beschrieben und dokumentiert. Aus der konkreten Aufgabenstellung und Zielsetzung entsteht zusammen mit einem Soll-Ist-Vergleich der Anforderungskatalog für die Prozessmodellierung.
Neue Entwicklungen: Die Verbindung von Analyse und Umsetzung
Bisher wird für die Analyse und Planung von Prozessmodellierungen meist eine der vielen am Markt verfügbaren Standardsoftware-Anwendungen für die Visualisierung von Prozessen genutzt. Diese Tools greifen i.d.R. auf eine der oben beschriebenen Methoden zurück. Ist der Prozess entsprechend dargestellt, werden die Ergebnisse als Basis für die Planung mit anderen Softwaretools genutzt, über die dann die Umsetzung erfolgt.
Da in mittleren und großen Unternehmen heute praktisch alle Prozesse digital abgebildet werden können, liegt es nahe, dass auch bei der Modellierung von Geschäftsprozessen vor allem auf End-to-End digitalisierte Prozesse Wert gelegt wird. So lassen sich Abläufe in kürzester Zeit lückenlos nachverfolgen und an neue Situationen anpassen. Diese Anpassung erfolgt in einem ersten Schritt ebenfalls wiederum digital, indem das System durch das Modellieren der prozessrelevanten Daten entsprechend neu organisiert wird.
Business Process Management-Tools versuchen diese Entwicklung abzubilden, indem sie zusätzlich zur grafischen, den Prozess über Symbole abbildenden Oberfläche auch gleich Softwaretools bereitstellen, mit denen die Daten aus demselben Tool heraus in den neuen Prozess integriert werden können. Wesentlich geeigneter für die software-technische Umsetzung einer solch komplexen Integrations-Thematik erscheint jedoch das immer mehr in der Software-Entwicklung verbreitete Werkzeug der Low Code-Entwicklungsplattform.
Der Vorteil: Durch die dabei verwendete Modellierungs-Technologie mit einer grafischen Oberfläche entsteht eine Übersicht über den zu modellierenden Prozess. Zudem können digitale Prozesse nicht nur visualisiert, sondern auch unmittelbar modelliert werden, indem sie mit der Datenebene verknüpft werden. Damit erübrigt sich fehleranfälliges und kostenintensives Programmieren. Gleichzeitig ermöglicht das Arbeiten mit Low Code-Software ein hohes Maß an Flexibilität. Damit muss das Unternehmen nicht - wie etwa beim Einsatz von Standardsoftware - der Prozesslogik der Software folgen. Low-Code-Entwicklungsplattformen bieten also die Möglichkeit, Prozesse zu visualisieren und damit problemlos zu analysieren, im nächsten Schritt Prozessteile unter Nutzung der gleichen Oberfläche zu modellieren und durch Einbindung von Regelwerken auch zu automatisieren.
Beispiele für Prozessmodellierung
Ein Prozessmodell kann für die strategische Analyse und Planung eingesetzt werden: Hier geht es in einem ersten Schritt darum, eine grobe Übersicht zu erhalten. Eine wesentliche Rolle kommt dabei einer flexiblen, einfach anzupassenden Datenintegration zu, die in der Lage ist, relevante Daten zu definierten Zeitpunkten aus multiplen Softwareanwendungen auszulesen und in im nächsten Prozessschritt benötigte Systeme und Formate umzuwandeln bzw. zu integrieren.
Besonders im Fokus von Prozessmodellierungen standen in den letzten Jahren Logistikprozesse, da bis heute vor allem im internationalen Güterverkehr Teilprozesse nicht digitalisiert sind. So werden etwa Fracht- und Zollpapiere auch in Europa immer noch ausgedruckt und händisch in nachgelagerte Systeme eingegeben. Transporteure übergeben diese bei Lieferung an Kunden, die die Daten manuell in ihre Systeme einpflegen. Solche Prozesse ziehen nicht nur eine hohe Fehleranfälligkeit nach sich, sondern sie bedeuten auch einen großen Aufwand bei der Anpassung an neue Rahmenbedingungen.
