Rund vier von fünf Deutschen sind laut einer Bitkom-Umfrage der Ansicht, dass die Digitalisierung die Wirtschaft mindestens so stark verändert wie die industrielle Revolution vor über 100 Jahren. Diese Entwicklung ist bestimmt von Innovationen, ohne die intelligente Fabriken oder selbstfahrende Automobile nicht möglich wären. Aber wie werden zukünftige IT-Experten auf die Entwicklung solcher Innovationen vorbereitet, was erwarten sie, und welches Umfeld ist dafür nötig? Uwe Dumslaff, Chief Technology Officer (CTO) bei Capgemini, und Alexander Pretschner, Professor für Softwareentwicklung an der TU München, diskutieren diese Fragen aus der Perspektive von Industrie und Lehre.
Innovation ist cool
Für Studenten müssen Innovationen vor allem eines sein - cool. Sie denken dabei an die neue Apple Watch oder Googles Roboterauto: Produkte, die für den Endverbraucher gemacht sind, weiß Pretschner aus Erfahrung. Mit Business-to-Business-Lösungen (B2B), also Produkten für Unternehmen und nicht für Endverbraucher (Business-to-Customer), kommen sie in ihrem Alltag nicht bewusst in Berührung und nehmen diesen Bereich daher kaum als innovativ wahr. "Diejenigen, die sich auch für B2B-Innovationen begeistern können, sind häufig die ‚Techies‘, die Spaß daran haben, Algorithmen parallel zu implementieren, und die an reiner Informatik interessiert sind", erklärt der Professor.
Studium muss Theorie und Praxis vermitteln
Für viele IT-Unternehmen liegt das Hauptaugenmerk aber im B2B-Bereich. "Sie entwickeln als Dienstleister intelligente Verwaltungssysteme für Behörden oder lassen Maschinen untereinander kommunizieren, um Produktionsabläufe im Autobau effizienter zu machen", erläutert CTO Dumslaff. Für ihn ist der Erfolg seines Arbeitgebers nicht davon abhängig, Vorreiter in der Entwicklung völlig neuer Endprodukte zu sein. Vielmehr müsse ein IT-Dienstleister wie Capgemini Innovationen bewerten und sie für Kundenlösungen anwenden und weiterentwickeln. Die Grundlagen für diese Art des innovativen Denkens und Arbeitens müssten im Studium vermittelt werden, fordert Dumslaff.
Für Pretschner ist es Aufgabe der Hochschullehre, beide Gruppen zu erreichen: Auf der einen Seite die Technikaffinen, auf der anderen diejenigen, die eher das Endprodukt sehen und die Informatik beispielsweise als Nebenfach zur Betriebswirtschaftslehre belegen. Er setzt deshalb in seinen Vorlesungen viel auf Praxisbeispiele. So konnten seine Studenten letztes Jahr beispielsweise eine multimodale Travel-App für Capgemini implementieren, die verschiedene Fortbewegungsmittel auf einer Reisestrecke intelligent kombiniert und mit der Nutzer ihre Reise planen und bezahlen können. Den Studierenden wurde so technisches Know-how vermittelt, und sie sahen gleichzeitig das Endprodukt.
Innovatives Denken kann man nicht lernen
Innovationen sind von Menschen und deren individuellen Ideen abhängig. Studierende können deshalb nicht dazu ausgebildet werden, Innovationen zu entwickeln, da sind sich Dumslaff und Pretschner einig. "Aber man muss ihnen die Grundsätze für innovatives Denken vermitteln, nämlich kritisches Optimierungsdenken, Experimentierfreude und Offenheit", findet Pretschner. Genau dies deckt sich mit den Praxisanforderungen. Früher konnte man sich jahrelang in einem Thema der Informatik spezialisieren und damit wachsen. Das reiche heutzutage nicht mehr aus, und für morgen schon gar nicht. Deswegen müsse ein Appetit vorhanden sein, sich auf Innovationen einzulassen, beschwört Dumslaff.
Zusätzlich benötigen Innovationen ein Zusammenspiel von technischem Know-how und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen. Deshalb ist es wichtig, Studierenden das fachübergreifende Zusammenarbeiten beizubringen und so Differenzen zwischen Informatikern und Betriebswirten vorzubeugen. "Vor allem mit der Digitalisierung ist etwas anderes dazugekommen: Der Mix von Qualifikationen und Skills hat eine größere Bedeutung gewonnen", ergänzt Dumslaff.
Grundlegende Programmierfähigkeiten unverzichtbar
Genau wegen dieser menschlichen Komponente und der Schnelllebigkeit technologischer Entwicklungen sei es auch nicht immer zielführend, Studierenden einzelne Technologien beizubringen, so Pretschner. Viel wichtiger seien grundlegende Programmierfähigkeiten. "Technologien sind in der Praxis häufig austauschbar", bestätigt Dumslaff. Für Unternehmen sei eher eine ausgefeilte Problemlösungskompetenz der Mitarbeiter essenziell. Und diese Kompetenz, so der Capgemini-Mitarbeiter, sei bei Absolventen heute auch vorhanden, denn deren Ausbildung sei eine gute Basis für eine erfolgreiche Berufslaufbahn.
Jeder muss bei innovativen Projekten mitdenken dürfen
Gut ausgebildete Leute sind nur eine Seite der Medaille. Auch die Unternehmen müssen in die Innovationskraft ihrer Mitarbeiter investieren. "Jeder Mitarbeiter muss eingebunden sein und den Raum haben, innovativ denken zu können. Innovationen dürfen nicht immer bei den gleichen Teams liegen, sondern jeder muss mitmachen können, egal wie lange er im Unternehmen ist", so Dumslaff.
Um die Neugier und den "Spieltrieb" für Innovationen bei seinen Mitarbeitern aufrechtzuerhalten, hat Capgemini ein Innovation Lab gegründet, in dem Kunden, Mitarbeiter und Partner mit den neuesten Produkten und Anwendungen der Branche experimentieren können, um neue Lösungen zu entwickeln. "Aber auch Weiterbildungen zu Trendthemen sind wichtig, um die Mitarbeiter in Sachen Innovationen am Ball zu halten", weiß der CTO.
Pretschner und Dumslaff sind sich einig: Egal, ob für die Entwicklung cooler Produkte für Endkonsumenten oder Lösungen für Kunden aus der Wirtschaft - nur wenn das Umfeld stimmt, können die IT-Experten von morgen die digitale Revolution weiter vorantreiben.