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Weitere Hürden bestehen in der Logistik etwa durch die Routenoptimierung, den Einsatz unterschiedlicher Softwaresysteme bei Kunde, Logistiker, Verkäufer und Hersteller (Dateienintegration) und komplexe Kommunikationsstrukturen. Bereits ein einfaches Beispiel illustriert die Anforderungen:
Bestellung des Kunden über einen Onlinehändler mittels Eingabemaske,
Weiterleitung an den Zwischenhändler via SAP-Schnittstelle,
Abfrage des Lagerbestands aus SAP beim outgesourceten Lager,
Vom Lager die Rückmeldung an den Händler und über diesen weiter an den Kunden bzgl. Verfügbarkeit und Liefertermin,
bei niedrigem Lagerbestand automatisierte Nachbestellung beim Hersteller,
Bestellung der Logistikleistung (z.B. LKW-Transport),
Übergabeprotokoll zwischen Lagerist und Logistik,
Information der Übergabe an Zwischenhändler, Händler (Portal) und Kunden,
Lieferankündigung beim Kunden durch den Logistiker,
Austausch von Information zwischen Kunde und Logistiker bzgl. Lieferzeit und -ort,
Lieferbestätigung vom Logistiker an den Kunden, Lageristen, Zwischenhändler und/oder an das Portal,
zu guter Letzt die Erstellung, Bezahlung und Kontrolle diverser Rechnungen.
Bei einem einzelnen Bestellprozess greifen also je nach Komplexitätsgrad zehn oder mehr Softwaresysteme mit unterschiedlichen Datenformaten ineinander.
Von der Prozessmodellierung zur Prozessintegration
In der Logistik haben Softwareunternehmen inzwischen die vielfältigen Optimierungsmöglichkeiten erkannt und intelligente Prozessmodellierungen vorgenommen, die nicht nur einzelne Prozesse, sondern die gesamte Prozesslandschaft verändern. Das Ziel ist für alle Beteiligten, bislang isoliert ablaufende Prozesse immer mehr zu verknüpfen und so deren Komplexität, Kosten und Fehleranfälligkeit zu reduzieren, ihre Abwicklung zu beschleunigen und ein hohes Maß an Transparenz zu schaffen.
Bei der horizontalen Prozessintegration bedeutet diese Verknüpfung etwa, dass das Bestellsystem über Informationen zur Auslastung der Produktion, zum Lagerbestand und zu Rohstoffkosten verfügt und diese Daten automatisiert in die Kalkulation von Preis und Lieferzeitpunkt mit einbeziehen kann.
Die vertikale Prozessintegration dagegen ermöglicht es, auf der Basis eingegangener Bestellmengen frühzeitig mögliche Lieferengpässe anzuzeigen, denen das Unternehmen durch zusätzliche Rohstoffbestellungen bei anderen Lieferanten entgegenwirken kann, oder indem es vor- oder nachgelagerte Prozessschritte sogar selbst übernimmt (eigene Rohstoffgewinnung oder eigene Weiterverarbeitung).
Eine andere positive Folge der Prozessintegration ist in immer mehr Branchen die Entwicklung offener Portale mit einer lückenlosen Vernetzung von Marktteilnehmern, Supply-Chain-Management und Datenintegration, wie sie heute in der Logistik etwa eFreight Switzerland oder Logistics Cloud anbieten. Die große Flexibilität solcher Plattformen ermöglicht es Teilnehmern, bei sehr geringem eigenen Aufwand jederzeit eine kurzfristige und einfache Prozessmodellierung durchzuführen. Zudem erlauben solche Plattformen auch kleineren Unternehmen den niederschwelligen Eintritt in bisher durch von wenigen großen Unternehmen dominierte Märkte.